Die neue Meinungsfreiheit der Macht

VonRainer Hofmann

Dezember 24, 2025

Washington zieht eine Mauer, das macht Trump gerne, und nennt sie Prinzip. Von einem Tag auf den anderen gelten mehrere europäische Akteurinnen und Akteure als unerwünscht. Der Vorwurf: „Zensur“. Gemeint ist die europäische Praxis, Hass, Drohungen und gezielte Desinformation auf großen Plattformen nicht als unvermeidliches Begleitphänomen hinzunehmen. Betroffen sind die beiden Leiterinnen der deutschen Initiative HateAid, Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, der britische NGO-Vertreter Imran Ahmed, Clare Melford vom Global Disinformation Index sowie der frühere EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton.

Formell handelt es sich um Einreiseverbote. Politisch sind sie etwas ganz anderes. „Wenn Sie Ihre Karriere der Zensur amerikanischer Meinungsäußerungen widmen, sind Sie auf amerikanischem Boden unerwünscht“ – so die Botschaft aus dem Außenministerium. Relativierung? Keine. Marco Rubio spricht von „exterritorialer Zensur“, die nicht länger hingenommen werde. Aus europäischer Regulierung werden in dieser Lesart „radikale Aktivisten“ und „instrumentalisierte NGOs“, die Plattformen zwingen wollten, unliebsame Positionen zu bestrafen.

Seit viel zu langer Zeit haben Ideologen in Europa organisierte Anstrengungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht gefallen. Die Trump-Regierung wird diese schweren Akte exterritorialer Zensur nicht länger tolerieren. Heute wird das Außenministerium Schritte einleiten, um führenden Persönlichkeiten des globalen Zensur-Industrie-Komplexes die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verwehren. Wir sind bereit und gewillt, diese Liste zu erweitern, sofern andere ihren Kurs nicht ändern. („Jetzt haben wir aber alle ganz, ganz große Angst, Little Marco“ – Anmerkung der Redaktion)

Die Auswahl der Namen lässt keinen Zweifel, worum es geht. HateAid unterstützt Betroffene digitaler Gewalt, dokumentiert Fälle, arbeitet mit Behörden und Plattformen zusammen und bewegt sich dabei strikt innerhalb geltenden Rechts. Anna-Lena von Hodenberg wurde dafür erst vor wenigen Wochen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Ausgerechnet diese Arbeit wird nun als Zensur etikettiert. Die Reaktion der beiden Leiterinnen fällt knapp und deutlich aus. Sie sprechen von Repression und davon, dass hier europäische Souveränität offen infrage gestellt werde. Der Ton bleibt sachlich, der Vorwurf wiegt schwer: Eine Regierung, die ihre eigenen rechtsstaatlichen Maßstäbe zunehmend dehnt, greife gezielt jene an, die ihr widersprechen.

Der Zusammenhang liegt offen zutage. Seit Monaten richtet sich der politische Druck aus Washington gegen europäische Digitalregeln, allen voran gegen den Digital Services Act. Das Gesetz verpflichtet große Plattformen, gegen illegale Inhalte vorzugehen, Risiken offenzulegen und strukturelle Verstöße zu beheben. In Europa ist das eine Reaktion auf jahrelange Untätigkeit der Konzerne. In den USA wird es als Angriff auf die Meinungsfreiheit gedeutet. Thierry Breton, der den DSA politisch mitverantwortete, wird zum „Mastermind“ erklärt. Dass alle 27 Mitgliedstaaten dem Gesetz zugestimmt haben, spielt in dieser Erzählung keine Rolle. Bretons knappe Antwort verweist genau darauf: Zensur liege nicht dort, wo sie gerade verortet werde.

Auch der Zeitpunkt ist kein Zufall. Kurz zuvor wurde die Plattform X wegen Transparenzmängeln zu einer hohen Geldstrafe verpflichtet. In Washington wurde das als Angriff auf amerikanische Unternehmen und das amerikanische Volk gedeutet, wobei der größte Feind des amerikanischen Volks Trump selber ist. Europäische Rechtsdurchsetzung erscheint in dieser Logik nicht als Anwendung von Regeln, sondern als feindlicher Akt. Dass diese Regeln dort greifen, wo Inhalte in der EU verbreitet werden, bleibt unerwähnt. Der europäische Grundsatz ist schlicht: Was offline illegal ist, bleibt es auch online – ohne jeden Anspruch auf Geltung jenseits des eigenen Rechtsraums. Neu ist weniger der Konflikt selbst als das gewählte Mittel. Statt Verfahren oder Verhandlungen kommt das Einwanderungsrecht zum Einsatz. Wer als „Zensor“ gilt, soll draußen bleiben. Auch Bürgerinnen und Bürger aus Staaten mit Visa-Waiver-Status müssen vor der Einreise ein elektronisches Prüfverfahren durchlaufen. Ein einzelner Vermerk kann ausreichen, um Reisen dauerhaft unmöglich zu machen. Das Instrument ist schwer angreifbar und genau deshalb so wirksam.

Dass natürlich das Sparschweinchen an Intelligenz nicht fehlen darf, ist mehr Zumutung als Substanz, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Nur das Schärfen des Bildes haben wir gelassen, es gibt Grenzen.

In Europa erzeugt dieser Schritt tiefe Unruhe. Er richtet sich nicht gegen anonyme Institutionen, sondern gegen namentlich genannte Personen, die für eine bestimmte Vorstellung digitaler Verantwortung stehen. Organisationen, die seit Jahren Fälle dokumentieren, Anzeigen vorbereiten und Betroffene begleiten, werden zu politischen Zielscheiben. Ursache und Wirkung werden dabei auf den Kopf gestellt. Aus Regeln gegen Gewalt und Hetze wird ein angeblicher Angriff auf die Meinungsfreiheit konstruiert.

Am Ende steht eine Frage, die in Washington auffällig selten gestellt wird: Wer setzt die Maßstäbe dort, wo Menschen leben, arbeiten, wählen und bedroht werden? Fakt ist, dass Amerika jeden Tag gegen nationales und internationales Recht verstößt. Schaue ich mir unsere Schreibtische an, so könnte man diese demnächst als Mahnmal von Verlust von Demokratie zur Errichtung von Faschismus begründen. Europa hat entschieden, große Plattformen nicht länger als rechtsfreie Räume zu behandeln. Und das ist richtig so, für die Rechtspopulismus natürlich Zensur für ihre eigene Definition von Freiheit. Die Antwort aus den USA besteht aus persönlichen Einreiseverboten gegen jene, die diese Entscheidung vertreten oder umsetzen. Das ist kein Streit über Worte mehr. Es ist ein Machtkonflikt – und ein Signal an alle, die in Europa an digitalem Recht arbeiten: Dieser Konflikt wird längst mehr als nur gedanklich entrückt geführt. Donald Trump und sein Regime stellen mehr als nur eine Bedrohung dar; ihnen ist mit den Mitteln der Demokratie und des investigativen Journalismus zu begegnen – in Trumps neuem Westen eher Normalzustand als Ausnahme.

Fortsetzung folgt …

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