Der Preis der Standhaftigkeit – Wie Thom Tillis Trumps Steuergesetz zu Fall bringen wollte und an seiner Partei scheiterte

VonRainer Hofmann

Juni 29, 2025

Washington, 29. Juni 2025 – Es war ein Moment von seltener Klarheit in einer Ära politischer Vernebelung. In der Nacht von Samstag auf Sonntag stimmte der US-Senat mit 51 zu 49 Stimmen für den nächsten Schritt auf dem Weg zu einem Gesetz, das alles verändert: Donald Trumps gigantisches Steuer- und Sparpaket, getauft auf den Namen „One Big Beautiful Bill Act“. Ein 940 Seiten langes Dokument voller Steuergeschenke, Sozialkürzungen und massiver Ausgaben für Abschiebungen – und ein Lackmustest für die republikanische Partei, wer sich noch traut, Nein zu sagen. Nur zwei republikanische Senatoren widersetzten sich. Einer davon war Thom Tillis aus North Carolina. Am Tag darauf zog er Konsequenzen und kündigte an, nicht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. „Unabhängiges Denken ist in Washington zur aussterbenden Disziplin geworden“, erklärte Tillis in einem Statement, das so ruhig war wie seine Entscheidung radikal: ein Nein zu Trump, ein Ja zum Gewissen – und der stille Rückzug eines Politikers, der sich weigert, im Gleichschritt unterzugehen.

Die Abstimmung am Samstag war dramatisch. Während Vizepräsident JD Vance im Kapitol auf Standby saß, um bei einem Patt einzugreifen, brach die Debatte über das Gesetz stundenlang zusammen. Abgeordnete verließen den Plenarsaal, führten hitzige Einzelgespräche hinter verschlossenen Türen. Nur mit Mühe brachte die Parteiführung die eigene Mehrheit zustande – durch Druck, Deals und Drohungen. Erst als Ron Johnson nach langen Verhandlungen das Lager wechselte und Lisa Murkowski sich dem Fraktionswillen anschloss, stand die Mehrheit. Doch Tillis blieb standhaft – und wurde prompt von Trump persönlich attackiert. „Tillis ist ein Jammerlappen, kein Macher“, polterte der Präsident auf Truth Social. Er warf dem Senator vor, er wolle sich bloß profilieren und habe „nichts für North Carolina getan“, insbesondere nach den Flutkatastrophen des vergangenen Jahres. Auch Rand Paul aus Kentucky stimmte gegen die Vorlage – allerdings aus Sorge um die Schuldenobergrenze. Doch Tillis’ Argumente wogen schwerer: Die Kürzungen bei Medicaid und Lebensmittelausgaben würden in seinem Bundesstaat hunderttausende Menschen treffen. Ein Bericht des Congressional Budget Office warnte bereits: Das Gesetz könnte bis 2034 mehr als 11 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung kosten. Für Tillis zu viel – für seine Partei offenbar nicht.

Dabei ist der Weg des Gesetzes noch nicht zu Ende. Der Senat hat mit der Abstimmung lediglich ein Verfahrenstor geöffnet. Nun beginnt die mühsame Debatte über Änderungsanträge, die sich über Tage hinziehen dürfte. Sollte der Senat das Paket final verabschieden, muss anschließend das Repräsentantenhaus erneut abstimmen, da der Senatsentwurf in wesentlichen Punkten von der bereits verabschiedeten Version der anderen Kammer abweicht. Erst danach kann das Gesetz dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Trump drängt auf Vollzug bis zum 4. Juli – dem Nationalfeiertag, der für ihn zum politischen Siegestag werden soll. Doch der Preis ist hoch. Innerhalb der republikanischen Partei wächst die Unruhe. Einige Senatoren verlangen Nachbesserungen bei den Gesundheitskürzungen, andere wollen noch schärfere Einschnitte. Ein Streitpunkt bleibt auch der SALT-Abzug – eine Steuererleichterung für Bewohner von Hochsteuerstaaten wie New York, deren neue Obergrenze von 40.000 Dollar auf fünf Jahre befristet ist. Die Spannungen sind überall spürbar. Und über allem schwebt Trumps eiserner Wille zur Disziplinierung. Tillis hat sich dem entzogen. Er telefonierte am Vorabend noch mit Trump, versuchte, bei Medicaid eine Kompromisslinie zu finden – vergeblich. Am Ende entschied er sich für Integrität statt Loyalität. „Ich bin stolz auf meine Arbeit. Und ich würde keinen meiner parteiübergreifenden Schritte rückgängig machen“, sagte er. Sein Abschied ist mehr als ein Mandatsverzicht. Er ist eine Anklage: gegen eine Partei, die Kritik nicht mehr duldet, und gegen einen Präsidenten, der jeden Dissens als Verrat brandmarkt. Wenn der „One Big Beautiful Bill Act“ eines zeigt, dann das: Die republikanische Partei ist fest in Trumps Griff – und wer sich ihm entzieht, wird geopfert. Thom Tillis hat diesen Preis gezahlt. Würdevoll. Still. Und mit Rückgrat.

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