Man sieht einen Mann, der sich selbst regierte – und das ist das Ende der Demokratie. So funktioniert MAGA-Propaganda

VonRainer Hofmann

März 22, 2025

Es beginnt mit einem Tweet. Nicht von einem Journalisten, nicht aus einer Institution, sondern von einer selbsternannten „Patriotin“, die sich Insurrection Barbie nennt. Sie schreibt unter dem Account @DefiantlyFree, einer festen Größe in der rechten Echokammer der USA – einem digitalen Raum, in dem Begriffe wie „Wahrheit“, „Patriotismus“ und „Freiheit“ umdefiniert wurden, um als Schlagwaffen gegen Institutionen, Medien und demokratische Prozesse eingesetzt zu werden. „Insurrection Barbie“ ist Teil einer Szene rechter Influencerinnen, die ihre politische Identität mit der Ästhetik von Popkultur, Selbstinszenierung und maximaler Provokation vermischt. Ihr Pseudonym spielt ironisch auf ihren eigenen Look an – Sonnenbrille, Make-up, blonde Mähne – aber der Inhalt ist alles andere als harmlos. Der Name „Insurrection Barbie“ ist nicht zufällig gewählt: Er ist eine bewusst gesetzte Kombination aus Pop-Ikonografie und politischer Kampfansage – eine strategische Selbstinszenierung zwischen hyperfemininer Äußerlichkeit und radikalem Inhalt, die in rechten Onlinenetzwerken gezielt Aufmerksamkeit erzeugt und emotionale Bindung schafft. Der Post, den Trump teilt und kommentiert – „Aber es macht ihm nichts aus, wenn Kriminelle in unser Land kommen. Er ist eine Katastrophe für die Verfassung! DJT“, stammt von dieser Influencerin. Dahinter steckt laut unseren Recherchen eine rechtsaktivistische Bloggerin und Unternehmerin aus Texas, die sich im Milieu der MAGA-Bewegung, von QAnon-Anhängerinnen, „Stop the Steal“-Aktivistinnen und Impfgegnerinnen bewegt. Ihre Inhalte sind regelmäßig gespickt mit Buzzwords wie „Deep State“, „Tyrannei“, „politische Gefangene“ – und sie gilt als Teil eines Netzwerks, das gezielt Desinformation über die US-Justiz, die Demokraten und alle, die Donald Trump kritisieren, verbreitet. Ihre Beiträge erreichen täglich Hunderttausende. Sie wird auf einschlägigen Podcasts eingeladen, teilt Inhalte von Trump-nahen Aktivisten, greift liberale Politiker*innen frontal an – und ihre Worte werden weitergetragen: von Trollfarmen, rechten Telegram-Kanälen und schließlich, wie an diesem Sonntag, vom Präsidenten der Vereinigten Staaten selbst.

Ihr Beitrag erscheint harmlos im Ton, fast dokumentarisch. Aber in Wahrheit ist er ein Paradebeispiel dafür, wie rechte Desinformation funktioniert: Ein tatsächliches Ereignis – eine juristische Vorlesung von Richter James E. Boasberg – wird entstellt, aus dem Zusammenhang gerissen, neu gerahmt und zur Waffe gemacht. Was bleibt, ist ein verzerrtes Bild, das das Ziel verfolgt, Justiz zu diskreditieren und politische Narrative zu füttern. Und dann: Teilt der Präsident der Vereinigten Staaten diesen Beitrag. Nicht, um aufzuklären. Nicht, um zu differenzieren. Sondern um zu eskalieren. Am 23. März 2025 ist der Präsident der Vereinigten Staaten wieder Donald J. Trump. Nicht als Schatten über der Demokratie, sondern als ihr offizielles Staatsoberhaupt. Und wie ein König ohne Krone, aber mit allen Schlüsseln zur Macht, sitzt er im Oval Office – umgeben von Beratern, Sendesignalen und einer Realität, die nur in seinem Spiegelbild existiert. An diesem Sonntag teilt dieser Präsident einen Screenshot. Kein Regierungsschreiben. Keine außenpolitische Note. Keine juristische Mitteilung. Sondern den Post einer Frau, die sich „Insurrection Barbie“ nennt – eine rechte Influencerin mit auffälliger Selbstdarstellung, einem Publikum in den Hunderttausenden und einer Agenda: Institutionen unterwandern, Zweifel säen, das Gefühl von Ausnahmezustand kultivieren.

Hier der vollständige, ins Deutsche übertragene Text, den Donald Trump auf Truth Social teilte – und damit amplifizierte: Insurrection Barbie (@DefiantlyFree). In einer Rede, die am 24. Januar 2023 vor Jurastudenten gehalten wurde, gab Richter Boasberg (der viele J6-Fälle verhandelte) offen zu, dass er nicht glaube, dass es ausreichend strenge Gesetze gebe, um die Angeklagten vom 6. Januar zu bestrafen. Er sagte: „Es gibt noch viele Gesetze zu schaffen.“ Die Übereinstimmung der den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit bestehenden Gesetzen sei eine Herausforderung, und es habe keine Gesetze gegeben, in denen ausdrücklich stand, dass es eine Straftat sei, das Kapitol zu stürmen und den Vorgang der Bestätigung der Stimmen des Wahlkollegiums nach der Präsidentschaftswahl zu behindern. Er erklärte außerdem ausdrücklich, dass Menschen sich zu Vergehen schuldig bekannten, die nicht hart genug seien. Zum Beispiel hätten sich Leute wegen des Ordnungswidrigkeitstatbestands des „Paradierens, Demonstrierens oder Protestierens in einem Regierungsgebäude“ schuldig bekannt – ein Gesetz, das eigentlich dafür gedacht war, Personen zu erfassen, die laut rufen und den Kongress stören, nicht für das Verbrechen, das Kapitol zu stürmen. Er sprach offen über seine Voreingenommenheit gegenüber diesen Angeklagten, während er vor zukünftigen Juristen sprach. Er meinte, man hätte die Menschen anders behandeln sollen – einfach weil es sich um den 6. Januar handelte…

Wenn ihr nicht wollt, dass wir diese Leute bloßstellen, sollten sie vielleicht lernen, ihre Voreingenommenheit besser zu verbergen. Donald J. Trump selbst kommentierte diesen Beitrag mit den Worten: „Aber es macht ihm nichts aus, wenn Kriminelle in unser Land kommen. Er ist eine Katastrophe für die Verfassung! DJT.“ Gemeint ist: Richter James E. Boasberg, Vorsitzender Richter des FISA-Gerichts, ein erfahrener Jurist, der aktuell auch den Vorsitz in der rechtlich wie moralisch hoch umstrittenen Frage um Abschiebeflüge nach El Salvador innehat. Boasberg steht dabei vor einem juristischen Minenfeld: Dürfen Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen nachweislich Gewalt, Verfolgung oder Tod drohen – nur weil politische Mehrheiten es so wollen? Das FISA-Gericht (Foreign Intelligence Surveillance Court) ist ein US-amerikanisches Geheimgericht, das Überwachungsanträge von Behörden wie dem FBI oder der NSA im Bereich der nationalen Sicherheit prüft. Es geriet nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 verstärkt in den Fokus, weil viele Ermittlungen sich auf Informationen aus verdeckten Überwachungsmaßnahmen stützten. Doch wer mit Studierenden der Georgetown University sprach, die am 24. Januar 2023 bei Boasbergs Rede anwesend waren, erfuhr: Die Aussagen des Richters wurden gezielt entstellt. Boasberg warnte davor, dass das bestehende Strafrecht nicht präzise genug auf Ereignisse wie den Sturm aufs Kapitol vorbereitet sei. Er sprach nicht von Nachsicht – sondern von rechtsstaatlicher Weiterentwicklung. „Es gibt noch viele Gesetze zu schaffen.“ Kein Eingeständnis von Milde, sondern der nüchterne Hinweis eines Juristen, der weiß, dass Demokratie auch in Paragrafen Ausdruck finden muss, wenn sie überleben will.

Dass ausgerechnet der Präsident der Vereinigten Staaten diese Aussage hernimmt, sie verzerrt und öffentlich angreift, ist mehr als ein politischer Schachzug. Es ist ein Akt der gezielten institutionellen Erosion. Und man muss es so klar sagen: Donald Trump regiert nicht in einer politischen Ordnung, sondern in einem Zustand systematisierter Selbstverklärung. Kein Wahn im medizinischen Sinne – sondern ein bewusst konstruiertes Geflecht aus Bestätigung, Angriff und Entfremdung. Die Justiz ist in seinen Augen nicht unabhängig, sondern Teil eines „korrupten Deep States“. Richter sind keine Sachverwalter, sondern Feinde. Verfahren gegen ihn sind keine Rechtsstaatlichkeit, sondern „Hexenjagden“. Das Problem dabei: Er glaubt es. Und Millionen glauben mit ihm. Währenddessen kämpfen andere – leise, entschlossen, oft bedroht. Richter wie Boasberg, Journalist*innen, NGOs, zivilgesellschaftliche Gruppen, Aktivisten und Teile der Gesellschaft. Sie kämpfen gegen Einschüchterung, gegen Lügen, gegen die langsame Aushöhlung von Wahrheit. Und sie tun es oft allein, aber es werden mehr, in diesem Kampf um den Erhalt der Demokratie und darum, anderen Ländern ein solches Szenario zu ersparen. Wie lange kann so jemand noch im Weißen Haus sein Land und die Welt terrorisieren, ohne dass ihm endlich jemand den Schlüssel zur Macht entzieht? Die Antwort liegt nicht in Umfragen. Nicht im nächsten Wahltermin. Sondern in der Frage: Wann begreifen wir, dass Demokratie nicht bloß vom Wählen lebt – sondern vom Widerspruch? Denn Trump verbreitet nicht nur Meinungen. Er verbreitet Zweifel, Desinformation, Ressentiment – durch Retweets, durch Symbole, durch Screenshots wie diesen. Und das ist keine Laune. Es ist Strategie. Wer das als Nebensache abtut, hat das Prinzip Propaganda nie verstanden.

Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x