Zuerst tauchten die aufblasbaren Froschkostüme auf. Dutzende davon, wackelnd durch den Times Square, wie ein Rauschbild des Widerstands, ihre übergroßen grünen Gliedmaßen im Oktoberlicht glitzernd. Sie waren absurd, absichtlich so – eine direkte Verspottung der Versuche des Weißen Hauses, Demonstranten als Terroristen zu brandmarken. Hinter ihnen kamen Mütter mit Kinderwagen, Lehrerinnen in Zauberhüten, die Großmutter aus New Hampshire, die ein Schild trug, auf dem sie sich als „stolzes Antifa-Mitglied“ bezeichnete, weil ihr Vater im Zweiten Weltkrieg in Belgien gegen Faschisten gekämpft hatte.


Am Samstag, dem 18. Oktober 2025, hatte der Karneval des amerikanischen Widerstands mehr als 2.600 Städte und Gemeinden erfasst. Was vier Monate zuvor als verstreute Demonstrationen begonnen hatte, war zu etwas angewachsen, das womöglich größer war als die Proteste nach dem Tod von George Floyd – ein landesweiter Ausbruch bürgerlicher Wut, der selbst von den Organisatoren kaum noch zu beziffern war. Millionen, schätzten sie. Vielleicht mehr. Die genaue Zahl spielte kaum eine Rolle. Entscheidend war die Dichte der Körper an Orten, an denen sie nicht erwartet worden waren: vor dem Gerichtsgebäude im ländlichen Madison County, Kentucky, wo Trump dreimal deutlich gewonnen hatte. Auf den Straßen von Birmingham, Alabama, wo Mütter an das Vermächtnis der Bürgerrechtsbewegung erinnerten. In Little Village, Chicago, wo ein Torbogen des mexikanisch-amerikanischen Stolzes Hunderte von Bewohnern rahmte, die Trillerpfeifen bliesen vor Schildern mit der Aufschrift „Big Man, Little Dignity“ und einem durchgestrichenen Cartoon-Trump.


Die Proteste waren nicht nur groß. Sie waren geografisch allgegenwärtig – Ausdruck einer Wut, die tiefer reichte als bloße Parteigegnerschaft. Im Grant Park – benannt nach dem General, der die Union bewahrte – versammelten sich Zehntausende auf demselben Rasen, auf dem wenige Monate zuvor Lollapalooza stattgefunden hatte. Hubschrauberaufnahmen zeigten die Ausdehnung: ein menschlicher Teppich, gesprenkelt mit amerikanischen und mexikanischen Flaggen, Schildern mit „ICE Out“ und „Hands Off“. Manche kamen als Clowns, Drachen oder Einhörner verkleidet. Einer trat als die Eule aus dem alten Tootsie-Pop-Werbespot auf. Der Humor war Strategie, erklärten die Organisatoren – eine Antwort auf eine Regierung, die Städte wie Kriegsgebiete behandelte und Theatralik als Regierungsstil nutzte.
Bürgermeister Brandon Johnson stand vor der Menge, seine Stimme trug weit – mit der Entschlossenheit eines Mannes, der gerade vom Präsidenten persönlich aufgefordert worden war, „ins Gefängnis zu gehen“. Genau das hatte Trump wenige Tage zuvor in einem Social-Media-Post geschrieben, beiläufig wie eine Wettervorhersage. Johnson wich nicht zurück. „Der Versuch, diese Nation zu spalten und zu unterwerfen, wird scheitern“, rief er. „Donald Trump benutzt ICE als seine private, militarisierte Besatzungsmacht. Aber wir sagen unmissverständlich: Wir wollen keine Truppen in unserer Stadt.“
Wenn Worte zu Beweismitteln werden
Die Verhaftungen hatten da längst begonnen
Drei Wochen zuvor, am 26. September, hatten Bundesagenten Elias Cepeda vor einer ICE-Einrichtung in Broadview, Illinois, festgenommen. Cepeda, Englischprofessor an der Universität von Illinois, hatte protestiert. Er trug eine legale Schusswaffe mit Waffenschein. Nach zwölf Stunden wurde er ohne Anklage freigelassen. Doch das Heimatschutzministerium veröffentlichte trotzdem eine Pressemitteilung, in der er als jemand mit „mutmaßlichen Verbindungen zur inländischen Terrororganisation ANTIFA“ bezeichnet wurde – mit „einer Vorgeschichte der Verherrlichung von Gewalt gegen Strafverfolgungsbehörden“.


Das Beweismaterial? Sechs Social-Media-Beiträge von 2020. Erwähnungen von „Antifa“. Ein Kommentar, in dem ICE-Agenten als „Nazis“ bezeichnet wurden. Eine Forderung, Lehrer zu bewaffnen, um Schüler vor ICE-Razzien zu schützen. Nichts Illegales. Keine Anklage. Nur Worte. Nur Assoziation. Nur die falschen Worte in einer Zeit, in der Worte zu Vorverbrechen geworden waren. Im selben Monat wurden Ray Collins und Jocelyn Robledo, ein verlobtes Paar aus Chicago, am selben Ort verhaftet. Der Vorwurf: Angriff auf einen Bundesbeamten. Die Verletzung: ein Daumen. Eine Grand Jury verweigerte die Anklageerhebung, ihr Anwalt witzelte später, die Beweise seien „schwächer als ein Schinkenbrot“. Doch ihre Namen standen nun in Regierungsmitteilungen neben dem Begriff „inländischer Terrorismus“.


Dies war die Umsetzung von NSPM-7 – Trumps sicherheitspolitischer Direktive, die Anfang des Jahres die Architektur des Protests in Amerika neu definiert hatte. Sie erklärte „Antifa“ – ein Label ohne formale Mitgliedschaft, ohne Organisation, ohne Hauptquartier – zur inländischen Terrorentität. Sie wies Bundesbehörden an, „Indikatoren“ potenzieller terroristischer Aktivitäten zu identifizieren. Zu diesen Indikatoren gehörten „Antichristentum“, „Anti-Amerikanismus“ und „Antikapitalismus“ – Haltungen, wie sie in jeder Demokratie üblich sind. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Arbeit, die darin besteht, Unschuld von Menschen nachzuweisen, ihnen rechtlichen Beistand zu vermitteln, Recherchen durchzuführen, Familienmitglieder zu finden und ihre Fälle, wenn nötig, öffentlich zu machen. Derzeit betreuen wir mehr als 460 Fälle. Daher sind wir natürlich auch auf Unterstützung angewiesen, da die meisten Menschen überhaupt nicht über die finanziellen Mittel verfügen sich zu verteidigen
Justizministerin Pam Bondi reagierte mit einer eigenen Richtlinie und schuf eine ICE-Schutz-Taskforce. Sie zitierte Trumps Erlass: Die Regierung müsse „Netzwerke, Einrichtungen und Organisationen zerschlagen und entwurzeln, die organisierte Gewalt, Einschüchterung oder Verschwörungen gegen Rechte fördern“. Der Auftrag war klar: Festnahme und Strafverfolgung all jener, die „diese Kräfte unterstützen, begünstigen oder mit ihnen konspirieren – sei es durch Finanzierung, Koordination, Planung oder andere Mittel“. Das Paradigma war Terrorismusbekämpfung. Was bedeutete: Vorverbrechen. Was bedeutete: Menschen verhaften, „bevor daraus gewaltsame politische Handlungen werden“.
Der König spricht
Trump selbst verbringt das Wochenende in Mar-a-Lago, wo ein Million-Dollar-MAGA-Inc.-Fundraiser auf ihn wartete. In einem Fox-News-Interview, das am Freitag ausgestrahlt wurde, wies er den zentralen Vorwurf der Demonstranten mit der Petulanz eines Mannes zurück, dem man etwas technisch Zutreffendes vorwarf.
„Sie sagen, sie nennen mich einen König. Ich bin kein König“, sagte er – Stimmt, die USA wird mittlerweile wie eine Diktatur durch Trump regiert.
Doch die Demonstranten meinten es wörtlich. Sie bezogen sich auf König Georg III., dessen Tyrannei über die Kolonien die Gründungsmotivation der Revolution gewesen war. Der Vergleich war präzise: ein Herrscher, der Gerichte missachtete, militärische Gewalt im Inland einsetzte, das Justizministerium unter Druck setzte, Gegner strafrechtlich zu verfolgen, Massendeportationen anordnete, einen Regierungsshutdown orchestrierte und Opposition als Verrat brandmarkte.
Republikanische Führer griffen das Framing begeistert auf. Parlamentspräsident Mike Johnson nannte die Proteste die „Hate America Rally“ und sagte, es würden dort „pro-Hamas-Anhänger“, „Antifa-Leute“ und „Marxisten in voller Montur“ auftreten. Finanzminister Scott Bessent spottete: „‚No Kings‘ heißt wohl auch: keine Gehälter.“ Texas’ Gouverneur Greg Abbott schickte die Nationalgarde nach Austin. Virginias Gouverneur tat dasselbe. In Los Angeles beantragte die Polizei die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung, die Gewaltanwendung gegen Journalisten untersagte.
Die Übertreibung ging nach hinten los. Nach Johnsons Äußerungen verdoppelten sich die Anmeldungen. Was im Juni 2.100 registrierte Orte gewesen waren, war bis Samstag auf 2.600 angewachsen. Über 200 Partnerorganisationen beteiligten sich, darunter die ACLU, die League of Conservation Voters und Senator Bernie Sanders, der in Washington sagte: „Das amerikanische Experiment ist in Gefahr. Aber wir, das Volk, werden herrschen.“
Demokratie als Verb
In New York erklärte ein Geschichtslehrer namens Ariel Fernandez seine Anwesenheit schlicht: „Ich sage meinen Schülern immer, Demokratie ist ein Verb“, sagte er. „Man tut sie. Also bin ich hier, um sie zu tun.“ Neben ihm stand ein Mann in einem aufblasbaren Flughörnchen-Kostüm, der seinen Namen nicht nennen wollte. „Ich wollte eigentlich einen Frosch, aber die Frösche waren etwas teuer“, sagte er.

Die Absurdität war Absicht. Ebenso der Patriotismus. Demonstrierende trugen mehr amerikanische Flaggen als bei manchen Trump-Kundgebungen. Sie riefen „USA! USA!“ vor dem National Mall. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift „Nichts ist patriotischer als Protest“ und „Resist Fascism“. Sie trugen Gelb – ein Symbol für Einheit und Hoffnung – und übertrugen Livestreams aus Tausenden Orten für jene, die nicht teilnehmen konnten. In Birmingham, Alabama, erzählte Jessica Yother, Mutter von vier Kindern, wie sie in einem Staat, den Trump mit 65 % gewonnen hatte, plötzlich Gleichgesinnte fand. „Es fühlt sich an, als lebten wir in einem Amerika, das ich nicht mehr erkenne“, sagte sie. „Es war so ermutigend. Ich kam an und dachte: ‚Hier sind meine Leute.‘“
In Little Village organisierte Maja Sandstrom eine lokale Kundgebung, damit Nachbarn das Haus nicht verlassen mussten. Viele waren bei jüngsten ICE-Razzien ins Visier geraten. Angst hatte das Viertel in eine Art stiller Quarantäne verwandelt. Trotzdem kamen Hunderte, füllten die 26th Street unter dem ikonischen Torbogen, hielten Schilder hoch, bliesen Trillerpfeifen, schwenkten Fahnen. Im Madison County, Kentucky – Trump-Land – standen Demonstranten auf dem Gehweg vor dem Gerichtsgebäude, während Autofahrer vorbeifuhren, hupten und Pro-Trump-Parolen riefen. Sie hielten ihre Schilder trotzdem. Sie hielten ihre Flaggen.

In Washington trugen einige Demonstranten große amerikanische Flaggen und antworteten auf die republikanischen Beleidigungen der Woche: „Das hier ist Amerika“, riefen sie. „Wir sind mit ihrer Politik nicht einverstanden, aber wir glauben nicht, dass sie dieses Land nicht lieben. Wir glauben, sie irren sich. Wir glaube, sie sind machthungrig.“ Die Märsche vereinten sich, strömten zusammen, flossen durch die Straßen wie Flüsse, die ihren Weg finden. In Chicago führte die Route am Trump Tower vorbei und weiter zur ICE-Einrichtung an der Ida B. Wells Drive – benannt nach der Journalistin, die die Lynchjustiz dokumentierte und für Gerechtigkeit kämpfte. In Portland vereinten sich drei Startpunkte zu einer gewaltigen Prozession. In Boston zeigten Luftaufnahmen die unvorstellbare Dichte der Menschenmenge auf dem Common.
Die Regierung, die nicht da war
All das geschah vor dem Hintergrund eines Regierungsshutdowns, der bereits den 18. Tag erreichte. Bundesprogramme und Dienste waren eingestellt. Die Demokraten weigerten sich, über ein Gesetz zur Wiedereröffnung abzustimmen, solange keine Gesundheitsversorgung enthalten war. Die Republikaner warfen ihnen Unterwerfung unter die extreme Linke vor. Die Pattsituation war Symptom und Symbol zugleich – Ausdruck eines tieferen Bruchs: Exekutive gegen Legislative, Präsident gegen Gerichte, Macht gegen Kontrolle. Für die Demokraten war dies womöglich ein Wendepunkt. Sechs Monate zuvor war Mehrheitsführer Chuck Schumer von der eigenen Partei kritisiert worden, weil er ein Haushaltsgesetz hatte durchgehen lassen, ohne Trump herauszufordern. Jetzt stand er an der Seite der Demonstranten. „Was wir von den Demokraten sehen, ist Rückgrat“, sagte Ezra Levin, Mitbegründer von Indivisible. „Das Schlimmste, was sie jetzt tun könnten, wäre, zu kapitulieren.“

Doch die Proteste gehörten nicht den Demokraten. Sie waren zu groß, zu weit verzweigt, zu geographisch verstreut, um einer Partei oder Ideologie zu gehören. Sie standen für etwas anderes, Eigenartigeres, Mächtigeres: eine nationale Immunreaktion auf wahrgenommenen Autoritarismus, ausgelöst quer durch politische Geografien, die sonst in nichts übereinstimmten.

Die Proteste beginnen sich langsam aufzulösen, während diese an der Westküste noch laufen. Die Froschkostüme wurden abgelegt, die Schilder zusammengefaltet, die Rufe verklangen. Doch die Zahlen blieben – festgehalten in Luftaufnahmen, Polizeischätzungen und in der Erinnerung von Millionen, die da waren. Der erste „No Kings Day“ im Juni war einer der größten Protesttage in der Geschichte der USA gewesen. Der Samstag könnte ihn übertroffen haben.
Die Organisatoren planten bereits den nächsten. Denn, wie sie sagten: Das hier war kein Sprint. Es war ein Marathon. Und in Amerika glaubten die Menschen noch immer, dass sie das Recht hatten, ihn zu laufen.
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Ich hoffe sehr die Proteste gehen weiter und bleiben friedlich.
….sie werden weitergehen
Wunderbar mitanzusehen und danke für die Bilder und die begeisternde Schilderung der Stimmung. Auch wenn manche sagen „was bringt es“, es zeigt Trump, dass er es mit einer unglaublichen Menschenmenge zu tun hat, wenn er die nächsten Wahlen manipuliert, was ja zu befürchten ist. Und wenn er darauf mit Gewalt reagiert, würde das dann hoffentlich die halbe Weltengemeinschaft dazu bringen, das Regime zu ächten und zu sanktionieren.
vielen dank, die Proteste könnten die Floyd-Proteste übertroffen haben, die bisher die grössten in der US-Geschichte waren, – ja wir wollten den menschen es sehr nahe bringen
Diese Schilderungen machen Mut….und danke für die Fotos….jetzt kann man sagen, dass die Bürger Amerikas aufgewacht sind….
Hoffen wir, dass genug Kraft bleibt, diesen Widerstand fortzuführen.
So fantasievoll sind all diese Figuren mit ihren Schildern….I like it!
Dies zu lesen und anzuschauen tut gut an diesem Sonntagmorgen. Danke dir und euch für alles was ihr tut. Und gebt acht auf euch, bitte.❤️🍀🍀🍀🌷