Greenbelt, Maryland – Es ist ein Fall, der wie ein Riss durch das Fundament der amerikanischen Justiz verläuft. Kilmar Abrego Garcia, Ehemann, Vater, Arbeiter – und Symbol eines Systems, das seine eigenen Fehler nicht zugeben will. Vor Monaten wurde er fälschlich nach El Salvador abgeschoben, jenes Land, aus dem er einst als Jugendlicher floh. Ein Verwaltungsfehler, hieß es damals beschwichtigend. Doch wer genauer hinsieht, erkennt in diesem Fehler kein Versehen, sondern ein Muster: die bewusste Härte einer Regierung, die Fehler in Strafen verwandelt und Menschenrechte dem Ego eines Präsidenten opfert.

CECOT-Gefängnis – Die Hölle von Salvador. Es gelang uns, teils nicht-öffentliche Bilder aus dem CECOT zu bekommen – sie sind nichts für schwache Nerven. Die Aufnahmen finden sie im Artikel: „Die zwei Seiten des Abgrunds und das Gespenst amerikanischer Intervention in Lateinamerika„ hier: https://kaizen-blog.org/die-zwei-seiten-des-abgrunds-und-das-gespenst-amerikanischer-intervention-in-lateinamerika/
Im März 2025 wurde Abrego Garcia nach El Salvador deportiert, obwohl ein Gericht bereits 2019 entschieden hatte, dass ihm dort Lebensgefahr droht. Als der Fehler öffentlich wurde, brachten ihn US-Behörden zurück – notgedrungen, unter Druck des Bundesgerichts. Doch anstatt ihn zu rehabilitieren, begann eine neue Jagd: Die Regierung erklärte, sie wolle ihn nun nach Liberia abschieben, einem Land, zu dem er keinerlei Bezug hat. Ein Land, in dem er nie war, keine Familie hat, keine Sprache spricht. Ein Land, das ihn lediglich „vorübergehend“ aufnehmen will – und das Recht behält, ihn jederzeit weiterzuschicken, möglicherweise wieder nach El Salvador.

Die Anwälte des 37-Jährigen sprechen von Vergeltung, von einer bewussten Demütigung. „Er hat Costa Rica als Land seiner Wahl benannt“, schreiben sie. „Die Regierung muss das respektieren. Alles andere ist willkürlich und rechtswidrig.“ Doch das Justizministerium argumentiert anders. Es beruft sich auf diplomatische Zusicherungen aus Monrovia – Liberia habe garantiert, dass Abrego Garcia dort keiner Verfolgung oder Folter ausgesetzt sein werde. Diese Zusicherung reiche aus, heißt es, und dürfe vom Gericht nicht in Frage gestellt werden, da sie in den Bereich der Außenpolitik falle. Mit anderen Worten: Menschenrechte als Exekutiventscheidung.
Was wie ein formaler Vorwand über Zuständigkeiten klingt, ist in Wahrheit eine Frage der Menschenwürde. Die Regierung behauptet, Abrego Garcia besitze nicht dieselben verfassungsmäßigen Rechte wie US-Bürger. Weil er illegal eingereist sei, müsse er behandelt werden, als stehe er noch immer „an der Schwelle des Landes“. Ein juristischer Trick, um ihm den Boden unter den Füßen zu entziehen. Doch seine Anwälte verweisen auf ein Urteil des Supreme Court aus dem Jahr 2020, das ausdrücklich festhält, dass Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, arbeiten, Familien gründen – kurz: ein Leben führen –, auch Anspruch auf verfahrensrechtlichen Schutz haben.

Abrego Garcia lebt seit Jahren in Maryland. Er hat eine amerikanische Ehefrau, ein gemeinsames Kind, ein Leben aufgebaut. Was ihm droht, ist nicht Abschiebung im juristischen Sinn, sondern Entwurzelung im existenziellen. Dass die Regierung diesen Menschen ausgerechnet nach Afrika deportieren will, hat weniger mit Recht als mit Rache zu tun. Es ist der Versuch, einen unbequemen Präzedenzfall zu beseitigen: einen Mann, der erfolgreich gegen eine falsche Abschiebung geklagt hat und nun dafür büßen soll. Der Fall offenbart, wie dünn der Firnis der Rechtsstaatlichkeit geworden ist. Die Regierung behauptet, „alle Hindernisse“ für eine Überstellung nach Liberia seien beseitigt. Doch der eigentliche Skandal liegt darin, dass sie selbst das größte Hindernis geschaffen hat: die Missachtung gerichtlicher Anordnungen, die bewusste Umgehung richterlicher Kontrolle, den politischen Missbrauch des Asylrechts. In einer Zeit, in der das Innenministerium unter Trump Tausende Migranten ohne Rechtsbeistand festhält, wirkt der Fall Abrego Garcia wie ein Brennglas – er zeigt, wie ein System, das vorgibt, Ordnung zu schaffen, in Wahrheit Unrecht verwaltet.

Während Regierungsanwälte beantragen, die einst erwirkte einstweilige Verfügung gegen die Abschiebung aufzuheben, bereitet sich Abrego Garcia auf eine weitere Anhörung vor – diesmal in Tennessee, wo er sich wegen angeblicher Schleusung von Migranten verantworten soll. Auch hier lautet seine Verteidigung: politisch motiviert. „Selektive oder rachsüchtige Strafverfolgung“, heißt es in seinem Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Der Prozess ist für den 8. Dezember angesetzt. Sollte er freigesprochen werden – und alles spricht dafür –, würde er trotzdem abgeschoben, ohne etwas verbrochen zu haben. Seit März kämpfen wir alle in diesem Fall gegen ein System, das Recht predigt und Unrecht vollstreckt. Ein System, das nicht schützt, sondern zerstört – Menschen, Prinzipien, jede Spur von Anstand.
Man könnte diesen Fall als juristische Groteske abtun, als Verwaltungspannen in einer überlasteten Bürokratie. Doch das wäre zu bequem. Kilmar Abrego Garcia ist kein Einzelfall, sondern ein Spiegel: Er zeigt, wie die Vereinigten Staaten von Amerika unter Donald Trump das Recht nicht mehr als Schutz, sondern als Waffe einsetzen. Und am Ende steht ein Mann, der nichts anderes verlangt als das, was jedem Menschen zusteht – ein faires Verfahren, die Achtung seiner Würde, die Erfüllung eines gegebenen Versprechens. Costa Rica. Nicht El Salvador. Nicht Liberia. Nur Gerechtigkeit, wenn man das überhaupt noch so nennen darf.
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Stärken bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Vielen Dank!
