Gefangen zwischen Vorwürfen und Zeit – der erschütternde Fall Yari Rodríguez Márquez

VonRainer Hofmann

Dezember 31, 2025

Seit zehn Monaten sitzt Arbella „Yari“ Rodríguez Márquez im Eloy Detention Center fest. Zehn Monate, in denen ihr Körper sichtbar abbaut, während Behörden, Betreiber und Politik darüber streiten, ob sie krank ist oder nicht. Yari ist 47 Jahre alt, besitzt eine gültige Green Card und lebte ein geregeltes Leben, bis sie im Februar an der Grenze bei Nogales aus dem Auto geholt wurde. Seitdem ist nichts mehr geregelt. Sie hat rund 70 Pfund Gewicht verloren, ihre Hände werden taub, Beine und Füße schwellen an. Manchmal braucht sie Hilfe, um sich anzuziehen, manchmal schon, um ein paar Schritte zu gehen.

Ihre Lebenspartnerin Sonia Almaraz sieht diesen Verfall Woche für Woche. Bei Besuchen wartet sie, bis Yari sich gesetzt hat, wartet, bis sie wieder aufstehen kann, weil jede Bewegung schmerzt. Medikamente gegen Leukämie erhält sie nicht. Stattdessen Schmerzmittel, Fiebersenker, Mittel gegen ein angebliches Magengeschwür, das sie nie hatte. Vor der Inhaftierung war ihre chronische lymphatische Leukämie stabil. Heute ist sie es nicht mehr. Abgeordnete berichten, sie habe bei Besuchen Blut gehustet und Blut erbrochen.

Die Gegendarstellung der Behörde ist hart, abweisend und passt nicht zusammen. Alleine die Medikationen gegen Krankheiten, die sie überhaupt nicht hat. ICE erklärt öffentlich, Yari lüge. Sie sei eine kriminelle, illegale Migrantin aus Mexiko, die eine Krebserkrankung nur behaupte. Die Krebserkrankung ist aber eindeutig belegt. Wir erinnern daran, sie besitzt eine gültige Green Card. Man habe sie mehrfach ärztlich gesehen, auch von einem Onkologen. Fernando X. Burgos Ortiz, Sprecher von ICE Enforcement and Removal Operations, spricht von mindestens 13 Terminen und nennt die Vorwürfe einen Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen. Auf die Nachfrage, welcher Arzt sich um sie kümmert, folgte Schweigen. Gleichzeitig warnt ICE vor angeblich stark gestiegenen Angriffen auf Beamte und vermischt diesen Vorwurf mit dem konkreten Fall.

Der Vorwurf, der Yari überhaupt in Haft brachte, lautet auf Schmuggel. ICE behauptet, sie habe versucht, eine Person mit gefälschten Papieren durch den Grenzübergang Nogales zu bringen. Yari und Almaraz sagen etwas anderes. Die Mitfahrerin habe gelogen, sie seien getäuscht worden. Yari sei Opfer von Betrug gewesen, nicht Täterin. Almaraz saß selbst im Wagen, als beide festgehalten wurden. Yari war zu diesem Zeitpunkt rechtmäßige Daueraufenthaltsberechtigte. Ein Status, der nur entzogen werden kann, wenn sich herausstellt, dass er nie hätte vergeben werden dürfen.

Während der juristische Streit weiterläuft, rückt die medizinische Frage immer weiter in den Vordergrund. Für Yassamin Ansari, Mitglied des US-Kongresses und hat damit Aufsichts- und Besuchsrechte gegenüber Bundesbehörden wie ICE, ist der Fall eindeutig. Sie fordert nicht das Ende des Verfahrens, sondern die Freilassung mit Fußfessel, damit Yari in ein Krankenhaus kann. Es gehe nicht um Politik, sagt Ansari, sondern darum, dass niemand in staatlichem Gewahrsam sterben dürfe, weil Hilfe verweigert wird. Die widersprüchlichen Aussagen von ICE, von sie ist gesund über Nebenwirkung bis hin zu sie lügt, seien alarmierend. Entweder sei sie krank oder nicht. Beides zugleich gehe nicht.

Auch andere Politiker aus Arizona haben das Zentrum besucht. Ruben Gallego und Mark Kelly äußerten Sorge über Zustände in Eloy, einem Ort, an dem es bereits mehrere Todesfälle und Suizide gab. Die Zahl der Todesfälle in ICE-Gewahrsam ist in diesem Jahr so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, vier davon allein in Arizona. Waren es am 23. Dezember 30 bekannte Todesfälle, sind es bis zum heutigen Tag 38. Der Betreiber des Zentrums, CoreCivic, weist jede Kritik zurück. Man halte alle Standards ein, werde regelmäßig kontrolliert und sei stolz auf das Personal. Für Almaraz klingt das wie Hohn. Nach öffentlicher Aufmerksamkeit, dass konnten wir mittlerweile herausfinden, ist Yari sogar in einen anderen Gebäudeteil verlegt worden, die Bedingungen dort seien schlechter, persönliche Pflegeartikel seien verweigert worden. Sie empfindet das als Strafe dafür, dass sie den Fall öffentlich macht.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, über den kaum gesprochen wird, der aber im Alltag spürbar ist. Yari ist eine lesbische Frau. Andere Inhaftierte berichten von Trennung, Schikanen und täglicher Ausgrenzung von LGBTQ+-Menschen durch Personal. Auch das verschärft ihre Isolation, während ihr Körper immer schwächer wird. Noch heute versuchen wir alle, zumindest Zugang zu ihr zu bekommen, ein Anwalt für Einwanderungsrecht ist eingeschaltet. Es geht nicht mehr um abstrakte Zuständigkeiten, es geht schlicht um Menschenwürde. Es geht um Zeit. Almaraz sagt, jede Woche sehe sie eine andere Yari. Jede Woche gehe es ihr schlechter. Niemand habe das Recht, ihr die Chance auf Behandlung zu nehmen. Egal, was am Ende über ihren Fall entschieden wird.

Liebe Leserinnen und Leser,
Wir berichten nicht aus der Distanz, sondern vor Ort. Dort, wo Entscheidungen Menschen treffen und Geschichte entsteht. Wir dokumentieren, was sonst verschwindet, und geben Betroffenen eine Stimme.
Unsere Arbeit endet nicht beim Schreiben. Wir helfen Menschen konkret und setzen uns für die Durchsetzung von Menschenrechten und Völkerrecht ein – gegen Machtmissbrauch und rechtspopulistische Politik.
Ihre Unterstützung macht diese Arbeit möglich.
Kaizen unterstützen

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
2 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
Ela Gatto
3 Stunden zuvor

Da ist ein Mensch. Krank, sehr krank.

Und ICE spricht von eingehaltenen Standards und wunderbaren Personal 🤬

Hier soll Jemanden nur der Zugang zu einer medizinischen Versorgung gewährt werden.
Und zwar von dem Staat, der sie in dieses Gefängnis gebracht hat.

Ob sie schuldig ist oder nicht, dass muss in einem Gerichtsverfahren geklärt werden.
Mit Anwalt, Zeugen und Beweisen.

Stirbt sie, stirbt ihre Stimme.
Wer soll dann ihre Geschichte erzählen?

Auch hier seid Ihr wieder das Licht der Hoffnung

2
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x