Zwischen Justiz und Abschiebung – Richterin ordnet Freilassung von Kilmar Abrego Garcia an, doch ICE plant erneute Inhaftierung

VonRainer Hofmann

Juni 23, 2025

Nashville, Tennessee – 23. Juni 2025 – Ein Fall, der längst Symbolcharakter für die umstrittene Abschiebepolitik von Präsident Donald Trump erlangt hat, hat am Wochenende eine neue Wendung genommen: Die US-Magistratsrichterin Barbara D. Holmes (Az. 3:24-cr-00096) ordnete am Sonntag die Freilassung von Kilmar Abrego Garcia an – unter Auflagen und in Anerkennung der Unschuldsvermutung. Doch seine Freilassung bleibt aller Wahrscheinlichkeit nach eine juristische Fiktion. Die US-Einwanderungsbehörde ICE hat bereits angekündigt, ihn im Falle seiner Entlassung unmittelbar wieder in Gewahrsam zu nehmen – mit dem Ziel, ihn abzuschieben, noch bevor ein Strafprozess beginnen kann.

„Jeder Angeklagte hat das Recht auf eine faire und vollständige Prüfung der Frage, ob er bis zum Prozess in Haft bleiben muss“, schrieb Holmes in ihrer Verfügung. Die Regierung habe nicht ausreichend belegt, dass von Abrego Garcia eine konkrete Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehe oder dass er sich dem Verfahren entziehen würde. Auch die Behauptung, er könne Zeugen einschüchtern oder das Verfahren behindern, sei nicht überzeugend nachgewiesen worden. Doch Holmes selbst sprach in ihrer Entscheidung offen von einem „weitgehend akademischen Verfahren“, da ICE bereits im Gerichtssaal zu erkennen gegeben hatte, den Mann ungeachtet richterlicher Entscheidungen erneut in Gewahrsam zu nehmen.

Bei der Anhörung am 13. Juni hatte der stellvertretende Bundesstaatsanwalt Rob McGuire argumentiert, die Möglichkeit einer sofortigen Abschiebung durch ICE sei ein Grund, Abrego Garcia weiterhin in U-Haft zu behalten. Richterin Holmes konterte entschieden: „Wenn ich mich entscheide, Herrn Abrego freizulassen, werde ich die Bedingungen der Freilassung festlegen – und der U.S. Marshal wird ihn entlassen. Was ICE dann tut, liegt nicht in meiner Zuständigkeit.“ Ein für Mittwoch angesetzter Gerichtstermin soll nun klären, ob und unter welchen Bedingungen Abrego Garcia tatsächlich freigelassen werden kann – oder ob die Abschiebebehörden ihm erneut zuvorkommen. Die US-Regierung hat unterdessen bereits Berufung gegen den Freilassungsbeschluss eingelegt.

Kilmar Abrego Garcia war 2024 nach El Salvador abgeschoben worden, obwohl ein gültiger Abschiebeschutz aus dem Jahr 2019 bestand. Damals hatte ein Einwanderungsrichter festgestellt, dass Abrego in seinem Heimatland ernsthafte Bedrohungen durch kriminelle Banden drohen. Nur durch eine Anordnung des Obersten Gerichtshofs konnte er nach internationalem Protest zurückgeholt werden. Die aktuellen Anklagen wegen Menschenschmuggels basieren auf einem Vorfall aus dem Jahr 2022, bei dem Abrego bei einer Verkehrskontrolle mit neun weiteren Personen im Fahrzeug gestoppt wurde. Die Beamten ließen ihn nach einem Hinweis auf überhöhte Geschwindigkeit jedoch weiterfahren. Erst Wochen nach seiner Deportation wurde die Ermittlungsakte plötzlich reaktiviert. Laut Verteidigung handelt es sich bei der Anklage um einen durchschaubaren Versuch, das rechtswidrige Vorgehen der Regierung im Nachhinein zu legitimieren. Staatsanwalt McGuire wiederum führte in der Anhörung nicht nur die Menschenschmuggel-Vorwürfe an, sondern verwies auf nicht belegte Aussagen kooperierender Zeugen, die Abrego unter anderem Drogen- und Waffenhandel sowie Gewalt gegen Frauen vorwerfen. Keine dieser Vorwürfe fand bislang Eingang in eine Anklageschrift.

Der Fall hat sich inzwischen zu einem Prüfstein für die Rechtsstaatlichkeit in Zeiten verschärfter Abschiebepolitik entwickelt. Abrego Garcia hat sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen und auf nicht schlüssige Beweise verwiesen. Dass die US-Regierung nun offenbar erneut versucht, ihn ohne richterliche Entscheidung und vor jedem Prozess außer Landes zu schaffen, stößt bei Menschenrechtsorganisationen und Verfassungsrechtlern auf scharfe Kritik. Der renommierte Jura-Professor César Cuauhtémoc García Hernández von der Ohio State University erklärte, dass die Regierung Abrego auch ohne Verurteilung abschieben könne, da er illegal ins Land gekommen sei. Die juristischen Hürden im Migrationsrecht seien deutlich niedriger: „Die Beweislast liegt beim Betroffenen – und nicht bei der Regierung.“ Laut Professor García Hernández könnte ICE eine sogenannte Drittstaatsabschiebung anstreben, sofern El Salvador auf Basis des Schutzurteils von 2019 nicht infrage kommt. Doch auch dafür müsste erst ein Drittstaat gefunden werden, der zur Aufnahme bereit ist – eine Hürde, die in der Vergangenheit häufig nicht genommen wurde.

Wie sich die US-Regierung in den kommenden Tagen entscheidet, wird weit über Nashville hinaus beobachtet. Die Frage steht im Raum: Gilt in Trumps Amerika das Primat der Strafjustiz – oder das Primat der Abschiebungspolitik? Kilmar Abrego Garcia bleibt vorerst in Haft. Nicht weil ein Gericht dies anordnet, sondern weil die Exekutive es so will. Die nächste Anhörung vor Richterin Holmes dürfte darüber entscheiden, ob sich daran etwas ändert – oder ob dieser Fall als weiteres Beispiel für den Zusammenstoß von Rechtsstaat und Abschiebepraxis unter Donald Trump in die Geschichte eingeht.

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