Tote, die keine Schlagzeilen wert sind – Wie Trumps Karibikkrieg unschuldige Fischer trifft

VonRainer Hofmann

Oktober 17, 2025

Er hieß Chad Joseph, 26 Jahre alt, ein junger Fischer aus Trinidad und Tobago. Kein Drogenboss, kein Terrorist, kein Soldat. Er wollte nur nach Hause – eine kurze Bootsfahrt von der venezolanischen Küste zurück nach Las Cuevas, dem kleinen Dorf, in dem er aufgewachsen war. Doch Chad Joseph ist nie angekommen. Er war einer von sechs Männern, die bei einem US-Militärschlag auf ein „mutmaßliches Drogenboot“ getötet wurden. Seine Mutter, Lenore Burnley, hat ihn zuletzt vor einer Woche am Telefon gehört. „Er sagte, er komme bald zurück. Nur ein paar Stunden Überfahrt.“ Seitdem: Funkstille. Kein Signal, kein Lebenszeichen. Als sie am Donnerstag von seinem Tod erfuhr, brach sie zusammen. „Ich will nicht glauben, dass das mein Kind ist“, sagte sie. „Ist das wirklich wahr?“

Chad Joseph

Wir haben inzwischen 18 der 27 Namen zusammengetragen. Jeden einzelnen dieser Fälle werden wir vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in San José, Costa Rica bringen. Jemand muss Verantwortung übernehmen — und wenn schon alle sonst nur zuschauen, dann versuchen wir eben mit den uns verfügbaren Mitteln dafür, dass diese Toten nicht ungesehen bleiben.

Die US-Armee hat in den vergangenen Wochen fünf Boote zerstört, angeblich, weil sie Drogen in Richtung USA transportierten. 27 Menschen sind tot. Kein einziger wurde identifiziert. Keine Fotos, keine Namen, keine Beweise. Nur offizielle Phrasen – „narco-terroristische Ziele“, „präventive Selbstverteidigung“ –, mit denen das Weiße Haus den Tod unbekannter Männer rechtfertigt. Die Angehörigen von Chad Joseph sagen, er sei auf einem der Boote gewesen – gemeinsam mit seinem Nachbarn Samaroo, ebenfalls aus Trinidad, ebenfalls verschwunden. Ein anonymer Bericht der US-Marine bestätigte später, dass „zwei Männer aus Trinidad und Tobago“ bei einer „tödlichen Morgendämmerungsoperation“ am Mittwoch ums Leben kamen.

Seit Anfang September hat das US-Militär fünf Boote versenkt – dabei wurden viele unschuldige Menschen getötet.

Doch niemand will Verantwortung übernehmen. Wayne Sturge, der Verteidigungsminister von Trinidad und Tobago, erklärte, sein Land habe keine Zuständigkeit, da der Angriff in internationalen Gewässern stattgefunden habe. Er habe auch keine offizielle Bestätigung erhalten. Übersetzt heißt das: Niemand ermittelt. Niemand zählt die Toten. Niemand spricht über sie. Es ist die logische Folge eines Krieges ohne Namen, geführt unter einer Flagge, die angeblich die Welt vor Drogen schützen will. Seit dem 2. September, als die Trump-Regierung den ersten Angriff meldete – elf Tote vor der venezolanischen Küste –, sind die Opfer nur Zahlen. Acht von ihnen stammten aus der venezolanischen Stadt San Juan de Unare. Ihre Familien posteten Namen, Fotos, Gebete. Stunden später war alles gelöscht. Stromausfall, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen. Die venezolanische Regierung ließ die Stadt brutal abschotten – nicht aus Mitgefühl, sondern aus Angst, Washington zu verärgern.

Samaroo, der ebenfalls bei der tödlichen Militäroperation im Morgengrauen am Mittwoch ums Leben kam

„So weit bekannt, ist nicht einmal ihre Staatsangehörigkeit bestätigt“, sagte Venezuelas Vizepräsidentin Delcy Rodríguez vor laufender Kamera. Eine Aussage, die mehr über politische Feigheit verrät als über Unwissen. Denn entlang der Küste, von Güiria bis Carúpano, erzählen die Menschen längst eine andere Geschichte: Fischer, die nie zurückkamen. Boote, die in Flammen aufgingen. Familien, die schweigen müssen, um nicht ebenfalls zu verschwinden. Chad Joseph war kein Einzelfall. Er ist das Gesicht eines Konflikts, der unter Trumps zweiter Amtszeit außer Kontrolle geraten ist. 10.000 US-Soldaten, acht Kriegsschiffe, ein U-Boot in der Karibik – offiziell als „Anti-Drogen-Offensive“, tatsächlich als Machtdemonstration gegenüber Venezuela. Washington nennt es „Selbstverteidigung“. Doch völkerrechtlich ist es ein Angriffskrieg ohne Mandat, und moralisch ein Rückfall in die Zeit, als das Leben eines Menschen weniger zählte als ein politisches Narrativ.

Die Regierung von Trinidad und Tobago schweigt, weil sie sich ohnmächtig fühlt. Die venezolanische Regierung schweigt, weil sie sich fürchtet. Und das Weiße Haus schweigt, weil Schweigen einfacher ist als Rechenschaft. In einem Land, das seine Grenzen mit Waffen schützt, aber seine Schuld nicht anerkennt, sterben Menschen zwischen zwei Welten – Fischer, die zu Schmugglern erklärt werden, weil sie zur falschen Zeit auf dem falschen Meer waren.

Es gibt keine Fotos der Leichen, keine Ermittlungen, keine Entschuldigungen. Nur eine Mutter in Las Cuevas, die auf ihr Handy starrt und darauf wartet, dass ihr Sohn online erscheint. Chad Joseph ist tot. Und mit ihm stirbt ein Stück Wahrheit über Amerikas neuen Krieg – einen Krieg, der behauptet, gegen Drogen geführt zu werden, in Wahrheit aber gegen Menschen ohne Stimme geführt wird. Denn wer sich nicht verteidigen kann, wird im Schatten der Macht einfach zum Ziel erklärt.

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Gabi
Gabi
1 Tag zuvor

Gut, dass Ihr darüber berichtet und den Opfern und deren Angehörigen eine Stimme gebt. Danke für eure Arbeit.

Wenn es der Regierung in Washington um präventive Selbstverteidigung und Terrorismusbekämpfung geht, dann sollen sich doch Trumps Schergen selbst wegschliessen… das wäre am einfachsten.

Das ach so grossartige tollste Land der Welt, mit ihren „ach so tollen und grossartigen Präsidenten“ kann anscheinend nur noch eines:
Verfassung und Menschenrechte mit Füssen treten, das eigene Volk unterdrücken und einen verurteilten Präsidenten wählen und Straftäter ungeschoren davonkommen lassen….

Ich weiss nicht wie oft ich in den letzten sechs Monaten in 🇨🇦 von US-Amerikanern gehört habe, dass sie sich für ihren Präsidenten und ihr Land schämen….
Folks nicht schämen, sondern etwas tun.. hab ich nur geantwortet

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