Die Schattenarmee

VonRainer Hofmann

Mai 9, 2025

Wie Trump die Kontrolle über die Bedrohung von innen untergräbt

Unsere Recherchen führen tief in das Herz einer Bewegung, die sich nicht mehr im Verborgenen organisiert, sondern längst offen trainiert, marschiert und rekrutiert. Es ist kein bloßes Netzwerk rechter Ideologen, es ist eine disziplinierte Formation, die sich auf einen Moment vorbereitet, den sie als unausweichlich betrachtet: den gesellschaftlichen Kollaps. Die Gruppe nennt sich Patriot Front. Entstanden nach dem Blut von Charlottesville, abgespalten von Vanguard America, zeigt sie sich nicht mehr mit Hakenkreuzen, sondern mit Uniformen, Symbolen, Fahnen und Kampfstiefeln. Was früher braun war, ist heute olivgrün, beige und taktisch durchorganisiert.

Im Süden der USA, vor allem in Tennessee, Alabama und Texas, wächst ihr Einfluss. Sie marschieren in Reih und Glied, trainieren Nahkampf in abgelegenen Wäldern und organisieren Camps, deren Existenz von offizieller Seite ignoriert wird. Ihre Rhetorik ist alt, aber ihr Auftreten ist modern. In geleakten Chatprotokollen, die bereits 2022 über Unicorn Riot öffentlich wurden, sprachen Mitglieder offen über Gewaltfantasien gegen Juden, Schwarze, Linke. Dennoch wurde ihr Gewaltpotenzial systematisch unterschätzt, oder bewusst verharmlost.

Zielgerichtet rekrutieren sie junge weiße Männer. Meist sportlich, oft verunsichert, manchmal mit militärischem Hintergrund. Ihre Propaganda ist glatt, digital, konsumierbar: Videos, Musik, Memes, Sticker, Banner über Highways. Und sie trifft auf Resonanz, denn der Staat zieht sich zurück. Unter der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps geschieht das systematisch – nicht laut, sondern leise. Im März 2025 schließlich der nächste, unscheinbare Schnitt: Die nationale Datenbank zur Erfassung inländischen Terrorismus – betrieben von der University of Maryland, finanziert mit drei Millionen Dollar durch das Department of Homeland Security – wird abgeschaltet. Still, ohne Debatte. Damit verschwinden auch die strukturellen Grundlagen, auf denen Behörden rechtsextreme Gewalt überhaupt erkennen konnten. Und mit ihnen verschwindet die Möglichkeit politischer Kontrolle.

Diese Entscheidung ist nicht neutral. Sie ist eingebettet in eine Geschichte. Schon 2018 entzog die Trump-Regierung Initiativen gegen rechtsextreme Radikalisierung die Mittel – darunter „Life After Hate“. 2020 meldete ein DHS-Whistleblower, dass Berichte über weiße suprematistische Gewalt auf Anweisung aus dem Weißen Haus weichgespült oder gestrichen wurden. Und selbst nachdem DHS-Chef Chad Wolf unter Eid erklärte, dass weiße Suprematisten die „anhaltend tödlichste Bedrohung“ für die Vereinigten Staaten darstellen, geschah: nichts. Keine neuen Programme. Kein entschlossener Staat. Nur das Prinzip Untätigkeit.

Und so kehren wir 2025 zurück zur aktiven Unsichtbarmachung. Die Öffentlichkeit hat sich gewöhnt. Der Apparat hat sich gefügt. Und an den Rändern formiert sich längst, was sich bald nicht mehr verbergen lassen wird. In Tennessee etwa: Eine abgelegene Liegenschaft, über 120 Hektar groß, von Bäumen umgeben, mit Trainingshallen aus Holz und improvisierten Barrikaden. Unsere Recherchen zeigen Männer in Uniform, mit Schutzschilden, Taktikwesten und Helmen. Der rote Kreis-Aufnäher auf dem Arm – martialisch, codiert, anonym. Sie trainieren nicht für Fitness. Sie trainieren für Gewalt.

„Fotos geben sie bereitwillig, solange du nicht sagst, wer du wirklich bist. Selbst beim Kampftraining haben sie kein Problem damit, abgelichtet zu werden. Einer von ihnen sagte: ‚Das macht uns nur brutaler.‘ Da lief ein Schauder über den Rücken.“

Ein weiteres Bild zeigt vier Männer vor einem selbstgebauten Holzbau. Einer hält Hanteln, oberkörperfrei, seine Sonnenbrille spiegelt das Licht der improvisierten Halle. Der nächste steht ruhig daneben, scheinbar zivil. Doch der dritte trägt Maske, Mütze mit angedeuteten Hörnern und ein schwarzes Langarmshirt, auf dem ein weißes, runenartiges Symbol prangt – eine moderne, abstrahierte Form des Odalzeichens, durchsetzt mit einem Speerschaft. Es erinnert an die Wolfsangel, an das Sonnenrad – Symbole der Blut-und-Boden-Mythologie. Nicht zufällig gewählt. Sondern codiert. In einer neuen, polierten Sprache, die das Alte nicht verdrängt, sondern aktualisiert.

Der vierte Mann schließlich trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Worship Warrior“ – ein Begriff, der in der extremen Rechten als Mischung aus religiösem Sendungsbewusstsein und kriegerischer Bereitschaft kursiert. Hinter ihnen klebt eine Wand aus Stickern und Propagandamotiven – „FREE“ steht dort, daneben stilisierte Schriften und Symbole, wie sie aus dem Hatecore-Milieu oder der neurechten Fitness-Subkultur stammen. Es ist ein Kosmos aus Selbstermächtigung, Gewaltästhetik und ideologischer Klarheit.

Man stelle sich vor, es wären andere: eine muslimische Gemeinde, eine schwarze Selbstschutzgruppe. Die staatliche Reaktion wäre gewaltsam, unverzüglich, entschlossen. Aber die Patriot Front – oder ihre Abwandlungen unter der allgemeinen Sammelbezeichnung „H8“ – darf weitermachen. Sie gibt sich patriotisch, nennt sich Bewegung, tarnt sich mit Fahnen, die an Revolution erinnern sollen, während sie in Wahrheit nur alten Hass neu verpacken. Der Präsident? Schweigt. Oder lenkt ab. Oder macht aus Vandalismus gegen einen Tesla-Laden plötzlich „inländischen Terrorismus“, während tatsächliche Gewaltstrukturen unangetastet bleiben.

Das ist die Sprache der Macht: Wer die Begriffe kontrolliert, kontrolliert die Realität. Und in dieser neuen Realität sind nicht mehr diejenigen gefährlich, die hassen, sondern die, die den Hass benennen. Die, die demonstrieren, nicht die, die marschieren. Die, die ein Graffiti sprühen, nicht die, die für den Umsturz trainieren.

Es wäre naiv zu glauben, Trump wisse nichts von all dem. Wahrscheinlicher ist: Er weiß es. Und er duldet es. Vielleicht braucht er es. Nicht als Armee im formellen Sinn, sondern als Möglichkeit. Als Drohung. Als Kulisse für einen Ausnahmezustand, der auf Knopfdruck entfesselt werden kann.

Was aber, wenn es kein Knopfdruck ist, sondern ein Flächenbrand? Wenn aus dem Trainingslager in Tennessee ein Symbol wird? Wenn die Schattenarmee eines Tages kein Schatten mehr ist?

Dann wird man zurückblicken. Und man wird fragen, wann es begann.

Und die Antwort wird lauten: Es begann im Stillen. Mit einer Budgetstreichung. Einer abgeschalteten Datenbank. Einer nicht gestellten Frage.

Es war alles da.
Und wir haben es gesehen – an einem Samstag im März 2025 in Tennessee

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