Wie ein Kapitulationsplan die Ukraine erschüttert und zugleich Hunderttausende in den USA in Gefahr bringt

VonRainer Hofmann

November 23, 2025

In Bucha, dort wo Massengräber, Einschusslöcher und der Geruch von verbranntem Holz noch immer daran erinnern, was russische Soldaten im Frühjahr 2022 zurückließen, ringen die Menschen mit einer neuen Zumutung. Ein Kapitulationsplan, wir können es nicht als Friedensplan bezeichnen, der eine pauschale Amnestie für alle Kriegsverbrechen vorsieht, trifft die Überlebenden härter als viele politische Debatten der vergangenen Jahre. Wer Angehörige verloren, Leichen identifiziert oder Folterspuren aus Kellern getragen hat, sieht darin keinen Schritt in Richtung Frieden, sondern einen Schlag ins Gesicht. „Es ist ein grünes Licht“, sagt der Priester Andrij Halawin in seiner noch immer beschädigten Kirche. „Es bedeutet: Ihr könnt weiterbomben, weiter erschießen. Euch passiert nichts.“

Der Kapitulationsplan verlangt, dass die Ukraine Gebiet abgibt, ihre Armee verkleinert und auf einen NATO-Beitritt verzichtet. Für Menschen wie Vira Katanenko, deren Sohn im Donbass gefallen ist, klingt das nach einer Forderung, die man nur stellt, wenn einem das Leid anderer egal ist. „Sollen sie herkommen und es sich ansehen“, sagt sie am Grab ihres Sohnes. „Dann reden wir weiter.“

Die Wucht dieser Forderungen trifft ein Land, das seit fast vier Jahren gegen eine Invasion kämpft, aber sie trifft auch jene Ukrainerinnen und Ukrainer, die längst im Ausland leben. In den USA geraten fast 200.000 Geflüchtete in eine Lage, die sich täglich weiter zuspitzt. Ein nächstes Problem landet mehr und mehr auf unsere, bereits auch so überfüllten Schreibtischen, was zu einer humanitären Katastrophe zu werden droht. Viele kamen über humanitäre Programme ins Land, arbeiten, zahlen Steuern, schicken ihre Kinder zur Schule – und müssen nun feststellen, dass ihr Aufenthalt plötzlich ins Wanken gerät. Arbeitsgenehmigungen laufen aus, Verlängerungen verzögern sich oder werden abgelehnt. Rechtsberatungstellen berichten von Menschen, die völlig unverschuldet in einen gefährlichen Schwebezustand geraten.

In Chicago, Seattle und Philadelphia sitzen Menschen vor Akten, die zeigen, wie brüchig ihr bisheriger Schutz geworden ist. Einige erhielten Schreiben, in denen neue Nachweise verlangt werden, die sie kaum beschaffen können. Viele haben ihre Arbeitsgenehmigungen bereits verloren oder sie wurde nicht verlängert. Andere wurden mit widersprüchlichen Entscheidungen konfrontiert. Arbeitgeber wissen nicht, ob sie ihre ukrainischen Mitarbeiter bald verlieren. Anwälte warnen bereits davor, dass sich hier eine Lage entwickelt, die in wenigen Monaten völlig außer Kontrolle geraten kann. Wir werden in den nächsten Tagen versuchen, diese zusätzliche Aufgabe in unseren bereits übervollen Alltag einzubetten. Bitte haben sie Verständnis, wenn es dadurch zu Verzögerungen in der Berichterstattung kommt.

Parallel dazu verabschieden in der Ukraine Angehörige einen gefallenen Maschinengewehrschützen. Die Menschen stehen im Regen, während der Sarg abgesenkt wird, und sprechen darüber, wie real die Gefahr eines Kapitulationsplans für ihr Land ist. „Wie soll man das seiner Geschichte zumuten?“ fragt ein ehemaliger Reservist „Der Krieg wird nicht bald enden. Wir werden noch lange sterben müssen.“

Beide Welten – die Ukraine an der Front und die Ukrainerinnen und Ukrainer in den USA – sind miteinander verbunden. Die einen schauen auf einen Plan, der ihre Existenz infrage stellt. Die anderen sehen, wie ihr Leben im sicheren Ausland durch politische Entscheidungen ins Rutschen gerät. Der Kapitulationsplan mag auf dem Papier nach einem Ausweg klingen. Für die Menschen jedoch, die Gräber ausheben mussten, für jene, die im Ausland versuchen, ein neues Leben aufzubauen, und für alle, die jeden Tag zwischen Angst und Hoffnung stehen, ist er das Gegenteil: eine Gefahr, die alles aufs Spiel setzt.

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Ela Gatto
Ela Gatto
13 Stunden zuvor

Dieser Plan, wäre in etwa so gewesen, als ob Hitler alle Ostgeboete, inklusive Polen, Finnland, Denmark etc hätte behalten können und es eine komplette Amnestie aller seiner Schergen für die grausamen Morde in in den Konzentrations- und Gefangenlagern gegeben hätte.

Und dann sagt Merz „der Friedensplan ist in Teilen nicht annehmbar“. Bitte? In Teilen?
Er ist von Punkt 1 bis Punkt 28 komplett unanehmbar.

An dem Plan gibt es nichts schön zu reden.
Es sind russische Maximalforderjngen und die Vorbereitung zur kompletten Übernahme und Zerstörung der Ukraine.

Denn wer glaubt, dass Putin die Ukrainer in Ruhe leben lassen würde, hat in Geschichte nicht aufgepasst.
Um es bei der Übernahme leicht zu haben, würde er jetzt tausende töten lassen, in Arbeitslager verbringen, Kinder umerziehen.
Um auch das letzte bisschen Widerstand und Identität zu zerstören.

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