Wenn der Retter zum Feind erklärt wird – Wie die AfD Menschlichkeit zur Gefahr erklärt, oder: Marie-Thérèse Kaiser, die Exportware des völkischen Vorstadtelends

VonRainer Hofmann

Mai 29, 2025

Hamburg, Mai 2025 – Es beginnt mit einem Angriff auf offener Straße. Eine Frau wird mit einem Messer attackiert. Menschen schreien. Menschen filmen. Nur einer handelt. Ein Mann – mutig, entschlossen, schützend. Er greift ein, stoppt die Angreiferin, rettet die Frau. Und wird anschließend nicht gefeiert, sondern ins Visier genommen.

Denn für Marie-Thérèse Kaiser, verurteilte AfD-Politikerin und bekannte Stimme des radikal-nationalistischen Flügels der Partei, ist dieser Mann kein Held. Kein Mensch, dem man danken müsste. Er ist – ein „Fall für den Rückflug“. So schrieb sie es auf dem Netzwerk X. Für seinen Mut, für seine Menschlichkeit, soll er mit der Abschiebung belohnt werden. Ein „Gutschein für einen kostenlosen Rückflug“ – so die zynische Pointe.

Diese Worte sind kein Ausrutscher. Sie sind das klare Bekenntnis zu einer Ideologie, die nicht Menschlichkeit ehrt, sondern Herkunft sortiert. Nicht fragt, was jemand tut – sondern wer jemand ist.

Ideologie der Ausgrenzung

Die Aussage von Marie-Thérèse Kaiser offenbart in aller Deutlichkeit das ideologische Fundament der AfD: ein völkisch-nationalistisches Weltbild, in dem Menschlichkeit nur dann zählt, wenn sie innerhalb ethnischer Grenzen stattfindet. Wer Leben rettet, aber nicht dem imaginierten „deutschen Volkskörper“ angehört, wird nicht geehrt, sondern zur Zielscheibe. Anerkennung ist in diesem Denken kein Akt moralischer Würdigung, sondern ein exklusives Privileg – vorbehalten jenen, die sich in Herkunft, Namen und Papieren dem Ideal der Partei unterordnen.

Das ist kein Missverständnis, keine radikale Einzelmeinung. Es ist Programmatik. Es ist die systematische Abwertung von Menschen, deren Dasein allein deshalb als problematisch gilt, weil es nicht „rein“ genug erscheint. Die AfD hat sich in den letzten Jahren von jeder bürgerlich-konservativen Restfassade gelöst. Was bleibt, ist ein enthemmter Nationalismus, gespeist aus kulturellem Chauvinismus, rassischer Überheblichkeit und tief verwurzelter Verachtung.

Der „Held von Hamburg“ – ein Mensch, der mutig eingriff, als andere wegsahen – wird in dieser Logik nicht als Vorbild begriffen, sondern als Störung. Weil sein Einsatz nicht in das rassistisch verengte Weltbild passt. Weil Zivilcourage in den Augen dieser Partei nur dann zählt, wenn sie von einem „richtigen Deutschen“ ausgeht. Wer nicht dazugehört, darf nichts bedeuten – selbst dann nicht, wenn er Leben rettet.

Verurteilung wegen Volksverhetzung

Im August 2021 verbreitete Marie-Thérèse Kaiser über ihre Social-Media-Kanäle eine Grafik, in der sie afghanische Flüchtlinge pauschal als Gruppenvergewaltiger diffamierte. Der Beitrag war in Ton und Inhalt so menschenverachtend, dass das Amtsgericht Rotenburg (Aktenzeichen: 5 Ds 123 Js 456/22) im Juni 2023 ein deutliches Urteil fällte: Kaiser wurde wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB zu 100 Tagessätzen à 60 Euro verurteilt.

In der Urteilsbegründung hieß es, ihre Äußerungen seien geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören und Hass gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe zu schüren. Auch das Landgericht Verden (Aktenzeichen: 12 Ns 456/23) bestätigte im Mai 2024 das Urteil und betonte: Meinungsfreiheit finde dort ihre Grenzen, wo die Menschenwürde verletzt werde.

Die Umkehrung aller Werte

Was hier geschieht, ist die moralische Verkehrung des Selbstverständlichen. Nicht mehr Feigheit, sondern Mut wird verdächtig. Nicht mehr Hilfe, sondern Herkunft entscheidet. In der Gedankenwelt der AfD steht am Ende nicht der Mensch im Mittelpunkt – sondern ein künstlich konstruiertes „Wir“, das sich über Blut, Boden und Ausgrenzung definiert. Alles andere ist abzulehnen, zu diffamieren, im Zweifel abzuschieben.

Diese Haltung ist nicht nur politisch gefährlich. Sie ist zivilisatorisch verroht. Sie macht aus Opfern Täter, aus Rettern Störenfriede, aus Anstand eine Bedrohung. Und sie zeigt, wie weit sich eine Partei, die einst vorgab, demokratisch zu sein, inzwischen von jedem ethischen Grundsatz entfernt hat.

Die eigentliche Frage

Was sagt es über den Zustand unserer politischen Kultur aus, wenn jemand, der eine Frau vor dem Tod bewahrt, nicht gefeiert, sondern aussortiert werden soll? Was sagt es über eine Partei, die aus der Retterrolle eine Rückführungsdebatte macht? Und was sagt es über uns, wenn wir das einfach stehen lassen?

Die AfD hat mit dieser Aussage nichts anderes getan, als sich selbst zu entlarven. Als Partei der Verachtung. Der Ausgrenzung. Der ideologischen Kälte.

Doch am Ende bleibt nicht die Wut. Sondern eine andere, stille Frage: Wie tief kann eine Partei und deren Mitglieder sinken, bevor auch der Letzte begreift, dass sie nie für dieses Land handeln wollte – sondern immer nur dagegen?

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