Es beginnt mit einem Gerichtssaal, nüchtern, funktional, oft überfüllt – und endet mit Handschellen im Flur. In den USA spielt sich seit Mai 2025 eine stille Eskalation ab, die kaum jemand mitbekommt, solange er nicht selbst betroffen ist: Vor den Toren der Einwanderungsgerichte lauern ICE-Beamte, häufig vermummt, bereit zur Verhaftung. Asylsuchende, die ordnungsgemäß zu ihren Anhörungen erscheinen, werden wenige Minuten später in die Abschiebehaft geführt – auf direktem Weg, ohne Umwege, ohne Schutz. Was einst als Schutzraum der Rechtsstaatlichkeit galt, verwandelt sich unter Donald Trump in eine Falle. Eine trans Frau, Opfer von Vergewaltigungen durch Kartellmitglieder in Mexiko, wird in Oregon festgenommen – kurz nachdem die Regierung ihre Abschiebungsklage zurückzieht. Ein Venezuelaner, der um sein Leben fürchtet, weil ihn Todesschwadronen bedrohen, wird nach seiner Anhörung im Gerichtssaal in Seattle verhaftet. Ein haitianisches Cousin-Paar – einer geht frei, der andere wird in Tränen abgeführt. Die Erzählungen ähneln sich. ICE-Anwälte beantragen die Einstellung der Verfahren, lassen die Menschen ins Leere laufen, um sie noch im Gericht zu schnappen. Eine juristische List, flankiert von Trumps neuerlicher Ausweitung des sogenannten „expedited removal“, bei dem Abschiebungen ohne richterliche Anhörung möglich sind.
Die Folge: Angst. Und ein kaum verstecktes Ziel – Abschreckung. Wer nicht kommt, wird automatisch verurteilt. Wer kommt, läuft Gefahr, verhaftet zu werden. Ein Teufelskreis, der das System kippt. „Es ist der Versuch, Menschen verschwinden zu lassen“, sagt Jordan Cunnings von der NGO Innovation Law Lab. Ihre Mandantin, die trans Frau O-J-M, landete nach ihrer Verhaftung in einem Zentrum in Tacoma, isoliert, ohne telefonischen Zugang zu ihrer Anwältin. Für viele bedeutet das: Resignation statt Verteidigung. Aufgabe statt Recht. Und während draußen Proteste laut werden – „Free them all“, „No to Deportations“ – geht drinnen das Spiel weiter. Richter wie Kenneth Sogabe, einst Pentagon-Jurist, zucken mit den Schultern: „Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Sie verhaftet werden.“ Sie wissen um das Spiel – aber sie spielen mit. Und einige, wie Richter Andrew Hewitt in Atlanta, stellen sich gegen das System. Er weigert sich, Fälle einfach zu schließen, nennt das Verfahren „zirkulär“ und „ineffizient“. Doch auch seine Entscheidungen verhindern nicht, dass ICE-Beamte mit Handschellen am Ausgang warten.
Die Abschaffung von CBP One, das unter Biden digitale Terminvergaben ermöglichte, hat die Lage zusätzlich verschärft. Tausende Betroffene haben nun keinen Status mehr, keine Papiere, keinen Schutz. Stephen Miller, Trumps rechte Hand im Weißen Haus, hat die Devise ausgegeben: 3.000 Festnahmen am Tag. Die Büros gehorchen. Die Gänge der Gerichte, einst Flure des Rechts, sind nun Zonen der Angst. Die USA erleben eine kalte, administrative Deportationsmaschine – ohne Empathie, ohne Gnade, aber mit System. Und mit Handschellen, die enger schnüren als jedes Gesetz es sollte.
