Tränengas und Rauch lagen am Samstag über den südlichen Ausläufern von Los Angeles. Die Straßen der Kleinstadt Paramount wurden zum Schauplatz einer sich zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen Bundesbehörden und einer Zivilgesellschaft, die sich nicht mehr zum Schweigen zwingen lässt. Zum zweiten Mal in Folge trafen Demonstrant:innen auf schwer bewaffnete Einsatzkräfte der Grenzschutzbehörde – und während die Trump-Regierung weitere Razzien ankündigte, schworen ihre Spitzenbeamten, jeden Widerstand strafrechtlich zu verfolgen.
Vor einem Industriepark am Stadtrand standen Beamte der Border Patrol in Kampfmontur und mit Gasmasken Wache. Tränengas wurde gezielt abgefeuert, während sich Dutzende Protestierende auf Mittelstreifen und gegenüberliegenden Gehwegen sammelten. Smartphones hielten die Szenerie fest, Rufe hallten durch die Straßen.
„ICE raus aus Paramount! Wir sehen, wer ihr seid!“, rief eine Frau durch ein Megafon. „Ihr seid hier nicht willkommen.“ Ein handgemaltes Schild brachte die Haltung vieler auf den Punkt: „Kein Mensch ist illegal.“ Rauch stieg auf – nicht aus Barrikaden, sondern aus brennendem Gestrüpp und Müll am Straßenrand. Ein Fahrzeug der Border Patrol wurde mit Fußtritten attackiert, eine ganze Verkehrsachse wurde abgesperrt, während Einsatzkräfte das Areal durchkämmten. Die Spannung war greifbar.
Aus Washington meldete sich unterdessen Heimatschutzministerin Kristi Noem mit einer klaren Botschaft: Wer sich der Einwanderungspolitik der Regierung in den Weg stelle, werde die Konsequenzen zu spüren bekommen. In einem Post auf der Plattform X sprach sie von „Aufrührern in Los Angeles“ und erklärte: „Ihr werdet uns nicht aufhalten. ICE wird das Gesetz durchsetzen. Wer einem Beamten auch nur ein Haar krümmt, wird in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen.“
Was folgte, war eine dramatische Eskalation staatlicher Macht. ICE-Beamte hatten am Freitag Durchsuchungsbefehle an mehreren Orten vollstreckt – darunter ein Modewarenlager im Textilviertel von Los Angeles. Grundlage war laut US-Justizministerium ein richterlicher Beschluss wegen mutmaßlich gefälschter Mitarbeiterdokumente. Als die Einsatzkräfte abziehen wollten, versuchten dutzende Menschen, ihre Fahrzeuge zu blockieren. Menschenrechtsgruppen und Journalisten berichteten zudem von Festnahmen vor Filialen der Baumarktkette Home Depot und einem Donut-Shop. Laut einer offiziellen Erklärung des Heimatschutzministeriums wurden im Rahmen der Operation 118 Migrant:innen verhaftet.
Am Abend versammelten sich erneut Hunderte Menschen vor einem Bundesgefängnis in Downtown Los Angeles. „Lasst sie frei, lasst sie bleiben!“, skandierten sie. Auf Schildern standen Botschaften gegen ICE, Graffiti bedeckten die Betonmauern des Gebäudes. Unter den Festgenommenen war auch David Huerta, Regionalpräsident der Gewerkschaft SEIU. Laut Justizministerium wurde er im Metropolitan Detention Center inhaftiert und soll am Montag einem Bundesgericht vorgeführt werden. Ob Huerta anwaltlich vertreten wird, war zunächst unklar.
Der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, forderte seine sofortige Freilassung. In einem Beitrag in den sozialen Medien sprach er von einem „verstörenden Muster“, bei dem Bürger der Vereinigten Staaten wegen der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit festgenommen würden. Die Eskalation in Kalifornien kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Präsident Donald Trump seine angekündigten Massendeportationen mit aller Härte umzusetzen beginnt. Was einst Wahlkampfrhetorik war, wird nun Realität – mit Tränengas, Handschellen und der Verhaftung gewählter Vertreter der Zivilgesellschaft.
Karen Bass, Bürgermeisterin von Los Angeles, bezeichnete die Vorgänge am Samstag als gezielte Einschüchterung. „Dieses Vorgehen soll Angst säen“, erklärte sie. ICE-Interimsdirektor Todd Lyons reagierte prompt – und warf Bass vor, sich „auf die Seite des Chaos“ geschlagen zu haben. „ICE wird weiterhin das Einwanderungsrecht durchsetzen und kriminelle illegale Ausländer verhaften“, so Lyons.
Was sich in Paramount abspielt, ist mehr als nur eine lokale Auseinandersetzung. Es ist ein Test für das moralische Rückgrat einer Demokratie, die sich entscheiden muss, auf welcher Seite sie steht – auf jener der Angst, oder jener der Freiheit.