Es beginnt nicht mit einem Skandal, sondern mit einem System. Nicht mit einem Eklat, sondern mit einer Entscheidung: Forschung – ja, aber nur, wenn sie ins Weltbild passt. Migration – vielleicht, aber nur, wenn sie keine Fragen stellt. Wissenschaft – willkommen, solange sie sich nicht querstellt. So könnte man das politische Klima in den Vereinigten Staaten seit Januar 2025 beschreiben. Was dabei übersehen wird, ist nicht nur eine ethische Bankrotterklärung – sondern ein strategischer Selbstverlust.
Ardem Patapoutian steht exemplarisch für diesen Widerspruch. Geboren 1967 in Beirut, flieht er als junger Mann vor dem libanesischen Bürgerkrieg in die USA. Dort arbeitet er zunächst als Pizzalieferant, schreibt Horoskope für eine armenische Zeitung – und beginnt parallel ein Studium der Zellbiologie an der UCLA. Er promoviert am renommierten Caltech, wird später Professor am Scripps Research Institute und Forscher am Howard Hughes Medical Institute. Seine Entdeckung von Rezeptoren, die Temperatur und Berührung wahrnehmen, wird 2021 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Ein amerikanischer Traum? Nur vordergründig.
Denn vier Jahre später, unter der zweiten Amtszeit Donald Trumps, gehört Patapoutians Institut plötzlich zu jenen, deren Fördermittel eingefroren werden. Trumps Regierung kürzt Milliarden bei NIH, NSF, NASA – und trifft dabei besonders jene Forschungsfelder, in denen die USA einst führend waren: Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Umweltwissenschaften. Besonders hart trifft es Migrant:innen. Visa werden nicht verlängert. Arbeitsgenehmigungen verschwinden. Projekte werden gestrichen, weil ihre Themen nicht ins ideologische Raster passen.
Patapoutian erhält in dieser Phase ein Angebot aus China: Zwanzig Jahre garantierte Finanzierung, an jeder Universität seiner Wahl. Ein ganzes Labor könne innerhalb weniger Wochen verlegt werden, inklusive Ausstattung, Team und Wohnsitz für die Familie. Patapoutian lehnt ab – aus Überzeugung, aus Verbundenheit mit den USA, die ihm einst eine Heimat boten. Aber sein Fall ist Ausnahme, nicht Regel. Viele andere gehen – nach Kanada, nach Europa, nach Australien. Sie nehmen ihre Ideen, ihre Entdeckungen, ihre Patente mit. Und ihre Zukunft.
Was hier geschieht, ist kein bloßer „Brain Drain“. Es ist eine bewusste Selbstverzwergung im Namen einer Politik, die Wissenschaft nur dann duldet, wenn sie sich unterordnet. Die migrationsfeindliche Ideologie der Trump-Regierung – getarnt als Effizienzpolitik – trifft nicht etwa „illegale Einwanderer“, sondern einige der brillantesten Köpfe des Landes. Menschen wie Marianna Zhang, deren Projekt zu Rassismus und Geschlechterrollen gestrichen wurde. Oder wie der Neurowissenschaftler Brandon Coventry, der nach Jahren in Wisconsin sein Labor schließt, weil ihm die Mittel fehlen – und die Luft.
Gleichzeitig handeln andere Länder schnell und gezielt. China etwa, das mit Programmen wie dem „Qiming-Plan“ (启明计划) hochqualifizierte Forscher anwirbt, bietet stabile Langzeitverträge, freie Themenwahl, steuerliche Vorteile. Kanada wirbt unter dem Motto „Where science is still free“ mit Forschungsfreiheit und gesellschaftlichem Respekt. Und auch die EU zieht nach: In Aix-Marseille und Berlin entstehen Programme, die explizit auf amerikanische Forschende abzielen – mit großem Erfolg.
Was also bleibt? Ein Land, das sich selbst verstümmelt. Das Nobelpreisträger erst feiert – und dann fallen lässt. Das junge Wissenschaftler einlädt – und dann ausbürgert. Das seine Innovationskraft im Namen ideologischer Säuberung aufs Spiel setzt. Die Frage, die Ardem Patapoutians Geschichte aufwirft, ist größer als seine Person. Sie lautet: Wie lange kann ein Land wie Amerika überleben, wenn es seine klügsten Stimmen systematisch zum Schweigen bringt?
In einer Welt, die längst im Wettlauf um Erkenntnis, Technologie und Vertrauen steht, ist es eine gefährliche Antwort, wenn man sagt: Wir verzichten freiwillig – und lassen China gewähren. Der Satz, der auf einer Protestaktion an der Freiheitsstatue fiel, trifft es mit brutaler Klarheit: „Wir geben unsere besten Köpfe unserem größten Konkurrenten, weil wir lieber Einwanderern schaden als Amerika helfen.“ Es ist mehr als ein politischer Irrweg. Es ist ein Verrat an der Zukunft.