Es sind jene Momente, in denen sich nicht nur der Schleier politischer Ignoranz hebt, sondern gleich das ganze Fundament republikanischer Identität ins Wanken gerät. Am 6. Juni 2025 geschah ein solcher Moment – und er war so unmissverständlich, so entlarvend, dass er in seiner ganzen Absurdität fast schon tragikomisch wirkt. Die republikanische Abgeordnete Mary Miller aus Illinois – nicht zum ersten Mal in der Kritik wegen radikaler Aussagen – veröffentlichte auf X (ehemals Twitter) einen wütenden Kommentar über das Gebet eines „Muslims“, das am Morgen im Repräsentantenhaus gesprochen worden sei. Wörtlich schrieb sie: „Es ist zutiefst beunruhigend, dass ein Muslim heute Morgen im Repräsentantenhaus das Gebet leiten durfte.“

Nur: Der Mann, den sie so empört anklagte, war kein Muslim. Er war ein Sikh. Turbanträger, ja – aber damit endet jede Ähnlichkeit. Wer auch nur flüchtig mit der Vielfalt religiöser Traditionen vertraut ist, weiß um den Unterschied zwischen der jahrhundertealten, friedensstiftenden Sikh-Religion aus dem Punjab und dem Islam. Mary Miller wusste es offenbar nicht. Oder wollte es nicht wissen.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Vertreter:innen der Sikh-Gemeinschaft äußerten sich empört, religiöse Führer zeigten sich schockiert – und selbst einige Republikaner distanzierten sich hinter vorgehaltener Hand. Denn was Miller hier offenlegte, war mehr als ein individueller Fauxpas. Es war ein Spiegelbild jener ideologischen Verflachung, die religiöse Minderheiten nicht als Teil einer gemeinsamen republikanischen Idee begreift, sondern als Bedrohung der eigenen, immer enger definierten Vorstellung von „America First“.
Hinzu kommt: Mary Miller ist keine Unbekannte in Sachen extremistischer Rhetorik. Bereits 2021 hatte sie bei einer Rede in Illinois Adolf Hitler zitiert – mit dem berüchtigten Satz: „Hitler hatte recht in einer Sache: Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.“ Die Entrüstung war groß, die Entschuldigung halbherzig. Und so reiht sich ihr jüngster Kommentar in ein Muster ein: eines, das geprägt ist von Unbildung, religiösem Chauvinismus und einer Rhetorik, die auf maximale Konfrontation zielt – selbst wenn sie dabei Wahrheit und Würde opfert.
Der Sikh, dessen Name bislang von Miller nicht einmal korrekt wiedergegeben wurde, hatte in seiner kurzen Ansprache vor dem Kongress um Frieden, Einigkeit und Mitgefühl gebetet. Es war ein Moment der Einkehr – ein Akt spiritueller Würde. Und ausgerechnet dieser Moment wurde zur Zielscheibe eines Kommentars, der alles über den Zustand jener politischen Kräfte sagt, die sich auf Christentum, Nationalstolz und moralische Überlegenheit berufen – und doch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Sikh und einem Muslim kennen.
Was bleibt, ist ein Bild von Amerika in Schieflage. Ein Land, in dem Menschen, die Vielfalt beten, von jenen geschmäht werden, die Vielfalt fürchten. Ein Land, in dem eine Kongressabgeordnete religiöse Ignoranz zur moralischen Anklage ummünzt – und dabei einmal mehr beweist, dass nicht Bildung, nicht Wahrheit, sondern die Lautstärke des Vorurteils den Ton angibt. Mary Miller hat ihren Beitrag inzwischen gelöscht. Was bleibt, ist die Erinnerung – an eine entlarvende, traurige Episode im Kampf um Amerikas Seele. Und vielleicht der stille Dank an einen Sikh, der mit seiner Anwesenheit mehr über Respekt gelehrt hat als eine ganze Legislaturperiode Mary Miller je vermag.