Der Tag, an dem Donald Trump Wolodymyr Selenskyj in Florida empfängt, riecht nach Macht und nach Inszenierung. Während in der Ukraine Häuser brennen und Menschen aus Trümmern gezogen werden, werden in Mar-a-Lago Flaggen drapiert, ein opulenter Speisesaal hergerichtet, Kameras zugelassen. Trump sagt, Russland und Ukraine seien „vielleicht sehr nah“ an einem Ende dieses Krieges, fast vier Jahre nach dem Überfall. Er spricht von Nähe, während Russland gleichzeitig neue Angriffe fliegt. Und er spricht von Frieden, während das, was Selenskyj aus den USA mitnehmen soll, vor allem eines ist: der Beweis, dass die Ukraine auch in diesem Moment noch um Würde kämpfen muss, nicht nur um Land.
Trump schickte keine Delegation, um Selenskyj zu empfangen. Die Kameras blendeten sogar weg – offenbar, damit niemand sieht, ob es überhaupt einen roten Teppich gab
Selenskyj landet morgens in Miami. Und schon dieser Auftakt wirkt wenig berauschend: Nach allem, was vor Ort zu sehen war, gab es keinen Empfang, der dem Amt eines Präsidenten eines angegriffenen Landes entspricht. Kein klarer, sichtbarer, hochrangiger Vertreter, der die Botschaft sendet: Ihr seid nicht Bittsteller, ihr seid Partner. Es ist ein Detail, aber in solchen Tagen sind Details Politik. Wer wen wo abholt, ist eine Entscheidung. Wer jemanden warten lässt, auch.
Kurz darauf folgt der zweite Teil der Trump-Logik: Erst der große Telefonmoment, dann das Treffen. Trump berichtet, er habe vor dem Gespräch mit Selenskyj mit Wladimir Putin telefoniert – zunächst heißt es, mehr als zwei Stunden, russische Stellen sprechen von über einer Stunde. Der Ton sei „freundlich“ und „geschäftsmäßig“ gewesen. Trump nennt es „sehr produktiv“. Was daran produktiv gewesen sein soll, bleibt tatsächlich sein Geheimnis. Denn während in Florida die Worte fallen, fallen in der Ukraine Bomben.
Aus dem Osten des Landes wird gemeldet, dass drei gelenkte Bomben private Häuser in Slowjansk getroffen haben. Ein Mensch sei getötet, vier weitere verletzt worden, sagt der Gouverneur der Oblast Donezk, Wadym Filaschkin. Zwei Wohnhäuser seien vollständig zerstört, 42 weitere beschädigt. Filaschkin spricht von einem gezielten Angriff auf Zivilisten und nennt es ein weiteres Kriegsverbrechen. Diese Sätze stehen wie ein kalter Gegenentwurf neben Trumps Wohlklang. Wer über Frieden spricht, während Wohnhäuser zu Staub werden, muss sich daran messen lassen, ob seine Diplomatie mehr ist als eine Trump Fata Morgana.
In Mar-a-Lago treffen sich beide Präsidenten schließlich zu Gesprächen über einen überarbeiteten Plan, der als „20-Punkte-Plan“ beschrieben wird. Selenskyj sagt, die Fassung, die Ukraine und die USA erarbeitet hätten, sei fast fertig, etwa zu neunzig Prozent. Trump und Selenskyj betonen, die Gespräche gingen weiter. Gleichzeitig versucht Trump, die Erwartungen zu dämpfen: Es könne auch scheitern. In „ein paar Wochen“ werde man wissen, „so oder so“. Das klingt wie Vorsicht, ist aber auch eine Art Vorab-Entschuldigung. Denn wenn man groß ankündigt, die Lösung sei nah, und dann doch ohne Ergebnis endet, braucht man Sätze, die die Schuld später verteilbar machen.
Trump sagt, Putin wolle es „passieren sehen“, er wolle es „wirklich“. Trump behauptet, Putin habe ihm das „sehr deutlich“ gesagt, und Trump sagt: „Ich glaube ihm.“ Das ist einer der Sätze dieses Tages, der hängen bleibt. Nicht, weil Vertrauen in Diplomatie grundsätzlich verwerflich wäre, sondern weil Vertrauen ohne sichtbare Gegenleistung hier wie Naivität wirkt – oder wie Absicht. Denn Putins Umfeld wirft fast zeitgleich kaltes Wasser auf zentrale Punkte, die die Ukraine und ihre Partner fordern. Aus Moskau kommt die klare Botschaft: Europäische Friedenstruppen in umstrittenen Gebieten? Nicht akzeptabel. Russlands Außenminister Sergej Lawrow lässt sogar erklären, solche Truppen wären ein „legitimes Ziel“ für Russlands Streitkräfte. Wenn das die Ausgangslage ist, dann ist Trumps „Nähe“ vor allem ein Wort, das über eine Wand aus Stahl gelegt wird.
Die eigentlichen Streitpunkte liegen offen auf dem Tisch und werden trotzdem nur vorsichtig angefasst: das Land, die Sicherheitsgarantien, die Frage, ob ein Angriff in ein paar Jahren einfach wiederholt wird. Selenskyj spricht von einer „sehr guten Begegnung“ und von einer „großen Diskussion über alle Themen“. Er betont, beide Seiten hätten die Bedeutung von Sicherheitsgarantien anerkannt. Trump klingt zurückhaltender und deutet an, Europa werde dabei die führende Rolle übernehmen. Das ist ein weiterer Satz, der in Europa ankommen dürfte wie eine Rechnung: Schutz ja, aber bitte bezahlen und tragen sollen ihn andere.
Die Stimmung war sehr angespannt. Trump wendet sich bei dem Treffen mit Selenskyj an die Presse und inszeniert eine Szene, die mehr Spott als Gastfreundschaft ist. Ob man die Journalistinnen und Journalisten nicht lieber nach draußen schicken solle, fragt er laut, dort könnten sie ja etwas essen. Dann der Nachsatz, halb Witz, halb Provokation: Oder gelte ein Mittagessen schon als Bestechung, die ehrliche Berichterstattung unmöglich mache? Schließlich weist er eine Mitarbeiterin an, die Presse hinauszuführen und der Küche zu sagen, man solle ihnen ein ordentliches Essen servieren. Muss man nicht weiter kommentieren.
Nach dem Treffen wird eine breite Runde europäischer Spitzen angerufen, darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie die Regierungschefs mehrerer Länder, darunter auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen und Finnland. Von der Leyen schreibt später, es habe „guten Fortschritt“ gegeben, den man begrüße. Europa sei bereit, weiter mit der Ukraine und den USA daran zu arbeiten, diesen Fortschritt zu festigen. Entscheidend seien „eiserne“ Sicherheitsgarantien vom ersten Tag an. Das ist die Sprache derer, die wissen, dass jede unklare Zusage am Ende wieder Blut kostet.
Und doch bleibt der große Klotz unangetastet: Donezk, Donbas, die von Russland besetzten Gebiete, die Putin nicht nur halten, sondern nach eigener Darstellung vollständig bekommen will – auch dort, wo seine Truppen nicht stehen. Putin fordert zudem, dass die Krim als russisches Gebiet anerkannt wird, obwohl sie 2014 völkerrechtswidrig annektiert wurde. Er verlangt, dass die Ukraine ihre NATO-Ambitionen begräbt. Er fordert Begrenzungen für die ukrainische Armee und einen offiziellen Status der russischen Sprache. Das sind Forderungen, die nicht wie Kompromiss klingen, sondern wie eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: die politische Unterwerfung dessen, was militärisch nicht vollständig genommen wurde.
Rund um Mar-a-Lago kam es zu Protesten. Immer mehr Menschen versammeln sich, um ihre Solidarität mit der Ukraine zu zeigen und zugleich Trumps russlandfreundlichen Kurs zurückzuweisen.
Selenskyj hat zuletzt signalisiert, er sei bereit, ukrainische Truppen aus Teilen des umkämpften Ostens zurückzuziehen, um eine entmilitarisierte Zone zu schaffen – unter Überwachung internationaler Kräfte. Russland wiederum lässt erkennen, dass es nicht daran denkt, Kontrolle einfach aufzugeben. Im Gegenteil: Putins Berater Juri Uschakow sagt, aus Kiew brauche es eine „kühne, verantwortliche politische Entscheidung“ zu Donbas und anderen Streitpunkten, damit es zu einer „vollständigen“ Einstellung der Kämpfe kommen könne. In russischer Lesart heißt das: Die Ukraine soll unterschreiben, was Russland hält. Und wenn sie es nicht tut, ist sie „verantwortungslos“.
Zwischen all diesen harten Linien wird an einem weiteren Punkt herumgesprochen, der in der Realität ein Minenfeld ist: das Kernkraftwerk Saporischschja. Trump zeichnet ein rosiges Bild und sagt, Putin sei interessiert, gemeinsam mit der Ukraine an der Wiederinbetriebnahme zu arbeiten. Die Ukraine hat wiederholt klargemacht, dass sie keine Kooperation mit Russland zur gemeinsamen Kontrolle dieses Werks will. Trump sagt sinngemäß, es sei ein großer Schritt, wenn Putin „diese Anlage nicht bombardiert“. Dabei liegt der zynische Witz auf der Hand: Russland hat selbst ein starkes Interesse, dieses Werk nicht zu zerstören, weil russische Kräfte es besetzt halten. Das ist kein Friedenssignal, das ist Selbstschutz.
Frage: Wurde Putin einem Waffenstillstand zugestimmt, um ein Referendum zu ermöglichen?
TRUMP: Nein, kein Waffenstillstand – und genau daran arbeiten wir noch. Ich verstehe Präsident Putin in diesem Punkt.
In den Hintergrund dieser Gespräche rückt auch ein wirtschaftlicher Ton, der inzwischen jede Diskussion begleitet: Rohstoffe, seltene Metalle, Zugriff. In den amerikanischen Überlegungen spielen Ressourcen eine Rolle, die in einer Nachkriegsordnung wichtig werden können. Dass das Kraftwerk dabei als Faktor genannt wird, passt in dieses Bild. Nur darf man es nicht verwechseln: Frieden entsteht nicht dadurch, dass man ein besetztes Werk als gemeinsames Projekt hochjubelt. Frieden entsteht, wenn Besatzung endet oder wenigstens durch verlässliche Sicherungen so eingefroren wird, dass der Kriegstreiber nicht jederzeit wieder losschlagen kann.
Zusammenfassung der Pressekonferenz in Mar-a-Lago: Trump wandte sich an Selenskyj mit den Worten, er hoffe, das Essen habe geschmeckt. „Ihr Volk hat das Essen genossen, das kann ich Ihnen sagen. Und Ihr General dort drüben sieht aus, als käme er direkt aus einer Filmproduktion.“ – (Bedarf keines Kommentars mehr – Anmerkung der Redaktion) – Trump erklärte weiter, er habe an diesem Tag einen „sehr interessanten Präsidenten Putin“ erlebt. Putin wolle, dass es zu einer Einigung komme. Er habe ihm das sehr deutlich gesagt, und er glaube ihm. Trump erinnerte zudem an die gemeinsame Zeit während der Russland-Affäre. Man habe sich gegenseitig angerufen und darüber gesprochen, ob man glauben könne, was damals behauptet worden sei. Am Ende habe sich herausgestellt, dass alles erfunden gewesen sei. Zu den Gesprächen sagte Selenskyi, man habe alle Aspekte des Friedensrahmens besprochen. Der 20-Punkte-Friedensplan sei zu 90 Prozent abgestimmt. Die Sicherheitsgarantien zwischen den USA und der Ukraine seien vollständig vereinbart. Bei den Sicherheitsgarantien zwischen den USA, Europa und der Ukraine sei man nahezu einig. Im militärischen Bereich bestehe vollständige Übereinstimmung.
Trump versucht, den Tag trotzdem als Erfolg zu verkaufen. Er lobt Selenskyj als „mutig“, spricht von einer engen Annäherung, kündigt weitere Gespräche mit Putin an. Selenskyj dankt. Beide verteilen Komplimente. Und doch bleibt das Ergebnis nüchtern: kein Deal. Kein Durchbruch. Nur der Hinweis, dass man „in ein paar Wochen“ sehen werde, ob es klappt. Währenddessen laufen die Angriffe weiter. Es gibt Tote, Verletzte, zerstörte Häuser.

Aus Norwegen kommt parallel eine Einschätzung, die wie eine Warnung klingt. Eirik Kristoffersen, Norwegens oberster Militär, sagt in einem Interview, Russlands Ziel sei weiterhin, die gesamte Ukraine zu erobern und ihre Regierung zu stürzen. Zugleich betont er, Russland habe mit seinen aggressiven Zielen bereits versagt: Die Ukraine hält stand, Selenskyj ist im Amt, das Land steht hinter ihm, Finnland und Schweden sind der NATO beigetreten, das Bündnis ist größer als vor Februar 2022. Diese Bilanz ist wichtig, weil sie den Nebel der Trump-Show zerreißt. Wer so tut, als sei der Krieg nur ein Missverständnis, das man mit einem „produktiven“ Telefonat aus der Welt reden kann, ignoriert, dass dieser Krieg ein Projekt ist – und zwar eines, das ohne entschlossene Gegenwehr nicht einfach von selbst endet.
Und genau hier liegt der bitterste Punkt dieses Florida-Tages: Die Ukraine wird nicht nur militärisch angegriffen, sie wird politisch über den Tisch gezogen. Wie weit lässt sie sich drücken? Wie viel Demütigung schluckt sie, um weiter überhaupt am Tisch zu sitzen? Wie viele Forderungen werden als „Realismus“ verkauft, bis am Ende aus einem Friedensplan ein Kapitulationspapier wird? Wenn ein Präsident erst von einem freundlichen Telefonat mit Putin schwärmt und dann den Angegriffenen empfängt, ohne die Würde des Moments zu schützen, ist das mehr als schlechter Stil. Es ist eine Botschaft.
Am Ende steht die Szene, die man nicht vergessen sollte: drinnen Kronleuchter, Fahnen, Delegationen, ein Mittagessen in prunkvoller Umgebung. Draußen die Meldungen aus Slowjansk, zerstörte Häuser, ein Toter, vier Verletzte. Und dazwischen die Sätze, die in Washington und Moskau wie Münzen hin und her geworfen werden: „sehr produktiv“, „sehr nah“, „in ein paar Wochen“. Für die Menschen in der Ukraine sind das keine Münzen. Das sind Tage. Und jeder Tag ohne belastbare Zusagen ist ein Tag, an dem wieder jemand unter Trümmern liegen kann.
Trumps Frieden, so wie er ihn an diesem Sonntag verkauft, ist kein Ende. Es ist ein Prozess, in dem Worte die Schlagzeilen füllen, während die Gewalt weiterläuft. Selenskyj reist nicht nach Florida, weil er dort eine Einladung zum Gala-Dinner suchte, sondern weil sein Land Schutz braucht, klare Sicherungen, echte Garantien. Alles andere ist Theater. Und Theater hält keine Drohnen auf. Für den Januar 2026 kündigte Selenskyj ein Treffen mit Trump und weiteren europäischen Politikern in Washington D.C. an. Das nach der Abschlusspressekonferenz in Florida der russische Sondergesandte Kirill Dmitrijew in einer ersten Reaktion auf X fast einen Tanz vollzog, rundet das Gesamtbild ab: „Die ganze Welt würdigt die Friedensbemühungen von Präsident Trump und seinem Team.“ Und bis dahin? Zählt die Welt die Toten in der Ukraine.
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