Ein Präsident, der Grenzen zieht – und ein Land, das atemlos zuschauen muss

VonRainer Hofmann

November 27, 2025

Kaum waren die ersten Details zum Angriff auf zwei Nationalgardisten in Washington bekannt, begann ein Wettlauf um Deutungshoheit, der mehr über das politische Klima in diesem Land erzählt als über den Täter selbst. Während Ermittler noch die Spuren sicherten, nutzten rechte Kreise den Vorfall, um ein altes Feindbild erneut zu beleben: den Ausländer, der angeblich die nationale Sicherheit bedroht. Und wie so oft in solchen Momenten trat einer sofort auf die Bühne – mit Worten, die jede Chance auf Ruhe im Keim erstickten: Donald Trump.

Kurz nach dem Angriff trat Trump vor die Kameras und erklärte, man müsse „jeden einzelnen Ausländer aus Afghanistan, der unter Biden eingereist ist“, erneut überprüfen. Er forderte, „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um Menschen aus jedem Land abzuschieben, „die nicht hierher gehören oder keinen Nutzen bringen“. Wer Amerika nicht liebe, solle nicht bleiben dürfen. Die Worte fielen in einem Moment, in dem das Land noch immer unter dem Eindruck des Anschlags stand und Ermittler die Motive des Täters prüften. Doch statt beruhigender Töne setzte Trump auf Abgrenzung und einen harten Kurs, der sofort politische Reaktionen auslöste und die Spaltung weiter vertiefte.

Unmittelbar danach meldete sich Stephen Miller zu Wort und verschärfte die Linie weiter. Er erklärte, die Regierung werde die Bemühungen beschleunigen, „jede einzelne Person“, die in den letzten vier Jahren ins Land gekommen sei, erneut zu überprüfen – „alle 20 Millionen“. Wer illegal sei, solle automatisch gehen. Und alle anderen – Flüchtlinge, Menschen mit Asylstatus, egal in welcher Notlage sie eingereist sind – würden ebenfalls erneut geprüft. Wer dieses Land nicht liebe oder keinen Nutzen bringe, werde hinausgeworfen. Es war eine Aussage, die in ihrer Rücksichtslosigkeit kaum Zweifel daran ließ, worauf diese Politik abzielt: Druck, Angst und klare Feindbilder.

Später am Abend trat Trump erneut vor die Medien und behauptete, das Heimatschutzministerium sei „zuversichtlich“, dass es sich beim festgenommenen Täter um „einen Ausländer“ handle, der „aus Afghanistan, einem Höllenloch auf Erden“, gekommen sei. Er sagte, der Mann sei im September 2021 „mit einem dieser berüchtigten Flüge der Biden-Regierung“ ins Land gekommen, Flüge, „von denen niemand wusste, wer da eigentlich an Bord war“. Sein Status sei später durch ein von Biden unterzeichnetes Gesetz verlängert worden. Auch diese Worte zielten nicht auf Präzision, sondern auf das Bild eines Landes, das angeblich von Menschen bedroht werde, die nie hätten einreisen dürfen.

Der Zeitpunkt dieser Aussagen war alles andere als Zufall. Das Land war noch im Schock, die Bilder aus Washington liefen in Schleife, und bevor überhaupt klar war, warum ein 29-jähriger Afghane auf zwei Soldaten geschossen hatte, stand längst fest, wie der Vorfall politisch genutzt werden sollte. Es ist ein bekanntes Muster: Die meisten Anschläge und Amokläufe in den USA gehen auf das Konto rechtsradikaler oder einheimischer Täter. Doch sobald ein Ausländer beteiligt ist, wird er zum Symbol – erst recht, wenn er aus einem muslimisch geprägten Land stammt. Die AfD in Deutschland perfektioniert diese Logik seit Jahren, und in den USA folgt Trump ihr mit der gleichen Berechnung, nur noch größer, lauter, rücksichtsloser.

Statt den Menschen im Land zu erklären, was man weiß und was nicht, statt Rücksicht auf eine ohnehin aufgeheizte Stimmung zu nehmen, setzt Trump wieder einmal auf Spaltung als politisches Werkzeug. Seine Formulierungen dienen nicht der Beruhigung, sondern der Einteilung in Zugehörige und Nicht-Zugehörige. Aus dem Weißen Haus dringt keine Stimme der Verantwortung, sondern eine, die neue Grenzen zieht, bevor die Fakten auf dem Tisch liegen. Und weil Trumps Worte nie nur Worte sind, sondern politische Signale, bleiben sie nicht folgenlos. Die Reaktionen kamen sofort. Bürgerrechtsorganisationen warnten vor einer neuen Welle staatlicher Schikanen, Juristen stellten infrage, ob eine „Überprüfung von 20 Millionen Menschen“ überhaupt verfassungsgemäß möglich wäre, und viele Amerikaner ahnten längst, worum es eigentlich geht: nicht um Sicherheit, sondern um Mobilisierung. Trumps Sätze sind ein Ruf an jene, die die Welt gern in ein starres „wir“ und „sie“ aufteilen. Dass er in solchen Momenten reflexartig darauf zurückgreift, zeigt, wie sehr er die Eskalation braucht, um sich politisch zu behaupten.

Die Gefahr liegt nicht nur in den Plänen, sondern in dem Klima, das sie erzeugen. Während zwei schwer verletzte Nationalgardisten im Krankenhaus liegen, die um ihr Leben kämpfen, geraten ausgerechnet jene unter Druck, die mit der Tat nichts zu tun haben: Geflüchtete, Menschen mit unsicherem Status, Familien, die seit Jahren hier leben. Für sie bedeutet dieser politische Tonfall mehr als eine Schlagzeile. Er bedeutet Angst. Er bedeutet, jeden Tag zu hoffen, nicht in eine Kategorie gedrängt zu werden, aus der man nicht mehr herauskommt. Trumps Rhetorik ist gefährlich, weil sie Menschen auf Eigenschaften reduziert, die sie weder gewählt noch verändert haben. Sie zeichnet ein Bild von einem Amerika, das sich nicht öffnet, sondern abschottet. Sie lenkt den Blick weg von der eigentlichen Frage: Wie konnte es zu diesem Angriff kommen? Und was hätte ihn verhindert? Die ehrliche Antwort liegt nicht in der pauschalen Verurteilung von Millionen, sondern in gründlicher Ermittlungsarbeit. Doch auf Gründlichkeit setzt Trump nur, wenn sie seinen Zwecken dient. In diesem Fall tut sie das nicht.

Amerika bräuchte jetzt eine Stimme, die beruhigt, erklärt, einordnet. Stattdessen bekommt es einen Präsidenten, der die Flammen schürt – und einen Berater, der den Brand weiter anfacht. Rechtspopulismus, ein Fluch, der 2025 mehr und mehr um sich greift, den man mit Ausdauer, Fakten und Sachlichkeit bekämpfen muss.

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