Los Angeles, Mai 2025 – Es war ein Tag wie viele im Labyrinth der amerikanischen Migrationsbürokratie: funktional, überfüllt, gefühllos. Doch was sich am 29. Mai im Flur des Immigration Court in Los Angeles ereignete, markierte einen moralischen Tiefpunkt, der schwerer wiegt als jedes Gesetz. Eine honduranische Mutter erscheint mit ihren beiden Kindern – einer Tochter, neun Jahre alt, und einem Jungen, sechs, der an Leukämie leidet. Sie hatten gehofft, ihren Asylantrag weiterverfolgen zu dürfen. Doch was ihnen begegnete, war kein Gericht, sondern ein Hinterhalt. Kaum treten sie aus dem Saal, warten Männer in Zivil. ICE-Beamte. Keine Warnung. Keine Anhörung. Kein Respekt. Einer der Agenten hebt sein Hemd, um demonstrativ seine Waffe zu zeigen – vor einem todkranken Kind. Der Junge erschrickt, uriniert sich vor Angst ein, seine Kleidung bleibt stundenlang durchnässt. Kein Trost, kein Wechsel, kein Mitgefühl. Statt medizinischer Versorgung folgt stundenlange Festhaltung – dann die Verbringung nach Texas, ins berüchtigte Dilley Detention Center. Hunderte Kilometer entfernt vom nächsten Behandlungstermin. Vom Nötigsten.
Die Familie hatte legalen Parolestatus, lebte seit Monaten bei Verwandten in Los Angeles. Die Kinder gingen zur Schule, malten, spielten im Park, besuchten sonntags die Kirche. All das ignorierte der Staat – und behandelte sie wie Staatsfeinde. Die Anwältin Elora Mukherjee von der Columbia Law School und das Texas Civil Rights Project haben Klage eingereicht. Sie berufen sich auf zwei tragende Säulen der US-Verfassung: das Verbot willkürlicher Festnahmen und das Recht auf ein faires Verfahren. Beides wurde in diesem Fall systematisch verletzt. Denn das ist kein bedauerlicher Ausreißer – es ist Absicht. Die Trump-Regierung hat eine Quote ausgegeben: 3.000 Festnahmen pro Tag. Eine Million pro Jahr. Angeblich gehe es um „gefährliche Kriminelle“. Doch laut Zahlen des Cato Institute waren 93 Prozent der Festgenommenen in diesem Jahr nie wegen Gewaltverbrechen verurteilt. Ihre Schuld? Sie existieren. Sie hoffen. Sie glauben, dass ein US-Gericht ein Ort der Gerechtigkeit sei – nicht ein Vorzimmer der Deportation.
Nun droht der Familie die Abschiebung im Schnellverfahren – ohne neue Anhörung, ohne Verteidigung, ohne medizinische Behandlung. Das Heimatschutzministerium schweigt. Kein Dementi, kein Mitgefühl, kein Hauch von Verantwortung. In San Antonio, Los Angeles und anderen Städten formieren sich Proteste. Denn irgendwann ist eine Grenze überschritten. Man verhaftet keine Kinder. Man verhaftet keine Kranken. Man missbraucht keine Gerichte als Fallen. Und man darf sich nicht demokratisch nennen, wenn man die Schwächsten ohne Not zerstört. Was hier geschieht, ist keine Episode. Es ist eine Zäsur. Ein Staat, der sich gegen ein krebskrankes Kind richtet, verliert mehr als nur sein Ansehen – er verliert seinen Anspruch, gerecht zu sein.
Anmerkung:
Aus Achtung vor der Würde und Sicherheit der betroffenen Familie und im Bewusstsein unserer Verantwortung gegenüber dem Kinderschutz haben wir uns entschieden, weder Bilder noch Videoaufnahmen dieses Falles zu veröffentlichen. Wenn ein Land wie die Vereinigten Staaten diese Grenzen nicht mehr respektiert, ist es umso wichtiger, dass wenigstens der Journalismus es tut.
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