Die Dunkelheit auf See

VonRainer Hofmann

Mai 19, 2025

Wie Trumps Budgetkürzungen das Lebenselixier der Ozeane austrocknen.

Es ist Nacht auf dem Pazifik. Die Wellen heben sich wie unsichtbare Berge, der Wind zerrt an den Masten, und unter den Füßen des Hafenlotsen Ed Enos tanzt das Meer. Für ihn ist dieser endlose Ozean nicht einfach eine Kulisse, sondern eine Welt voller Gefahren und Geheimnisse. Doch Enos hat eine Waffe: Wissen. Windgeschwindigkeit, Strömungsstärke, Wellengang – all das sind keine bloßen Worte für ihn, sondern die unsichtbaren Linien einer Landkarte, die sein Leben sichert. Und diese Karte bezieht er aus einem unschätzbaren Schatz: dem Integrated Ocean Observing System (IOOS).

Doch genau dieser Schatz steht vor dem Ende. Donald Trump will das gesamte föderale Budget für die regionalen Betriebseinheiten des Beobachtungssystems streichen. Wissenschaftler schlagen Alarm, denn diese Kürzungen bedeuten nicht weniger als das Abschalten eines kollektiven Radars, das die Geheimnisse der Meere offenbart – und damit die Lebensgrundlage für Fischer, Hafenlotsen und Wetterforscher zerstört.

Der Wert der Unsichtbaren – Wissen ist Leben

Seit zwanzig Jahren ist das IOOS ein Netz aus elf regionalen Verbänden, die sich über die USA und ihre Territorien spannen. Von Alaska über Hawaii bis zu den Großen Seen sammeln Universitäten, Forschungseinrichtungen, Naturschutzorganisationen und Unternehmen Daten. Sie messen Wasser- und Lufttemperaturen, Windgeschwindigkeiten, Strömungen und Wellenhöhen. Die gesammelten Informationen fließen in Echtzeit auf öffentliche Webseiten, frei zugänglich für all jene, die auf dem Wasser arbeiten – ob Fischer, die nach Algenblüten suchen, oder Schiffsführer, die Stürmen ausweichen.

Es ist ein System, das wie ein Schweizer Taschenmesser funktioniert: für den Pazifik als Fluchtkarte bei Tsunamis, für Hawaii als Hai-Überwachung und für den Golf von Alaska als Frühwarnsystem für giftige Algenblüten. Hier laufen die unsichtbaren Fäden zusammen, die den Ozean zu einem offenen Buch machen.

Doch in den Korridoren der Macht zählen keine Gezeiten. Dort geht es um Zahlen und Einsparungen. Und so steht das IOOS, das jährlich 43,5 Millionen Dollar erhält, nun vor dem Aus. Ein durchgesickerter Regierungsmemorandum aus dem April zeigt, dass das Handelsministerium, dem die NOAA und damit das IOOS unterstehen, Kürzungen von 2,5 Milliarden Dollar hinnehmen soll. Und mitten in diesem Einsparstrudel soll das Netz der Ozeanbeobachtung zerrissen werden – ironischerweise in einer Zeit, in der die Trump-Regierung gleichzeitig die Sammlung von Ozeandaten als Priorität hervorhebt.

Das Licht der Wissenschaft erlischt – Ein fatales Signal

Für Ed Enos und seine Kollegen ist das keine abstrakte Debatte. Es geht um Leben und Tod. Es geht darum, ob er sich weiterhin auf die aktuellsten Daten verlassen kann, wenn er bei Nacht und Sturm ein Schiff sicher in den Hafen führt. „Es ist das Letzte, was abgeschaltet werden sollte“, sagt Enos. „Es wird kein Geld verschwendet. Genau in dem Moment, in dem wir mehr Mittel für unsere Arbeit brauchen, um der Öffentlichkeit zu dienen, wollen sie uns den Stecker ziehen. Das ist die falsche Strategie zur falschen Zeit aus den falschen Gründen.“

Jack Barth, ein Ozeanograph aus Oregon, spricht von einem „Fenster zum Ozean“, das man einfach schließen würde. „Ohne diese Messungen werden wir schlicht nicht wissen, was auf uns zukommt. Es ist, als würde man die Scheinwerfer ausschalten.“

Doch Trump und seine Verbündeten im Kongress sind auf einem anderen Kurs. Während die NOAA den Verlust von Mitteln hinnehmen muss, diskutiert ein republikanisches Gesetzesvorhaben im Kongress sogar über eine Erhöhung der Fördergelder für die Netzwerke – 56 Millionen Dollar jährlich ab 2026. Ein Widerspruch, der die absurde Logik dieser Kürzungen offenbart: Sparen am Lebensnotwendigen und gleichzeitig die Bedeutung der Meeresdaten betonen.

Ein Kollaps der Vernunft – Das Meer wird zur blinden Gefahr

Wasser ist Leben. Aber das Leben im Wasser ist auch eine tödliche Bedrohung, wenn man seine Launen nicht kennt. Wenn das IOOS verschwindet, verschwindet nicht nur eine Datenbank. Es verschwindet der Blick auf Stürme, auf Tsunamis, auf die unsichtbaren Strömungen, die Schiffe zerbrechen und Küsten überfluten können.

Was bleibt, ist die Ignoranz. Eine Welt, in der sich Fischer in verseuchte Zonen wagen, weil ihnen die Algendaten fehlen. Eine Welt, in der Kapitäne auf blinde See steuern, weil sie keine aktuellen Strömungsdaten mehr haben. Eine Welt, in der Hurrikans unberechenbarer wüten und giftige Algenfahnen Strände verseuchen.

Es ist nicht nur eine Budgetentscheidung. Es ist ein Symbol. Ein Symbol für eine Regierung, die den Ozean als unendliche Weite sieht – ein leerer Raum, den man ausblenden kann. Doch für Menschen wie Ed Enos, die auf diesen Meeren leben und arbeiten, ist es alles andere als leer. Es ist eine Welt, die atmet, wütet und Leben spendet.

Und wenn die Lichter ausgehen, wird es nicht nur dunkel auf dem Ozean. Es wird dunkel in den Köpfen jener, die glauben, dass Wissen ein Luxus sei.

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