Nachbetrachtung zu unserem vorherigen Artikel über das Compact-Urteil: Manchmal reicht ein Blick auf Telegram, um zu begreifen, wie tief die Republik gefallen ist. Martin Sellner, verurteilter Rechtsextremist, Chefdenker der „Remigration“ und Symbolfigur des digitalen Ethnonationalismus, verkündet am Tag eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts höchstselbst die juristische Weltdeutung – und niemand lacht. Im Gegenteil: Die Rechten jubeln. Die Linken verstummen. Und ein deutsches Höchstgericht hat sich selbst zum Erfüllungsgehilfen einer gefährlichen Normalisierung gemacht, die nur eines kennt: den Rückfall. Denn das Urteil, das die vom Innenministerium ausgesprochene Verbotsverfügung gegen das rechtsextreme COMPACT-Magazin für rechtswidrig erklärt, ist kein Sieg für die Pressefreiheit, sondern eine Kapitulation. Eine richterliche Bankrotterklärung im Anzug der Neutralität. Man habe, so das Gericht, zwar „Nähe zum Remigrationskonzept“ festgestellt, aber keine „prägende Ausrichtung“. Was klingt wie eine Einschätzung über die Raumtemperatur eines Gulags, ist in Wahrheit die juristische Relativierung menschenverachtender Ideologie. Nicht schlimm genug, nicht gefährlich genug, nicht ganz Nazi – nur halbnazistisch. Und damit offenbar: erlaubt.

Die Begründung hat es in sich. Man schwingt sich auf zur Feststellung, dass das Vereinsrecht sehr wohl auf Medienunternehmen anwendbar sei. Um dann, im nächsten Atemzug, einzuräumen, dass man es eben in diesem Fall trotzdem lieber sein lässt. Zu wenig prägend. Zu viel Grauzone. Zu viel politische Feigheit. Wer so urteilt, nimmt in Kauf, dass Extremisten künftig justiziable Slogans durch weichgespülte Schlagzeilen ersetzen – und sich dafür auch noch auf das Bundesverwaltungsgericht berufen dürfen. Kein Wunder, dass bei COMPACT und in den Kommentarketten von Telegram und X (ehemals Twitter) bereits Champagnerflaschen entkorkt werden. Endlich hat man die Pressefreiheit gekapert – mit dem Siegel der deutschen Justiz. Besonders bizarr: Selbst AfD-Vertreter wie Krzysztof Walczak und René Springer erkennen, was das Urteil tatsächlich bedeutet. „Brandgefährlich“ nennt Walczak die Begründung – weil sie künftige Verbote politisch justiziabel macht. Gemeint ist natürlich: Man traut dem Gericht keine Standfestigkeit mehr zu. Und das zu Recht. Denn wer in der Bewertung des Remigrationskonzepts ernsthaft zwischen Analyse und Zustimmung unterscheidet, als sei Sellners rassistisches Projekt ein bloßes Meinungsstück im Feuilleton, hat bereits jeden Maßstab verloren. Noch absurder: Das Gericht bemängelt, dass die COMPACT-Inhalte „nicht prägend genug“ für ein Verbot gewesen seien. Man müsse sich das vorstellen wie ein Brandsatz, der nur zur Hälfte geworfen wird – und deshalb rechtlich durchgeht. Weil die Flammen ja nicht das ganze Haus erfasst haben. Und die Familie im Erdgeschoss überlebt hat.
Dass nun ausgerechnet der Rechtsextremist Martin Sellner höchstselbst auf Telegram das Urteil bewertet und dabei die mediale Deutungshoheit beansprucht, ist keine Petitesse. Es ist ein Offenbarungseid. Wenn sich ein Neonazi zum legitimen Ausleger eines höchstrichterlichen Urteils aufschwingt und niemand widerspricht, dann ist das kein Skandal – es ist die neue Normalität. Und wenn ein Gericht, das „Bundesverwaltungsgericht“ heißt, eine verfassungsfeindliche, rassistische, verschwörungstheoretische Propagandaschleuder wie COMPACT dadurch adelt, dass es ihr Schutzrechte zuspricht, dann muss man fragen, wer hier eigentlich geschützt wird – die Demokratie oder ihre Feinde? Nein, dieses Urteil ist kein Sieg der Freiheit, sondern ein Schlag ins Gesicht jener, die für sie kämpfen. Es ist kein Urteil, sondern ein politischer Kniefall. Und es trägt – so sehr man sich auch winden mag – den fahlen Geruch der historischen Wiederholung. Urteil mit Gruß aus Braunau.
