Der Richter, der das Tor öffnete – wie John Roberts Donald Trump den Weg zurück an die Macht ebnete

VonRainer Hofmann

November 22, 2025

Es wird in den kommenden Jahren viele Erklärungen dafür geben, warum die Vereinigten Staaten ausgerechnet in diesem Moment einem Mann erneut die Macht anvertrauen, der offen ankündigt, die Regeln der Demokratie zu zerlegen. Man wird auf soziale Spannungen zeigen, auf steigende Preise, auf den wachsenden Einfluss extrem rechter Gruppen. Doch ein Name gehört zwingend in jede dieser Erklärungen: John Roberts. Der Vorsitzende des Supreme Court hat in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ein Fundament untergraben, das für Millionen Amerikaner lange unerschütterlich schien. Und genau dieses schwindende Vertrauen, diese Erosion an der Basis, hat das Terrain bereitet, auf dem Donald Trump 2024 wieder aufsteigen konnte.

Der Supreme Court war nie nur ein Gericht, aber unter Roberts wurde er zu einer politischen Machtzentrale, die schrittweise wichtige Schutzmechanismen zerstörte. Entscheidungen, die früher als Eingriffe in die demokratische Grundordnung gegolten hätten, wurden zur Routine. Was als Ausnahme begann, wurde zur Normalität – und irgendwann merkten die Menschen, dass sich das Land unmerklich verändert hatte. Die erste große Zäsur kam 2010. Die Entscheidung, Unternehmen und Milliardären praktisch unbegrenzte Wahlkampfausgaben zu erlauben, war ein Schlag ins Zentrum des demokratischen Gleichgewichts. Innerhalb weniger Jahre verschoben sich die Kräfteverhältnisse dramatisch. Wahlkämpfe wurden teurer, unüberschaubarer und für Normalbürger unbedeutender. Der Einfluss der Reichsten wuchs ins Maßlose. Die Wahl 2024 hat diese Entwicklung auf die Spitze getrieben: Noch nie floss so viel Geld von außen in eine Kampagne. Und kaum ein Kandidat profitierte stärker davon als Donald Trump. Seine Versprechen an die größten Finanzierer seines Wahlkampfs – Aufweichungen von Umweltauflagen, Lobbywünsche, politische Gefälligkeiten – standen in scharfem Widerspruch zu dem, was einst als Schutz vor Korruption galt. Doch der Supreme Court hatte genau jene Schutzmauern eingerissen.

Drei Jahre später folgte der nächste Angriff auf die demokratische Grundordnung. Das Urteil, das die entscheidende Schutzklausel des Voting Rights Act beseitigte, traf das Herzstück der amerikanischen Bürgerrechte. Die Aufsicht über Wahlrechtsänderungen in jenen Bundesstaaten, die jahrzehntelang systematisch Minderheiten unterdrückt hatten, fiel weg. Der Effekt war unmittelbar spürbar: neue Hürden, neue Ausgrenzung, neue Ungleichheit. Millionen Menschen – vor allem in Städten und Gemeinden mit hohem Anteil schwarzer und hispanischer Wähler – standen plötzlich vor Wahlen, die sich nicht mehr wie freie, sondern wie entmutigende Pflichtübungen anfühlten. Viele verbrachten Stunden in Schlangen, weil Wahllokale geschlossen oder verlegt worden waren. Es war ein stiller, aber entschlossener Schritt zurück in eine Zeit, von der man glaubte, sie überwunden zu haben.

Der Supreme Court griff auch dort ein, wo es um die Grundlagen des politischen Wettbewerbs ging. Als sich die Chance bot, den exzessiven Zuschnitt von Wahlkreisen zu begrenzen, entschied Roberts, dass Bundesgerichte sich heraushalten sollten. Damit war der Weg frei für Karten, die nicht dem Wählerwillen folgten, sondern parteipolitischen Berechnungen. Der Effekt ist messbar: Republikaner erhielten im Repräsentantenhaus einen dauerhaften Vorteil. Wettbewerbsfähige Bezirke verschwanden, extreme Kandidaten kamen nach oben, und der Kongress wurde zu einem Ort, an dem Kompromisse zunehmend unmöglich wurden. Die Folgen sah man in den Jahren danach – und sie bereiteten den Nährboden für eine Politik, die nur noch von Loyalität, Lautstärke und Drohungen lebte.

Doch die gravierendste Entscheidung fiel erst, als Donald Trump bereits seinen Versuch gestartet hatte, nach der Niederlage 2020 an der Macht zu bleiben. Die Frage, ob ein Präsident für Handlungen im Amt strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann, schien nie ernsthaft offen. Doch der Supreme Court verschob das Verfahren immer weiter nach hinten und verschaffte Trump wertvolle Zeit. Im Sommer 2024 folgte dann das Urteil, das in die Geschichte eingehen wird: ein Präsident genieße weitreichende Straffreiheit für sogenannte amtliche Handlungen. Die Konsequenz ist brutal: Selbst schwerste Vergehen bleiben ohne strafrechtliche Folgen, solange sie in irgendeiner Weise mit dem Amt verknüpft werden. Es war ein Urteil, das den Weg ebnete für den Gedanken einer unantastbaren Präsidentschaft – und damit für das politische Comeback eines Mannes, der genau diese Lücke nutzen wollte.

Amerika hat 2024 nicht einfach einen Politiker gewählt. Es hat einen Weg eingeschlagen, der nur möglich wurde, weil das Vertrauen in die demokratischen Regeln zuvor über Jahre geschwächt wurde. Ein Land, das seine Bürger im Stich lässt, wenn sie wählen wollen, wenn sie politische Mitsprache suchen, wenn sie darauf hoffen, dass Macht begrenzt bleibt, erzeugt irgendwann eine Stimmung, in der sich viele sagen: Es ist sowieso egal. Und genau in diesem Klima gedeihen Figuren wie Donald Trump.

Was aber die aktuellen Umfragen zeigen, sind Brüche – echte Brüche – in Trumps Unterstützung innerhalb der Republikanischen Partei. Seine Netto-Zustimmungswerte unter Republikanern sind seit Januar um mehr als 20 Punkte gefallen. (Stand: 21. November2025)

Die Ironie liegt offen zutage: John Roberts, der als Verteidiger der Institution gelten wollte, hat sie über Jahre geschwächt – und nun ist er einer der wenigen, die im kommenden Kapitel des Landes noch eine Grenze ziehen könnten. Doch wer verstehen will, wie Amerika an diesen Punkt geraten ist, kommt an einem Satz nicht vorbei: Die Rückkehr Donald Trumps ist auch das Werk einer Rechtsprechung, die Stück für Stück den Boden unter der Demokratie wegriss.

Amerika steht nun vor einer Zukunft, die von einem Präsidenten geprägt wird, der mehr Macht besitzt als jemals ein Amtsinhaber zuvor. Und ausgerechnet der Richter, der diese Entwicklung ermöglicht hat, wird einer der wenigen sein, die sie noch bremsen könnten. Doch die Geschichte zeigt bereits, wohin seine Entscheidungen geführt haben.

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