Gefilmt – und zu Boden geprügelt

VonRainer Hofmann

Dezember 13, 2025

Eine Frau steht auf einer öffentlichen Straße in Columbia Heights, Washington, D.C. Sie filmt. Mehr passiert nicht. Ein ICE-Beamter hat direkt nach einem Einsatz ein Problem mit seinem Fahrzeug. Er braucht Hilfe. Das sieht jeder. Auch die Kamera. Der Beamte schreit sie an, weiterzugehen, sie lässt sich hinreißen, ihn zu beleidigen – es wurden zuvor drei Menschen festgenommen, in der üblichen ICE-Manier, die Emotionen waren hoch. Sie bleibt stehen. Dann geht er los. Er überquert die Straße, schlägt sie zu Boden. Keine Vorwarnung. Keine Gefahr. Keine Rechtfertigung. Wir recherchieren bereits, um den Beamten zur Rechenschaft zu ziehen. Sie kniet benommen auf der Straße, weil sie hingesehen hat. Eine Frau fragt: „Oh mein Gott, bist du okay?“

Der Auslöser ist so klein, wie beschämend. Ein Mann in Uniform fühlt sich bloßgestellt, aber der Einsatz war ebenfalls grenzwertig, ein Fall, der auch vor Gericht gehen wird. Jemand filmt, während der Beamte mit der Hilfe eines Passanten sein Fahrzeug verschiebt. Jemand sagt wütende Worte, ruhig, aber zu viel. Daraus wird Gewalt. Nicht aus Angst. Nicht aus Notwehr. Sondern aus Kränkung.

Das Video zeigt keine Verwirrung, kein Chaos, keinen Unfall. Es zeigt, was auch in Europa kommen kann, weil man sich den USA in allen Bereichen viel zu wenig entgegenstellt. Der Weg über die Straße. Der Schlag nach unten. Wer filmt, soll lernen, was passiert. Weil Bilder bleiben. Weil sie nicht verschwinden. Wer schlägt, glaubt, Kontrolle zurückzugewinnen. Eine Frau kniend auf dem Asphalt ist kein Einzelfall. Es ist das Ergebnis eines Krieges gegen die eigene Bevölkerung, das eigene Land, die Beobachtung bestraft und Schweigen erwartet. Wer nicht wegschaut, wird zum Ziel. Nicht, weil man gefilmt hat, weil hingesehen wurde, weil man den Mund aufgemacht hat. Wir kennen das selbst, haben es hundertfach dokumentiert.

Und genau das ist unser Kampf. Dagegen vorzugehen, es zu verhindern, Menschen wieder aus unberechtigter Haft zu holen. Dagegen anzugehen, es zu dokumentieren, solange es geht. Wir müssen schneller werden. Und wir müssen noch besser werden. Nicht irgendwann. Nicht später.

Unterstützen auch Sie unseren humanitären und journalistischen Kampf dagegen. Es geht nur gemeinsam, nicht nur für das Heute, sondern auch für das Morgen. Wir sind nicht auf der Welt, um zum Schluss irgendwo auf dem Asphalt benommen kniend im Dreck zu liegen.

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