US-Gewalt auf See – Trumps Venezuela-Politik ohne Rechtsgrundlage

VonRainer Hofmann

Dezember 21, 2025

Das wird Trump bestimmt gefallen haben. Bewaffnete US-Einheiten, ein Hubschrauber über einem Öltanker, Soldaten auf dem Deck. Der Eindruck, den das Trump-Regime der Welt vermitteln möchte, einer rechtmäßigen Beschlagnahmung ist falsch. Die Vereinigten Staaten hatten zum Zeitpunkt des Zugriffs weder ein gerichtliches Mandat noch eine sanktionsrechtliche Grundlage, um den Tanker festzusetzen. Präsident Trump durfte diesen Eingriff völkerrechtlich nicht anordnen. Was stattfand, war ein militärisch durchgesetztes Boarding ohne belastbare rechtliche Absicherung.

Tatsächlich hat die US-Küstenwache am Wochenende den unter panamaischer Flagge fahrenden Tanker Centuries in internationalen Gewässern geentert. Das Schiff hatte venezolanisches Rohöl geladen und war auf dem Weg nach Asien. Heimatschutzministerin Kristi Noem sprach öffentlich von einer „Festsetzung“. Was sie nicht sagte: Für diesen Einsatz lag kein richterlicher Beschlagnahmebeschluss vor. Der Tanker steht nicht auf der öffentlich geführten Sanktionsliste des US-Finanzministeriums. Eine Verbindung zu Iran, wie sie beim ersten beschlagnahmten Tanker Anfang des Monats geltend gemacht wurde, ist nicht belegt.

Damit ist der entscheidende Punkt gesetzt. Boarding ist keine Seizure. Entern ist keine rechtmäßige Beschlagnahme. Begriffe wie „apprehended“ mögen politisch eindrucksvoll klingen, sie ersetzen kein Mandat. Dass US-Stellen nun erst nach dem Entern prüfen, ob die panamaische Registrierung des Schiffes gültig ist, zeigt die Richtung dieser Operation. Das Recht folgt der Aktion, nicht umgekehrt.

Juristische Einordnung: Seerecht, Boarding vs. Seizure, Sanktionsrecht, US-Rechtslage
1) Seerecht – wann ein Boarding auf Hoher See zulässig ist
Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) gilt: Ein Schiff auf Hoher See unterliegt grundsätzlich der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaats (Art. 92 UNCLOS). Ein fremdes Boarding ist nur ausnahmsweise zulässig, etwa bei Piraterieverdacht, Sklavenhandel, unbefugtem Rundfunk oder wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass das Schiff keine gültige Staatszugehörigkeit hat oder die Flagge nicht zutrifft (Art. 110 UNCLOS).
2) Boarding ist nicht Seizure – Kontrolle ersetzt keine Beschlagnahme
Selbst wenn ein Boarding zur Flaggen- oder Registrierungsprüfung zulässig ist, folgt daraus kein automatisches Recht zur Beschlagnahme oder dauerhaften Festsetzung eines Schiffes. Für eine Seizure braucht es eine eigenständige rechtliche Grundlage, völkerrechtlich wie national, etwa ein Mandat, die Zustimmung des Flaggenstaats oder eine gerichtliche Anordnung.
3) US-Sanktionsrecht – politische Ansagen ersetzen keine Rechtsgrundlage
US-Sanktionen werden über das Finanzministerium und OFAC vollzogen. Entscheidend ist, ob ein Schiff, Eigentümer, Händler oder die Fracht konkret gelistet oder eindeutig einer sanktionierten Kategorie zugeordnet ist. Ist ein Tanker nicht gelistet und liegt keine belegte Iran- oder Terrorfinanzierungsverbindung vor, fehlt die Grundlage für eine rechtmäßige Beschlagnahme. Politische Begriffe wie „Blockade“ oder „Festsetzung“ schaffen kein Recht.
4) US-Verfassungs- und Strafprozessrealität – auch der Präsident kann kein Mandat ersetzen
Auch nach US-Recht ist eine dauerhafte Beschlagnahme regelmäßig an eine richterliche Anordnung gebunden. Der Präsident kann militärische Präsenz oder Durchsuchungen anweisen, aber keine fehlende Rechtsgrundlage nachträglich legitimieren. Wo kein Mandat vorliegt, entsteht auch durch Macht kein Recht. Eine Seizure ohne gerichtliche Absicherung bleibt angreifbar.
5) Leitlinien aus der Rechtsprechung – Grenzen staatlicher Eingriffe
US-Gerichte erkennen staatlichen Stellen und Bundesbeamten Schutz nur, soweit Handlungen objektiv notwendig und angemessen sind. Entfernt sich ein Vorgehen von klaren Rechtsgrundlagen wie Mandat, Flaggenprüfung oder Gerichtsbeschluss, wächst das rechtliche Risiko erheblich, national wie international.
Hinweis: Maßgeblich ist nicht die spätere politische Begründung, sondern was zum Zeitpunkt des Zugriffs rechtlich dokumentiert und abgesichert war.

Venezuela spricht von Entführung und Diebstahl. Diese Wortwahl ist politisch aufgeladen, aber sie verweist auf eine reale Grauzone. Nach internationalem Seerecht darf ein Schiff in internationalen Gewässern nur unter klar definierten Voraussetzungen geentert werden, etwa bei Piraterieverdacht, fehlender Registrierung oder nachweislich falscher Flaggenführung. Keine dieser Voraussetzungen war zum Zeitpunkt des Zugriffs abschließend geklärt. Die USA haben faktisch gehandelt, bevor sie geprüft haben.

Die Vereinigten Staaten hatten zum Zeitpunkt des Zugriffs weder ein gerichtliches Mandat noch eine sanktionsrechtliche Grundlage, um den Tanker festzusetzen.

Parallel eskaliert die Lage militärisch. Satellitendaten und Analysen unabhängiger Institute zeigen, dass sowohl US- als auch venezolanische Streitkräfte im Karibikraum gezielt GPS-Signale stören. US-Kriegsschiffe, darunter ein Flugzeugträgerverband, setzen elektronische Gegenmaßnahmen ein, offiziell zur Drogenbekämpfung. Venezuela reagiert spiegelbildlich und schirmt militärische Anlagen, Raffinerien und Kraftwerke ab. Das Resultat ist kein Abschreckungsgleichgewicht, sondern ein wachsendes Risiko für zivile Luft- und Seefahrt.

In den vergangenen Wochen kam es zu massiven Navigationsausfällen. Linienflugzeuge verloren zeitweise ihre Positionsdaten, ein Flug meldete beinahe eine Kollision mit einem Militärflugzeug. Kreuzfahrtschiffe und Frachter mussten stundenlang ohne GPS navigieren. Die US-Flugsicherheitsbehörde warnte Piloten ausdrücklich vor der Region. Der Präsident ging noch weiter und erklärte faktisch den venezolanischen Luftraum für unbenutzbar, obwohl er dafür keinerlei rechtliche Zuständigkeit besitzt. Diese Eskalation trifft nicht Regierungen, sondern Menschen. Flugverbindungen wurden gestrichen, Familien konnten sich über die Feiertage nicht sehen, Geschäftsreisen platzten, Ersparnisse wurden wertlos. In einem Land, in dem Armut Alltag ist, wird Mobilität zum Luxus, der politischen Machtspielen geopfert wird. Die Kosten tragen nicht die Entscheidungsträger, sondern jene, die keinen Einfluss auf diese Entscheidungen haben.

Ein anderer Linienpilot, dessen Maschine für Caribbean Airlines unterwegs war, schilderte der Flugsicherung an diesem Tag ungewöhnlich offen, dass seine Navigationssysteme gestört würden. Er bat darum, manuell nach Trinidad gelotst zu werden, weil eine verlässliche Positionsbestimmung nicht mehr möglich sei. Am härtesten treffen diese Störungen jedoch die Bevölkerung in Venezuela selbst. Ende November gab die US-Flugsicherheitsbehörde eine ungewöhnlich scharf formulierte Warnung für den Betrieb am Flughafen Maiquetía in Caracas heraus. Begründet wurde sie mit einer sich zuspitzenden Sicherheitslage und zunehmender militärischer Aktivität – ein Hinweis darauf, dass der Ausnahmezustand längst den zivilen Alltag erreicht hat.

Gleichzeitig wird der wirtschaftliche Druck bewusst auf See verlagert. Venezuela lässt seine Tanker inzwischen militärisch eskortieren, zumindest bis an die Grenze der eigenen Wirtschaftszone. Dass Russland ähnlich vorgeht, ist bekannt. Nun wird dieses Muster in der Karibik reproduziert. Ein Öltanker braucht plötzlich Kriegsschiffe, um einen Hafen zu verlassen. Das ist kein Zeichen von Stärke, sondern von dauerhafter Belagerung. Die US-Regierung nennt ihr Vorgehen Durchsetzung von Recht. Tatsächlich wird Recht hier gedehnt, selektiv angewandt und durch militärische Präsenz ersetzt. Sanktionen werden nicht mehr nur administrativ vollzogen, sondern operativ erzwungen. Die Grenze zwischen Kontrolle und Konfrontation wird bewusst unscharf gehalten. Das erhöht den Druck, aber auch das Risiko eines Zwischenfalls, der sich nicht mehr einfangen lässt.

Am Ende bleibt ein klares Bild. Was offiziell als Kampf gegen Drogenhandel und illegale Ölgeschäfte verkauft wird, ist ein Eingriff ohne rechtliche Grundlage, dessen Risiken und Schäden nicht Staaten, sondern Menschen tragen. Die Karibik wird zur freien Wildbahn einer Politik, die Macht über Verfahren stellt und Eskalation als Recht begreift. Für die Menschen in der Region ist das kein geopolitisches Schachspiel, sondern tägliche Unsicherheit. Und für das internationale Recht ist es ein weiterer Moment, in dem seine Grenzen nicht nur getestet wurden, sondern bewusst unvertretbar überschritten werden.

In eigener Sache
Liebe Leserin, lieber Leser des Kaizen Blog,
genau jetzt, in diesem Moment, sind alle von uns überall an vielen Orten im Einsatz und erleben Geschichte hautnah mit. Möglich ist das auch deshalb, weil Leserinnen und Leser wie Sie verstehen, dass jemand vor Ort sein muss – nicht aus der Ferne berichten, sondern miterleben, dokumentieren, Zeugnis ablegen. Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus, der Menschenrechte verteidigt und rechtspopulistischer Politik widerspricht.
Kaizen unterstützen

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x