Mitten in der Nacht auf Mittwoch, den 18. Juni, klingelt es an der Wohnungstür einer georgischen Familie in Brigachtal. Die Polizei fordert die Eltern auf, sich innerhalb einer Stunde reisefertig zu machen. Der älteste Sohn, 19 Jahre alt, schwer an Muskeldystrophie erkrankt, wird ohne medizinische Begleitung und ohne seinen Elektrorollstuhl mitgenommen. Die Entscheidung, die diesem Zugriff zugrunde lag, wurde der Familie nur wenige Stunden zuvor per E-Mail zugestellt: Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte am Abend des 17. Juni die Ausbildungsduldung widerrufen. Die Familie lebte seit vier Jahren in Brigachtal – die Tochter befand sich in Ausbildung, der jüngere Sohn in der Schule, der Vater sprach Deutsch, die Mutter war im Gemeindeleben eingebunden. Die Polizei Konstanz bestätigte den Einsatz mit drei Fahrzeugen – ein Rettungswagen war nicht vorgesehen. Noch in derselben Woche ließ die Gemeinde die Wohnung versiegeln.
Besonderes öffentliches Aufsehen erregte der Fall, weil zwei namentlich bekannte Unterstützer sich frühzeitig an die Presse wandten. Martin Hayer, Nachbar der Familie, schrieb direkt an Thorsten Frei, CDU-Kanzleramtschef und Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises. In Interviews sprach Hayer davon, sich für den Vorgang zu schämen – für die Art und Weise, wie der Staat hier gegen eine gut integrierte Familie vorgegangen sei. Auch Pfarrer Dominik Feigenbutz, evangelischer Seelsorger aus Villingen, äußerte sich kritisch. Er warnte vor einem moralischen Dammbruch und wies auf die fehlende medizinische Versorgung des kranken Jugendlichen im Zielland hin. Eine öffentliche Reaktion von Thorsten Frei blieb bislang aus.
Der Fall reiht sich ein in eine zunehmende Zahl von Nachtaktionen gegen langjährig geduldete Menschen, darunter auch Familien mit Kindern oder gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen. Das Vorgehen erinnert in seiner Taktik an Maßnahmen, wie man sie unter der Trump-Regierung in den USA beobachten konnte: Bescheide per E-Mail, nächtliche Vollstreckung, Ausschluss effektiver Rechtsmittel – alles rechtlich gedeckt, aber politisch umkämpft. Auch dort begann es mit Härtefällen und mündete in Systematik. Deutschland ist nicht die USA – noch nicht. Doch die Parallelen sind sichtbar. Wer den Menschen nur noch als Fall verwaltet, verliert irgendwann das Maß – und vielleicht mehr.
Muskeldystrophie ist eine nicht heilbare, ständig fortschreitende Erkrankung, die im schlimmsten Fall letztendlich wegen Nachlassen der Atemmuskulatur zum Ersticken führt (falls man nicht vorher an was anderem stirbt.) Ich bin selbst Dystrophikerin, mittlerweile Pflegegrad 4 und auf Hilfe und Unterstützung im Alltag im Rollstuhl angewiesen – die Vorstellung, mitten in der Nacht aus dem Schlaf geholt und ohne meine Hilfsmittel abgeschoben zu werden, in ein Land, wo ich vermutlich nicht die medizinische Betreuung bekomme, die ich brauche, ist grauenhaft, kommt einem Todesurteil gleich. Mir unverständlich, wie in einem solchen Fall abgeschoben werden kann. Wie sich diese Familie, speziell der junge Mann, gefühlt haben muß, kann ich mir sehr gut vorstellen. – Ein Alptraum!
Nachfragen werden bei den behörden nicht beantwortet, so muss also der journalistische dampfhammer walten, wenn man das weiter recherchiert hat