Amerikas neue Apartheid – Wie Trumps Justiz die Schulsegregation wieder legitimieren will

VonRainer Hofmann

Juni 8, 2025

Es ist nur eine Landstraße, die Ferriday und Vidalia voneinander trennt – aber wer sie überquert, reist durch Jahrzehnte amerikanischer Geschichte. Auf der einen Seite: Ferriday High School, eine Schule, eingezäunt mit Stacheldraht, die Fenster trübe, das Mauerwerk alt. 90 Prozent der Schüler:innen hier sind Schwarz. Auf der anderen Seite: Vidalia High School, blitzsauber, mit moderner Bibliothek, frischer Farbe an den Wänden – und 62 Prozent weiße Schülerschaft. Für Brian Davis, Vater in Ferriday, ist die Botschaft unmissverständlich: „Es ist, als wären unsere Kinder weniger wert.“

Beide Schulen gehören zum Concordia Parish in Louisiana – einem Distrikt, der 1965 zur Desegregation verpflichtet wurde. Sechzig Jahre später ist die Anordnung immer noch in Kraft. Doch nun will Donald Trumps Justizministerium sie beenden. Die zuständige Abteilung für Bürgerrechte steht unter der Leitung von Harmeet Dhillon, einer Juristin mit Nähe zum Trump-Lager. Ihr Versprechen: Die alten Gerichtsurteile sollen nun „fallen wie Dominosteine“. Was als „Entlastung“ der Schulbehörden verkauft wird, ist in Wahrheit ein Rückzug aus der Geschichte. Trumps Regierung will sich, begleitet vom Applaus republikanischer Lokalpolitiker, aus der aktiven Durchsetzung der Bürgerrechte zurückziehen. Das erste Opfer: die Kinder armer, meist schwarzer Familien – wie in Ferriday.

Die Argumente für diesen Schritt klingen vertraut: Die alten Anordnungen seien „nicht mehr zeitgemäß“, sie „belasten“ die Schulbezirke. Man müsse „nach vorne schauen“ – ein rhetorisches Muster, das stets dann bemüht wird, wenn strukturelle Ungleichheit nicht länger geleugnet, aber auch nicht mehr adressiert werden soll. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. In Concordia verhindert die jahrzehntealte Gerichtsentscheidung noch heute, dass neue Eliteschulen weiße Kinder bevorzugen. Sie ermöglicht Eingriffe bei Disziplinarungleichheiten. Sie zwingt die Schulen zur Rechenschaft. Und in über 130 Bezirken im Süden gelten weiterhin ähnliche Anordnungen – ein Erbe der Bürgerrechtsära, das nun gezielt entsorgt werden soll.

Gerade 2013, als die private Delta Charter School ihre Tore öffnete – auf dem Gelände einer einst rein weißen Privatschule – griff das Gericht ein: Die Schülerschaft müsse den ethnischen Schnitt des Distrikts widerspiegeln. Anfangs waren nur 15 Prozent der Kinder dort Schwarz. Erst durch gerichtlichen Zwang erhöhte sich dieser Anteil auf 40 Prozent. Ohne das Gericht, so sagen Bürgerrechtsorganisationen, wären solche Korrekturen unmöglich – oder schlicht unbezahlbar. Doch das ist genau das Ziel: die Gerichte zum Schweigen bringen. Was bleibt, ist ein schiefes Spielfeld, auf dem strukturelle Benachteiligung zur neuen Normalität erklärt wird. Für viele weiße Familien in Vidalia ist die Vorstellung, ihre Kinder könnten künftig mit denen aus Ferriday gemeinsam lernen, ein Affront. Auf einer Bürgerversammlung im Dezember war die Ablehnung lautstark: Man wolle keine „Kulturkonflikte“, keine „Drogen“, keine „Störung des eigenen Umfelds“. Die Gleichsetzung Schwarzer Schulen mit Gefahr und Verwahrlosung war nicht subtil – sie war brutal offen.

Das Integrationskonzept ist ein Dolchstoß für das Schulwesen – denn dann würden die weißen Familien die Flucht in Privatschulen antreten. Dass dies eine Rückkehr zur Segregation bedeutet, scheint dabei niemanden mehr zu stören.

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als ein juristischer Konflikt. Es ist ein ideologischer Kampf um das Erbe der Bürgerrechtsbewegung. Wir haben recherchiert und konnten feststellen, dass mindestens 132 Schulbezirke im Süden unter Gerichtsaufsicht stehen. Und ausgerechnet jetzt, unter einer Regierung, die sich offen gegen Diversity und Inclusion stellt, soll dieses letzte Korrektiv beseitigt werden. Es ist der letzte Vorhang vor einer neuen Form legalisierter Ungleichheit. Concordia ist ein lehrbuchartiges Beispiel: Der Distrikt wurde zur Zeit des Ku-Klux-Klan unter Bundesaufsicht gestellt. Heute reflektieren seine Schulen exakt die Rassenzusammensetzung ihrer Umgebung – nicht, weil Integration gelungen wäre, sondern weil weiße Familien sich systematisch zurückgezogen haben. Die Flucht nach Vidalia oder in das fast rein weiße Monterey ist nicht zufällig – sie ist die Reproduktion einer sozialen Trennung, getarnt als „Elternwahl“.

Zahlreiche Studien zeigen: Wenn die Desegregationsauflagen fallen, nimmt die Segregation wieder zu. Besonders Charter Schools und Privatschulen haben sich vielerorts zu faktischen Nachfolgern der einstigen Whites-Only-Schulen entwickelt – nur ohne das Schild an der Tür. Gleichzeitig zeigen Langzeitstudien von Stanford und Harvard, dass Kinder aus integrierten Schulen später höhere Einkommen, stabilere Familienverhältnisse und geringere Inhaftierungsraten haben – besonders afroamerikanische Schüler:innen. Der Bildungsforscher Sean Reardon von der Stanford University bringt es auf den Punkt: „Die einzigen Schulbezirke in den USA, in denen die rassischen Leistungsunterschiede auch nur annähernd gering sind, sind jene mit wenig oder keiner Segregation. Jeder moderat oder stark segregierte Bezirk hat große Leistungsunterschiede zwischen den ethnischen Gruppen.“ Was also verloren geht, ist nicht nur juristische Kontrolle. Es ist auch Zukunft.

Ohne Gerichtsurteil fällt jede Kontrolle. Bereits jetzt hat Concordia Probleme, die Vorgaben des Gerichts umzusetzen. Zahlreiche Jurist:innen des Justizministeriums haben gekündigt. Die wenigen, die bleiben, kämpfen gegen die Zeit – und gegen eine politische Welle, die das Wort „Integration“ wieder zur Bedrohung erklärt. Und Ferriday? Bleibt zurück. In maroden Klassenzimmern, mit defekten Sportanlagen und Lehrermangel. Brian Davis bringt es auf den Punkt: „Hier haben die Leute nicht die Mittel, ihre Kinder zu versetzen. Und die Schulen wie Ferriday, die gleiten einfach in die Dunkelheit.“

Was hier geschieht, ist nicht Geschichte. Es ist Gegenwart – und vielleicht schon bald Zukunft.

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