… ist nicht einfach ein politischer Wandel.
Es ist kein gewöhnliches Pendel, das zwischen Parteien hin- und herschwingt, kein Streit über wirtschaftliche Ausrichtungen. Was wir erleben, ist die beschleunigte Demontage des tragenden Gerüsts, das menschliche Würde und sozialen Zusammenhalt überhaupt erst ermöglicht. Wir beobachten die langsame, kalte Erosion existenzieller Lebenslinien – Programme, die buchstäblich Menschen am Leben halten – versteckt hinter Phrasen wie „Haushaltsdisziplin“ und „Reform“.
Programme wie Medicaid, Lebensmittelhilfe (SNAP), Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung, öffentlicher Wohnungsbau, Energiezuschüsse für einkommensschwache Familien, selbst der Schutz digitaler Zugänge und Bildung – sie alle stehen unter Beschuss. Und zwar nicht auf einer abstrakten, verwaltungstechnischen Ebene. Diese Kürzungen und politischen Entscheidungen bedeuten reales Leid: Diabetiker, die Insulin rationieren. Menschen mit Behinderung, die ihre häusliche Pflege verlieren. Familien, die sich zwischen Heizung oder Lebensmitteln entscheiden müssen. Veteranen, die im Auto schlafen. Kinder, die ihren Unterricht über das WLAN eines McDonald’s-Parkplatzes verfolgen. Das ist keine Übertreibung. Das ist amerikanischer Alltag.
Ja, hier geht es um Gier. Natürlich. Die Umverteilung von Reichtum nach oben, der Abbau von Schutzmechanismen zugunsten von Konzernen, obszöne Steuervorteile für die Reichsten und für Konglomerate – das alles ist real. Aber ich würde sagen: So verstörend das alles ist, die Wahrheit reicht noch tiefer. Denn es geht nicht nur ums Geld. Es geht um ein Weltbild. Um ein Glaubenssystem.
Was wir hier bekämpfen, ist nicht bloß wirtschaftlicher Elitismus – es ist psychologisch, soziologisch und beinahe quasireligiös in seiner Inbrunst. Eine tief verankerte Form des Sozialdarwinismus ist zurückgekehrt – neu eingekleidet in die moderne Sprache von Leistungsprinzip, Eigenverantwortung und Marktlogik. Eine alte Krankheit mit neuem Gesicht.
Sozialdarwinismus bedeutet im Kern: Erfolg und Macht gelten als Beweis für angeborene Überlegenheit. Wer es „nach oben“ schafft, ist biologisch oder moralisch besser. Wer scheitert, ist eben weniger geeignet zu überleben. Diese pseudo-evolutionäre Logik wurde historisch verwendet, um Kolonialismus, Sklaverei, Eugenik, Faschismus und die Zerschlagung von Arbeiter- und Armenrechten weltweit zu rechtfertigen. Und auch wenn heute kaum jemand offen sagt „die Armen sollen sterben“ – einige kommen dem ziemlich nahe – klingt dieses Gefühl in den verabschiedeten Gesetzen und im süffisanten Tonfall der Begleitreden deutlich mit.
Das Erschreckendste daran? Viele der Menschen, die diese Ideologie vorantreiben, sind keine Dummköpfe. Es sind nicht alles populistische Hampelmänner wie Trump – der ist nur der lärmende Ablenker, die aufgeblasene orangefarbene Attrappe, die im Rampenlicht taumelt. Hinter ihm stehen Menschen, die kalkuliert, hochintelligent und erschreckend gefühlskalt agieren. Menschen, die in extremer sozialer Isolation aufgewachsen sind oder dort angekommen sind, weit entfernt vom Alltag der Mehrheit. Diese Distanz führt zu einem tiefen Empathiedefizit. Und zu kognitiven Verzerrungen – einem Wahrnehmungsmuster, das Privileg mit Vorsehung verwechselt.
Wenn du nur von Menschen umgeben bist, die so aussehen wie du, so leben wie du, so erfolgreich sind wie du – dann beginnst du irgendwann zu glauben, dass du außergewöhnlich bist. Dass das System gerecht ist. Dass die anderen versagen, weil sie schwach, faul oder dumm sind. Diese sich selbst verstärkende Illusion erzeugt Arroganz – und letztlich eine Grausamkeit, die sich als Realismus tarnt.
Und es sind nicht nur die ultrareichen Tech-Milliardäre, Hedgefonds-Manager oder Rüstungslobbyisten. Es sind auch Politiker – also genau die Menschen, die gewählt wurden, um alle zu vertreten. Sie sind nicht immun. Im Gegenteil: Sie gehören oft zu den schlimmsten Tätern. Viele von ihnen verlieren sich, sobald sie in Washington angekommen sind, im selben verzerrten Echoraum aus Macht und Prestige. Ihre sozialen Kreise verengen sich. Spender und Lobbyisten werden zur einzigen Stimme, die sie hören. Und das Volk, das sie vertreten sollen, wird zur abstrakten Größe – zu Fußnoten auf Policy-Memos, zu Statistikwerten in Quartalsberichten.
Das Ergebnis ist Politik, die nicht von Mitgefühl oder Pragmatismus getrieben ist, sondern von einer perversen Ideologie, die Empathie als Schwäche und Solidarität als Bedrohung betrachtet. Deshalb wird Gesundheitsversorgung zum Privileg, nicht zum Recht. Deshalb wird Essenshilfe gekürzt, während Konzernsubventionen wachsen. Deshalb gilt Schuldenerlass für Studierende als „Geschenk“, während Steuererleichterungen für Ölkonzerne „Wachstumsförderung“ heißen.
Sie sagen es vielleicht nicht offen, aber man sieht es in ihren Augen, wenn sie von den „Würdigen“ und „Unwürdigen“ sprechen. Man hört es im höhnischen Ton hinter Phrasen wie „Sozialklima“ oder „Selbst ist der Mann“. Es ist die Sprache des modernen Feudalismus.
Sie wollen keine funktionierende Öffentlichkeit mehr. Sie wollen eine Arbeitsmasse – austauschbar und verzweifelt. Eine kranke, gestresste, untergebildete Bevölkerung ist leichter zu kontrollieren. Leichter auszubeuten. Zu müde, um sich zu wehren. Deshalb richten sich die Angriffe nicht nur gegen soziale Programme, sondern auch gegen Bildung, Bibliotheken, Gewerkschaften, unabhängige Medien. Sie demontieren alles, was gesunde, informierte, verbundene Bürger hervorbringt – denn genau solche Bürger gehen nicht still unter.
Um es klar zu sagen: Viele dieser Eliten glauben inzwischen an ihre eigene Mythologie. Dass sie die Götter dieser Ära seien – Architekten des Schicksals, Träger der Zivilisation, Eigentümer der Zukunft. Und wir anderen? Wir sind die Entbehrlichen. Arbeiter, Konsumenten, Datenpunkte. Sie versuchen nicht, die Gesellschaft zu reparieren – sie wollen ihr entkommen. In Bunker, ins All, in privatisierte medizinische Enklaven, in Offshore-Konten. Und sie höhlen die Welt hinter sich aus.
Aber hier ist der Punkt: Nichts davon ist nachhaltig. Sozialdarwinismus endet immer im Kollaps. Es ist ein Todesstrudel, getarnt als Stärke. Gesellschaften gedeihen nicht, wenn sie ihre Verantwortung füreinander vergessen. Zivilisationen überleben nicht, wenn sie Mitgefühl zur Schwäche erklären und Gerechtigkeit zum Luxus.
Das Gegenmittel? Es reicht nicht, anders zu wählen oder online zu diskutieren. Es geht darum, einen kulturellen Wert für menschliche Würde, gegenseitige Hilfe und Solidarität wiederzubeleben. Es geht darum, uns selbst und andere aufzuklären, die Rhetorik zu entlarven, wenn wir sie hören, und die Logik der Grausamkeit nicht zu übernehmen. Es geht darum, uns gegenseitig daran zu erinnern, dass Würde nicht durch Reichtum verdient wird – und dass das Überleben nicht vom brutalen Kapitalismus-Lottogewinn abhängen darf.
Ja, es ist finster gerade. Aber ich glaube immer noch – aufrichtig –, dass wir einen anderen Weg wählen können. Dass wir diese Zukunft verweigern und eine neue schreiben können. Eine, die auf Fürsorge gründet, nicht auf Eroberung. Auf Liebe, nicht auf Profit.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich bin wütend, ja. Ich bin müde. Aber ich bin auch klar. Und ich weiß: Solange wir diesen Virus weiter benennen, entlarven, uns organisieren – kann er nicht gewinnen. Denn selbst wenn sie das Geld und die Bühnen haben – wir haben einander. Und das zählt verdammt viel mehr.