Amerika verschiebt die Grenzen – und Europa hält den Atem an

VonRainer Hofmann

November 28, 2025

Trump lässt prüfen, ob die USA russische Kontrolle über besetzte Gebiete in der Ukraine offiziell anerkennen sollen. Es wirkt wie ein politisches Erdbeben, das sich lange angekündigt hat – nur dass kaum jemand damit gerechnet hatte, dass es so offen kommt. Während Europa betont, dass Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen, lässt Washington einen Kurs testen, der genau das legitimieren würde. Und plötzlich stehen wieder jene Regionen im Raum, für die Menschen seit mehr als tausend Tagen unter Bomben, Folterkellern und Besatzung leben: Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja, die Krim. Orte, deren Namen längst für Leid stehen – und jetzt auch für ein mögliches diplomatisches Opfer.

Trumps Vertrauter Steve Witkoff ist gemeinsam mit Jared Kushner nach Moskau unterwegs, um ein Angebot vorzulegen, das Russland seit Jahren hören will. Die ersten Entwürfe enthielten „faktische Anerkennung“ der russischen Kontrolle. Der überarbeitete Plan ist kürzer, angeblich weniger freundlich für Moskau, aber der entscheidende Punkt ist geblieben: die Frage, ob die USA bereit sind, Putins Gebietsansprüchen zuzustimmen. Eine Entscheidung, die Europa zerreißen würde und in Kiew wie ein Verrat wirkt. Selbst im Weißen Haus soll man inzwischen kaum noch Rücksicht auf europäische Positionen nehmen. „Die Europäer können tun, was sie wollen“, soll ein Beteiligter gesagt haben.

Putin spielt seine Rolle perfekt. Er spricht von „Souveränität“ über Gebiete, die Russland nur durch Gewalt kontrolliert, und macht klar, dass Anerkennung dieser Ansprüche Bedingung jeder Verhandlung sei. Das Kremlsignal ist eindeutig: Ohne Gebietsaufgabe gibt es keinen Frieden. In Ukrainas Verfassung ist das Gegenteil festgeschrieben – kein Präsident darf Land abtreten, ohne das Volk zu fragen. Und Andrij Jermak, Selenskyjs engster Mann, bringt es nüchtern auf den Punkt: „Kein vernünftiger Mensch würde heute ein Dokument unterschreiben, um Gebiet aufzugeben.“

Europa hält an seiner Linie fest, auch weil es gar nicht anders kann. Alle Sicherheitsabkommen, alle Zusagen an die Ukraine, alle Sanktionen gegen Moskau beruhen darauf, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Würden die USA diese Grundlage aufbrechen, stünde ein Jahrzehnt westlicher Einheit vor dem Einsturz. Und Europa wüsste nicht, ob es künftig noch auf die USA zählen kann – oder ob es sich auf eine Zukunft vorbereiten muss, in der Washington eigene Deals schließt und Partner auffordert, sich damit abzufinden. Das Misstrauen wächst zusätzlich, weil Tonaufnahmen aufgetaucht sind, die Witkoff dabei zeigen, wie er russischen Offiziellen erklärt, wie man Trump überzeugen könne. Er spricht darin von der Aufgabe von Donezk. Genau jene Linie, die Kiew niemals akzeptieren kann. Und doch scheint sie in Washington längst Teil des Gesprächs zu sein.

„Witkoff und Putin – das Duo infernale“

Die neuesten amerikanischen Vorschläge lassen die heikelsten Punkte offen. Territorialfragen sollen nur von Trump und Selenskyj direkt besprochen werden. Ein Treffen ist nicht bestätigt. Alles hängt in der Luft – und doch zeichnet sich ab, wohin die Reise geht. Kiew kämpft um Zeit, um Sicherheit, um staatliche Selbstachtung. Europa kämpft um seine Glaubwürdigkeit. Und Washington wirkt, als würde es testen, wie weit man gehen kann, ohne dass der Westen auseinanderbricht.

Wenn es einen Moment gibt, in dem sich entscheidet, ob das nächste Jahrzehnt stabil bleibt oder ins Chaos kippt, dann ist er genau jetzt. Denn ein Krieg endet nicht dadurch, dass man dem Angreifer gibt, was er verlangt. Er endet, wenn die internationale Ordnung stärker bleibt als der Wunsch eines einzelnen Mannes, seine politische Handschrift in die Landkarte zu brennen.

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Lea
Lea
1 Stunde zuvor

Gnade uns Gott und bewahre uns vor Trump und Putin!

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