An der Grenze des Erträglichen – wie Trump und Putin die Ukraine in einen Raum zwingen, aus dem es keinen würdigen Ausgang gibt

VonRainer Hofmann

November 21, 2025

Es wirkt wie ein Moment, in dem sich gleich mehrere politische Achsen verschieben – und zwar gleichzeitig. Während Donald Trump öffentlich darauf drängt, dass Wolodymyr Selenskyj seinen Friedensplan bis Thanksgiving unterschreibt, nutzt Wladimir Putin genau diese Lage, um sich als möglicher Partner eines „finalen Abkommens“ zu inszenieren. Beide bewegen sich aufeinander zu, und beide tun so, als läge die Entscheidung allein bei Kiew. Doch in Wahrheit wird die Ukraine in ein persönliches Machtspiel hineingezogen, bei dem kaum jemand offen ausspricht, was wirklich auf dem Tisch liegt: die weitgehende Auflösung eigener Ansprüche, das Zusammenfallen früherer roter Linien und ein Preis, der einem Land auferlegt wird, das seit vier Jahren täglich bombardiert wird.

Putin wählte für seine Kommentare eine auffällig zurückhaltende Sprache. Er sprach von einer „neuen Version“ des amerikanischen Plans, von einem „modernisierten Vorschlag“, der grundsätzlich „als Grundlage“ eines endgültigen Abkommens dienen könne. Zugleich machte er klar, warum er glaubt, dass Washington den Text nicht ernsthaft mit Moskau besprochen hat: Weil die USA aus seiner Sicht nicht in der Lage seien, die Zustimmung der Ukraine zu sichern. Selenskyj, sagte Putin, lehne den Vorschlag ab – und Europa halte an dem „Traum einer strategischen Niederlage Russlands“ fest. Es war Kalkül. Die Botschaft an die eigene Bevölkerung: Russland ist gesprächsbereit, die Ukraine blockiert.

„Präsident Trumps Friedensplan zur Lösung der Lage in der Ukraine wurde bereits vor dem Treffen in Alaska erörtert. Während dieser Vorgespräche baten uns die USA, flexibel zu sein. Das Treffen in Alaska sollte diese vorläufigen Vereinbarungen bestätigen; trotz einiger schwieriger Punkte hatten wir diesen Vorschlägen zugestimmt. Nach den Gesprächen in Alaska haben wir von amerikanischer Seite eine Pause festgestellt. Wir verstehen, dass dies auf die faktische Ablehnung des von Präsident Trump vorgeschlagenen Friedensplans durch die Ukraine zurückzuführen ist. Ich halte dies für den Grund, warum nun die modernisierte Version mit 28 Punkten aufgetaucht ist. Wir haben diesen Text vorliegen und sind der Ansicht, dass auch er als Grundlage für eine endgültige Friedensregelung dienen könnte. Allerdings wird dieser Text mit uns in keiner substanziellen Weise besprochen, und ich kann mir denken, warum. Der Grund bleibt derselbe: Den USA ist es bisher nicht gelungen, die Zustimmung der Ukraine zu erhalten. Die Ukraine ist dagegen.

Die Ukraine und ihre europäischen Partner unterliegen weiterhin der Illusion, dass Russland auf dem Schlachtfeld besiegt werden kann. Ich führe das auf mangelnde Kompetenz und fehlende objektive Informationen über die tatsächliche Lage an der Front zurück. Weder die Ukraine noch Europa verstehen, wohin dieser Weg am Ende führen könnte. Wenn die Ukraine nicht über den Friedensvorschlag von Präsident Trump sprechen möchte, ist das für uns akzeptabel; es eröffnet die Möglichkeit, die Ziele der Spezialoperation mit militärischen Mitteln zu erreichen. Wie ich jedoch schon oft gesagt habe, sind wir bereit, zu verhandeln, um Probleme auf friedlichem Wege zu lösen. Das setzt allerdings eine substanziell geführte Diskussion über alle Details des vorgeschlagenen Plans voraus. Wir sind dazu bereit.“

Währenddessen erhöhte Trump den Druck auf Selenskyj. In einem Radiointerview erklärte er, er wolle eine Antwort „bis Donnerstag“ – eine Frist, die er auf Nachfrage zwar als „verlängerbar“ bezeichnete, zugleich aber als „angemessen“ verteidigte. Dass ein amerikanischer Präsident öffentlich Deadlines setzt, noch bevor ein Kriegsopferstaat die Möglichkeit hatte, intern über die Bedingungen zu beraten, sagt viel über das Klima, das Trump bewusst schafft: ein Zeitdruck, der nach außen wie ein Ultimatum wirkt, nach innen aber als Chance verkauft wird.

Doch der Kern des 28-Punkte-Papiers erzeugt bei ukrainischen und europäischen Diplomaten mehr als nur Irritation. Es ist ein Vorschlag, der Russland nahezu alles zugesteht, was es seit Beginn der Invasion fordert – und der Ukraine zumutet, zentrale Bestandteile ihrer staatlichen Selbstbestimmung aufzugeben. Laut Entwurf müsste die Ukraine ihre Verfassung so ändern, dass ein NATO-Beitritt dauerhaft ausgeschlossen ist. Sie müsste russische Gebietsansprüche im Donbass anerkennen, selbst dort, wo die Ukraine noch Kontrolle ausübt. Die Armee wäre auf 600.000 Soldaten zu begrenzen, obwohl sie heute weit größer ist. Und es dürfte keine NATO-Truppen im Land geben, was die europäischen Sicherheitsgarantien praktisch wirkungslos macht.

„Im Moment erleben wir einen der schwierigsten Momente unserer Geschichte. In diesem Moment könnte die Ukraine vor einer sehr schweren Entscheidung stehen: entweder der Verlust der Würde oder das Risiko, einen wichtigen Partner zu verlieren. Entweder die schwierigen 28 Punkte oder ein extrem harter Winter – der härteste – und weitere Risiken. Ein Leben ohne Freiheit, Würde und Gerechtigkeit, und das Vertrauen in jemanden, der bereits zweimal angegriffen hat. Man wird von uns eine Antwort erwarten. Im Moment ist der Druck auf die Ukraine einer der schwersten. Es wird eine konstruktive Suche nach Lösungen mit den Vereinigten Staaten geben. Ich werde Argumente vortragen, überzeugen und Alternativen vorschlagen, aber wir werden dem Feind keinen Anlass geben zu behaupten, dass die Ukraine keinen Frieden will. Das wird nicht passieren.“

Selenskyj sprach in einer Videobotschaft von „einem der schwierigsten Momente unserer Geschichte“. Er warnte davor, dass die Ukraine „vor einer sehr schweren Entscheidung“ stehen könnte: dem Verlust der eigenen Würde oder dem Risiko, den wichtigsten internationalen Partner zu verlieren. Dass er die USA nicht namentlich nannte, war weniger Zurückhaltung als Diplomatie. Jeder wusste, wer gemeint war. Er betonte, dass er „Argumente vortragen, überzeugen und Alternativen vorschlagen“ werde. Er wolle konstruktiv arbeiten, ohne den Gegnern Russlands Anlass zu geben zu behaupten, die Ukraine verweigere Friedensgespräche. Hinter diesen Formulierungen stand die Erkenntnis, dass Kiew manövrieren muss, während die eigenen Handlungsmöglichkeiten schrumpfen: Die Front gerät wieder stärker unter Druck, Luftangriffe treffen das Energiesystem, und die innenpolitische Lage ist geschwächt durch Korruptionsvorwürfe, die der Regierung zugesetzt haben.

Brüssel und die europäischen Hauptstädte wurden eiskalt überrumpelt. Trumps Team und Putins Leute haben im Stillen einen 28-Punkte-„Friedensvorschlag“ für die Ukraine ausgearbeitet – und er ist nichts anderes als totale Kapitulation

Europa reagierte alarmiert. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sagten Selenskyj zu, dass sie „volle Unterstützung“ leisten und kein Abkommen akzeptieren würden, das ihre Interessen oder die der Ukraine ignoriert. Sie machten klar, dass die ukrainische Armee auch künftig wehrfähig bleiben müsse, und dass über Fragen, die Europa betreffen, nicht ohne Europa entschieden werden könne. Dass diese Botschaft nötig war, zeigt, wie weit das Weiße Haus bei diesem Vorschlag gegangen ist – und wie sehr es Partner übergangen hat.

Gleichzeitig warf der Kreml Kiew vor, es müsse „jetzt“ verhandeln, sonst würden noch mehr Gebiete verloren gehen. Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Selenskyjs Spielraum werde kleiner, die Lage gefährlicher. Zum Inhalt des Plans sagte er jedoch kaum etwas. Russland wolle „nicht im Megafonmodus verhandeln“, man bleibe bei früheren Gesprächsformaten. Dass die Regierung gleichzeitig wissen ließ, sie habe „mögliche neue Formulierungen“ gesehen, aber „nichts Offizielles“ erhalten, war ein Versuch, die Verantwortung für das Tempo auf Washington und Kiew abzuwälzen.

Trump hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher – als der Präsident, der bereit war, die Ukraine an Putin zu übergeben, um sich selbst als „Friedensmacher“ zu inszenieren. Sein 28-Punkte-Plan ist nichts anderes als eine politische Kapitulationserklärung, die Russland schenkt, was es mit Bomben nicht erreicht hat. Er setzt ein befreundetes Land unter Druck wie einen säumigen Schuldner und behandelt Krieg wie ein Geschäft, das man schnell abschließen muss, bevor jemand merkt, was drinsteht. Europa wird von ihm vorgeführt wie ein Statist, der zu spät erkennt, dass Trump längst auf Putins Seite spielt. Er zerstört das Vertrauen in die USA als Schutzmacht und zeigt, dass ihm der Applaus eines Autokraten wichtiger ist als das Überleben einer Demokratie. Seine Politik ist kein Fehler, sondern ein bewusster Bruch mit allem, wofür der Westen jahrzehntelang stand. Und genau deshalb wird er in Erinnerung bleiben: als der Präsident, der Freiheit gegen persönlichen Ruhm eintauschte.

Der Vorschlag selbst stammt von zwei Männern, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Steve Witkoff, ein Trump-Gesandter für Sondermissionen, und Kirill Dmitriew, einer der wichtigsten russischen Kontaktleute für Auslandsverhandlungen. Schon die Entstehungsgeschichte des Papiers zeigt, wie sehr dieses Projekt über etablierte diplomatische Strukturen hinweg gebaut wurde. Die Konsequenzen wären enorm. Wenn Kiew zustimmt, erhält es zwar eingefrorene russische Vermögenswerte für den Wiederaufbau und Sicherheitszusagen für den Fall eines erneuten Angriffs – doch viele Fragen bleiben offen. Was genau passiert, wenn Russland erneut einmarschiert? Wer garantiert die militärische Reaktion? Welche europäischen Interessen werden berücksichtigt? Und warum sollte Moskau internationale Vorteile wie eine Rückkehr in die G-8 oder die Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft dauerhaft akzeptieren, wenn es bislang in keinem Konflikt an langfristigen Zusagen festhielt?

Der estnische Parlamentarier Marko Mihkelson brachte die Sorge auf den Punkt: Wenn die Ukraine dieses Angebot annimmt, „wird es keine Ukraine mehr geben“. Und wenn Europa es akzeptiert, müsse sich der Kontinent „auf einen direkten Krieg mit Russland vorbereiten“. Diese Worte mögen hart klingen, aber sie spiegeln die Furcht wider, dass ein Frieden, der auf Druck statt auf Stabilität beruht, keinen Frieden bringen würde. Sondern nur eine Pause – bis zur nächsten Eskalation.

Am Ende bleibt ein Bild, das beunruhigend klar ist: Trump setzt auf Tempo, Putin setzt auf Spaltung, und die Ukraine soll einen Vorschlag akzeptieren, der kaum von ihr selbst beeinflusst wurde. Die Frage ist nicht nur, wie sie antwortet, sondern wie viel Freiheit ihr dafür überhaupt noch bleibt.

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Wuschitz
Wuschitz
7 Stunden zuvor

Ich bin über diese Gemeinheit von Trump mit Putin erschüttert.
Es verlangt von der Ukraine praktisch die Selbstaufgabe. Ohne die Waffen aus derUSA und vor allem den Kommunikationsmitteln ist der Kampf aussichtslos. Bleibt nur die Hoffnung bei der Versammlung der G 20 eine Lösung zu finden. Für Europa erscheint es mir ein Damokolesschwert zu sein. Einfach arg



Irene Monreal
Irene Monreal
7 Stunden zuvor

Ich bin einfach nur entsetzt! Wenn Europa jetzt nicht klare Kante zeigt, werden wir zwischen Russland und den USA zerrieben. Die immerfort schlecht geredet EU ist für beide Großmächte der einzig übriggebliebene Angstgegner, den es zu zerstören gilt. Und innenpolitisch reiben sich die rechtsnationalen Gruppierungen die Hände und zersetzen die Demokratie wie ein bösartiger Hausschwamm. Wer jetzt auf eine starke Führung hofft, kann nur noch die Schultern zucken und sich weinend weg drehen, Merz ist es jedenfalls nicht.
😭

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