Der Knochenmann vor dem Minister – Wie Robert F. Kennedy Jr. an Halloween von der Wirklichkeit heimgesucht wurde

VonRainer Hofmann

November 2, 2025

Es war einmal ein gepflegter Vorgarten in einem wohlhabenden Viertel von Washington, ein paar welkende Kürbisse, eine Veranda mit amerikanischer Flagge – und mittendrin ein Skelett in einem Gartenstuhl. Auf seinem Schoß ein Schild, handgeschrieben, schlicht, gnadenlos: „Hätte ich doch meine Impfung genommen.“ Die Nachbarin, Christine Payne, musste nicht viel erklären. Das Skelett sprach für sich. Es war die vielleicht treffendste politische Aussage dieses Herbstes – gerichtet an den Mann, der als Gesundheitsminister der Vereinigten Staaten die Medizinpolitik zu einem ideologischen Experimentierfeld gemacht hat: Robert F. Kennedy Jr., einst Impfgegner, jetzt Trumps Gesundheitsminister, zuständig für die öffentliche Gesundheit eines Landes, das er seit Monaten destabilisiert.

Man muss sich die Szene vorstellen: Drinnen, hinter den Sicherheitszäunen, residiert ein Minister, der die Weltgesundheitsorganisation „eine Hydra der Pharmaindustrie“ nennt und die Impfpflicht für Pflegekräfte abgeschafft hat. Gegenüber, schaut das eigentliche Statement aus dem Fenster des Wintergartens: ein Skelett in einem Gartenstuhl, bleich und grinsend, die knochigen Finger über die Lehnen gelegt, vor der Brust ein Pappschild mit der Aufschrift: „Hätte ich doch meine Impfung genommen.“

Kennedy, der sich selbst gern als „Dissident im System“ sieht, hat in Wahrheit das System von innen demoliert. Seit er Anfang des Jahres das Amt übernahm, wurden Forschungsprogramme gestrichen, epidemiologische Institute fusioniert, wissenschaftliche Beiräte aufgelöst. In internen Memos heißt es, „die übermäßige Abhängigkeit von Daten“ solle „durch ganzheitliche Ansätze ersetzt“ werden – eine Umschreibung für Misstrauen gegenüber Evidenz. Die Folgen sind sichtbar. Impfkampagnen gegen Grippe und RSV sind eingebrochen. Krankenhäuser melden steigende Fallzahlen, vor allem in ländlichen Regionen. In den sozialen Medien kursieren längst wieder die alten Mythen – diesmal mit dem Segen des Ministeriums selbst. Und während Kennedy in Interviews von „Selbstheilungskräften“ spricht, sitzen Ärztinnen in Notaufnahmen vor überfüllten Wartesälen und fragen sich, ob sie in der Zeit zurückgereist sind.

Dass ausgerechnet seine Nachbarin das Schweigen brechen, hat eine fast literarische Qualität. Es ist, als hätte ein Haus in der Vorstadt beschlossen, Widerstand zu leisten – mit Plastik und Pappe statt mit Parolen. Payne, so berichten Nachbarn, stellte das Skelett am Abend vor Halloween auf. Innerhalb weniger Stunden blieb kaum jemand stehen, der nicht ein Foto machte. Einige lachten, andere nickten, manche riefen „Thank you“.

Kennedy selbst schwieg. Sein Presseteam veröffentlichte kein Statement, kein Dementi, kein ironisches Wort. Vielleicht, weil es nichts zu dementieren gibt. Vielleicht, weil auch er weiß, dass die Symbolik ihn übertrifft. Denn das Skelett im Wintergarten ist mehr als ein Vorstadtkommentar – es ist ein Memento mori an eine Regierung, die den Tod wieder salonfähig macht. Während Millionen Amerikaner um ihre Gesundheitsversorgung fürchten, während Medikamentenpreise steigen und Krankenversicherungen fallen, hat sich ausgerechnet der Gesundheitsminister in einen Missionar des Misstrauens verwandelt.

Trumps Entscheidung, ihn ins Kabinett zu holen, war der Triumph des Populismus über die Wissenschaft. Sie signalisierte, dass Expertise nun als Bedrohung gilt, dass Fakten Verdacht erregen und dass das Wort „Gesundheit“ fortan nach Verschwörung riecht. Kennedy hat diese Rolle angenommen, mit der Eitelkeit eines Mannes, der sich für missverstanden hält und vom Missverständnis lebt. Nun also steht er vor dem, was von seinen Idealen übrig ist: einem Knochenmann im Wintergarten Kein Drehbuchautor hätte sich ein besseres Symbol ausdenken können.

Man kann sagen, das Skelett sei ein Halloween-Gag. Man kann auch sagen: Es ist das ehrlichste Porträt eines Ministeriums, das seine Lebensaufgabe vergessen hat. In einer Zeit, in der Schiffe versenkt, Lebensmittelhilfen gestrichen und Krankenhäuser privatisiert werden, sitzt der Tod im Gartenstuhl und hält ein Schild, das die ganze Wahrheit enthält: Ich wünschte, ich hätte meinen Impfstoff genommen. Und irgendwo dahinter, hinter den Gardinen, fragt sich Robert F. Kennedy Jr. vielleicht, ob der Spott seiner Nachbarn das Schlimmste ist – oder das Gerechteste, was ihm passieren konnte.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
2 Comments
Älteste
Neueste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
Ela Gatto
15 Stunden zuvor

Perfekt, einfach genial diese Idee.

Hoffentlich wird die Person nicht wegen „Verschwörjng zur Impfung“ verhaftet.

Das perfide an diesem selbstgefälligen Typen ist, dass er und seine Familie natürlich geimpft sind.
Das hat er mehrfach in Intervies gesagt.

Das alte „Wasser predigen, Wein trinken“ Verhalten von Regierungen, denen ihr Volk egal ist.
Es sind nur Schachfiguren, Faustpfands, Statistiken … aber nie sehen diese Typen den Menschen.

2
0
Über ein Kommentar würden wir uns freuen.x