Wann bekommt Friedrich Merz das orangene Toupet? – Deutschland im Schatten eines republikanischen Traums

VonRainer Hofmann

Juli 3, 2025

Ein Land, das seine Entwicklungshilfe um eine Milliarde Euro kürzen möchte, die parlamentarische Entscheidung erfolgt am 9. Juli, Menschenrechte relativiert und schwerkranke Menschen ohne Rollstuhl abschiebt – was bleibt davon noch, außer einem Echo autoritärer Ideologien, die einst in Washington begannen und nun im Bundestag leiser, aber nicht minder zerstörerisch weiterklingen? Die Frage ist nicht mehr, ob Friedrich Merz auf Donald Trumps Spuren wandelt, sondern nur noch, wann ihm das passende orangefarbene Toupet gereicht wird. Der politische Drift ist längst vollzogen. Die Transformation erfolgt nicht mit Getöse, sondern mit Haushaltsvermerken, Verwaltungsakten und nächtlichen Polizeiklingeln. Die deutsche Entwicklungshilfe soll drastische Einschnitte erhalten. SPD und CDU segneten ein Haushaltskonzept ab, das aus einem Trumpschen Drehbuch stammen könnte. Der Globale Süden? Ein Klotz am Bein. Demokratieexport? Nicht mehr rentabel. Fluchtursachen bekämpfen? Nur, wenn es der Rückführungsbilanz dient. Der neue Kurs ist brutal in seiner Ehrlichkeit: „Why should we pay for the world’s problems?“ – so hatte es Donald Trump einst formuliert. Nun heißt es in Berlin: Hilfe nur, wenn sie sich für Deutschland „lohnt“. Und das ist keine Außenpolitik mehr. Das ist Standortideologie mit Stacheldrahtdenken. Doch die Entwicklungshilfe ist nur der Anfang. Die deutschen Debatten zur Migrationspolitik lesen sich inzwischen wie eine schlecht übersetzte Version amerikanischer Hardliner-Skripte: Transitzonen, Drittstaatenlösungen, Visasperren. Pushbacks als Notwendigkeit, nicht als Tabu. Innenminister, die Integration durch Zwang ersetzen wollen. Olaf Scholz, (Ich meine in diesem Fall auch Scholz, nicht Klingbein, aufgrund seiner Vergangenheit als Kanzler), trägt das mit, schweigt klug. Merz hingegen spricht Klartext: „Wir müssen die Pull-Faktoren beseitigen.“ Gemeint ist: der Rechtsstaat. Das Asylrecht. Die Menschenwürde. Alles, was noch ein bisschen Hoffnung bedeutet.

Und Hoffnung? Die verlässt Deutschland gerade in Transportflugzeugen. Oder in Polizeibussen um drei Uhr morgens. Es sind Kinder, die abgeschoben werden – ohne Ankündigung, ohne Rollstuhl, ohne medizinische Versorgung. Es sind Familien, denen man sagte: „Integriert euch“, und die dann mitten aus dem Schulalltag gerissen werden. In Brigachtal etwa wurde ein 19-jähriger Junge mit Muskeldystrophie in die Dunkelheit verfrachtet – obwohl er Therapien hatte, obwohl er zur Schule ging. Der Staat kam in der Nacht. Und man nennt das Verwaltungsvollzug. Wer nun denkt, dass wenigstens die Institutionen, die Bildung, die Schulen gestärkt werden – irrt. Die öffentliche Infrastruktur bröckelt, die Klassenzimmer überfüllen sich. Die Schulsozialarbeit wird zusammengestrichen, Sprachförderung gestrichen, Ganztagsbetreuung gestrichen. Es ist ein Rückzug auf Raten. Die GEW spricht von einem „stillen Notstand“. Es ist der Lärm des Desinteresses, der ihn übertönt. Wenn der Staat sich aus Bildung zurückzieht, bleibt Raum für Ideologie. Oder wie es die CDU nennt: „Schluss mit der Gender-Ideologie.“ Die Regenbogenfahne, einst ein stilles Versprechen auf Sichtbarkeit, wird zum Feindbild. In Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt wird ihre Präsenz an Amtsgebäuden bekämpft. Im Bundesinnenministerium wird sie eingerollt – offiziell zur „Wahrung der Neutralität“. Faktisch wurde damit ein Rückschritt markiert, eine Kapitulation vor dem konservativen Kulturkampf. Und es ist exakt jener Kulturkampf, den Trump seit Jahren gegen „Wokeness“, „Drag-Shows“ und „Linke Universitäten“ führt. Nur dass er hier mittlerweile in Ministerien angekommen ist.

Der Rückzug ist nicht nur kulturell, er ist geopolitisch: Deutschlands Anteil an der globalen Impfstoffverteilung sinkt. UN-Projekte werden nicht mehr mitfinanziert. Seenotrettung? Deligitimiert. NGOs? Verdächtig. Hilfsorganisationen geraten unter Rechtfertigungsdruck – ob sie nicht etwa „Migration fördern“. Was bei Trump „Globalist NGOs“ waren, sind hierzulande „linke Helfer“. Die Sprache ist unterschiedlich. Der Verdacht derselbe. Und wenn Friedrich Merz davon spricht, dass „Leistung“ wieder in den Vordergrund rücken müsse, dann ist das nicht nur Wahlkampf. Es ist eine ideologische Umschreibung von Nützlichkeit. Wer „nützlich“ ist – bleibt. Wer nicht – geht. Das ist wirtschaftsautoritär. Das ist nicht demokratisch. Und es ist exakt jene Selektion, die Trump einst mit dem Satz rechtfertigte: „They’re not sending their best.“ Was hier geschieht, ist keine Trumpisierung im klassischen Sinne. Es ist eine schleichende Übernahme republikanischer Denkfiguren – entkoppelt von Personalien, aber durchsetzt mit denselben Werten: Abschottung statt Kooperation. Zwang statt Partnerschaft. Misstrauen statt Empathie. Und wenn SPD-Politiker dabei mitspielen, ist das nicht mehr politische Mitte. Es ist politische Mimikry. Friedrich Merz muss sich kein Toupet aufsetzen. Er trägt Trumps Programm längst im Herzen. Nur das Make-up der Vernunft ist deutsch. Der Rest ist amerikanische Exportware – made in Mar-a-Lago, delivered to Berlin.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
12 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Sandra, Eichstädt
Sandra, Eichstädt
2 Monate zuvor

Super Text und wie wahr

basti
basti
2 Monate zuvor

Ich warte schon lange auf amerikanische Verhältnisse bei uns.

Achim Seidel
Achim Seidel
2 Monate zuvor

F.ck Merz, nicht besser als die AFD

Malte L.
Malte L.
2 Monate zuvor

Wir müssen unsere Demokratie schützen. Noch ist es schleichend, aber man bemerkt schon, daß in Deutschland schon lange nichts mehr in Ordnung ist.

Anna-Maria Wetzel
Anna-Maria Wetzel
2 Monate zuvor

Danke für Ihren guten Kommentar, ich bin ganz Ihrer Meinung und erschüttert über den Rechtsruck in.Deutschland.

Lutz Bergener
Lutz Bergener
2 Monate zuvor

Ein sehr guter Artikel. Leider liest man in den meisten Medien nur das übliche Nachsprechen. Danke

Lea Ofrafiki
Lea Ofrafiki
2 Monate zuvor

Mir graut vor amerikanischen Verhältnissen in Deutschland!

Eric
Eric
2 Monate zuvor

Wie bestellt, so bekommen

12
0
Would love your thoughts, please comment.x