Haben wir dasselbe Treffen gesehen? – Wie Friedrich Merz Trumps Geschichtsvergessenheit als Erfolg verkauft

VonRainer Hofmann

Juni 6, 2025

Es war ein Satz, gesprochen mit der Leichtfertigkeit eines Mannes, der nie gezwungen war, in einem Keller auf das Ende eines Bombardements zu warten. „Das war kein großartiger Tag für euch.“ Kein Lächeln, kein Anflug von Ironie – einfach dieser Satz, kalt wie Beton, gerichtet an Friedrich Merz, den deutschen Bundeskanzler, am Vorabend des 6. Juni. Ausgerechnet jenes Datums, an dem sich die Landung der Alliierten in der Normandie zum 81. Mal jährte – der D-Day, Synonym für Befreiung, Opfer, Hoffnung. Was Donald Trump an diesem Tisch im Oval Office sagte, war mehr als eine diplomatische Entgleisung. Es war eine Verschiebung des geschichtlichen Koordinatensystems. Und Merz? Merz lächelte.

Der Kontrast könnte brutaler kaum sein: Während Trump sich – live übertragen – in einem Monolog über amerikanische Innenpolitik, Musk, Migranten und Medien erging, wirkte Merz wie ein höflicher Gast in einer längst geschlossenen Botschaft. Neunzig Prozent der Zeit redete Trump, sagten Beobachter. Neunzig Prozent der Zeit schwieg der Bundeskanzler. Und nach dem Treffen? Sagte Merz: „Es war ausgesprochen gut.“

Wer muss jetzt verwundert sein?

Ein Präsident, der – so heißt es – sich überlegt, ob „es nicht besser wäre, sie kämpfen noch eine Weile“, gemeint: Russland und die Ukraine. Ein Mann, der offen Sympathie für Putins Haltung zeigt, der bei einem Essen im kleinen Kreis laut Zeugen fragte, ob Deutschland denn „immer noch glaubt, Kriege mit Haltung gewinnen zu können“. Und dann dieser Satz – „Kein großartiger Tag für euch“ – ein Satz, der nicht nur das Gedenken an die Befreiung Europas entweiht, sondern auch das Amt, das ihn trägt. Doch Friedrich Merz hielt fest: „Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, was Amerika betrifft.“ Es ist eine jener Phrasen, die auf dem Papier edel klingen, im Kontext jedoch schal und hilflos wirken. Denn was bleibt vom transatlantischen Fundament, wenn einer der Architekten der Nachkriegsordnung – der amerikanische Präsident – die Geschichte als Last empfindet und Europa als Belastung?

Im ARD-Brennpunkt sprach Merz von einem „guten Fundament für politisch zielführende Gespräche“. Aber was bedeutet „zielführend“, wenn der Gastgeber nicht zuhört? Wenn ein Mittagessen unter Ausschluss der Presse zur Folie eines Narrativs wird, das es so nicht gab? Wenn das politische Ergebnis auf Trumps Bereitschaft zur Einigung reduziert wird – und nicht auf das, was tatsächlich gesagt wurde?

Denn gesagt wurde viel. Nur nicht über Deutschland. Trump sprach von Zöllen, die er weiter als Druckmittel benutzen wolle. Vom Sanktionspaket gegen Russland, das er „noch prüfe“. Von „Energieunabhängigkeit“ – gemeint: keine Deals mit Europa, sondern Deals mit ExxonMobil. Und von Elon Musk, den er in einem Nebensatz einen „Clown mit Raketen“ nannte. Merz wiederum sprach – bei Fox News – vom „importierten Antisemitismus“. Eine Formulierung, die selbst dort nicht hinterfragt wurde, weil sie ins neue ideologische Klima passt: klar, reduziert, verschiebbar. Doch sie offenbart ein Muster: Der Bundeskanzler, der in Deutschland für seine scharfen Formulierungen bekannt ist, präsentierte sich in Washington zahm, fast schon demütig. Aus Sorge, eine Tür zuzuschlagen – oder aus Angst, keine neue mehr zu öffnen?

Und doch: Der Duktus des Nachgesprächs war euphorisch. Ein Bundeskanzler, der mit verschränkten Armen neben Trump stand, sprach später von „großartigen Signalen“ und einer „funktionierenden amerikanischen Demokratie“. Dieselbe Demokratie, die Trump gerade mit Dekreten umgeht, mit Loyalitätstests im Weißen Haus und mit Attacken gegen Gerichte, Medien, Universitäten. Dieselbe Demokratie, die Journalisten von Reuters und ProPublica nicht mehr in Pressebriefings lässt, weil sie die falschen Fragen stellen.

Die Frage, die bleibt: Ist Friedrich Merz naiv? Oder spielt er ein Spiel, das andere längst nicht mehr spielen wollen? Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa jüngst vor laufenden Kameras bloßgestellt wurden, hat Merz demütig geschwiegen. Und Trump? Der hat ihm zugehört – angeblich. Einmal. Kurz.

Vielleicht ist das der neue Standard für „gute Gespräche“.

In einem ZDF-Interview sagte Merz, er fahre mit dem Gefühl zurück, dass „die Kräfte, die eine freie Gesellschaft wollen, nach wie vor stark seien“. Doch der Präsident, den er da lobt, ist längst auf dem Weg in eine andere Richtung. Eine Richtung, in der der D-Day kein Tag der Befreiung mehr ist – sondern ein „schlechter Tag für euch“. Für uns. Für alle, die glauben, dass Erinnerung mehr ist als Dekoration. Denn was bleibt, wenn ein Kanzler das als Erfolg verkauft, was andere als Gefahr erkennen? Was, wenn Diplomatie zur Selbstverleugnung wird? Und was, wenn man merkt, dass selbst die schärfste Analyse nichts mehr nützt – wenn der Wille zur Illusion stärker ist als der Blick für die Realität?

Vielleicht war es für Trump tatsächlich „kein großartiger Tag“. Für Europa aber war es ein schlechter. Ein sehr schlechter. Und das Schlimmste: Er wurde begleitet von höflichem Schweigen.

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ClaraSieger
ClaraSieger
3 Monate zuvor

Fragen über Fragen.
(unsortiert)
1. Wie definiert er denn “freie Gesellschaft?”
3. Ist es (nur) die Abhängigkeit (Wirtschaft, NATO), oder ist es doch eine gewisse Faszination..?
4. Ist Trump nicht nur deshalb groß, weil man ihm das zugesteht?
2. Ist eine gewisse Mitschuld am Zerfall dieser Demokratie erkennbar (und womöglich auch Mitschuld am Zerfall weiterer Demokratien), wenn man eben diesen Zerfall nicht klar benennt?

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