Amerika verhandelt über sich selbst. Über die Frage, ob Gleichheit ein Grundrecht bleibt – oder ein Relikt aus einer Zeit, in der man noch glaubte, Geschichte könne Fortschritt bedeuten. In dieser Woche befasst sich der Supreme Court der Vereinigten Staaten mit dem vielleicht folgenreichsten Fall seit Brown v. Board of Education. Es geht um den Voting Rights Act, das Herzstück der Bürgerrechtsära, und um die Frage, ob Schwarze Amerikaner weiterhin politisch sichtbar bleiben dürfen – oder ob die republikanische Neuauflage der alten weißen Mehrheiten endgültig wieder zur Staatsdoktrin wird.
Louisiana steht im Mittelpunkt dieses Angriffs, doch der Schatten reicht über den ganzen Süden. Der Bundesstaat, dessen Bevölkerung zu einem Drittel schwarz ist, hatte auf Druck der Gerichte einen zweiten mehrheitlich schwarzen Wahlkreis geschaffen – eine bescheidene Korrektur in einem System, das jahrzehntelang dafür sorgte, dass weiße Stimmen doppelt wogen. Kaum war dieser Fortschritt greifbar, zog die republikanische Regierung, flankiert von der Trump-Administration, erneut vor den Obersten Gerichtshof. Ziel: genau diesen Wahlkreis zu kippen – und mit ihm das Fundament des Voting Rights Act selbst.
„Rassenbasierte Wahlkreisbildung widerspricht grundsätzlich unserer Verfassung“, schrieb Louisianas Generalstaatsanwältin Elizabeth Murrill in ihrer Eingabe. Ein Satz, der klingt, als sei er moralisch erhaben, tatsächlich aber die alte Logik der Segregation in neue Worte kleidet. Es ist die juristische Fortsetzung eines rassistischen Denkens, das gelernt hat, Anzüge zu tragen und Fußnoten zu zitieren, statt Kapuzen und Peitschen.
Donald Trump hatte den Ton längst gesetzt. In seinen Ansprachen spricht er von „echten Amerikanern“ und „unfairen Vorteilen für Minderheiten“, und seine Gouverneure – in Texas, Missouri, Florida – folgten dem Aufruf, ihre Wahlkarten „neu zu ordnen“. Ein Euphemismus für das, was es immer war: Macht sichern, Hautfarbe entpolitisieren, Demokratie zur Dekoration machen. Der Angriff auf den Voting Rights Act ist keine juristische Korrektur – er ist die Fortführung der weißen Dominanzpolitik mit den Mitteln des Rechts.

Dass Chief Justice John Roberts diese Debatte führt, ist eine bittere Ironie. Schon in der Reagan-Ära kämpfte er gegen die Bürgerrechtsmechanismen, die Schwarze Wähler überhaupt erst sichtbar machten. 2013 schrieb er das Urteil, das die Pflicht der Südstaaten abschaffte, Wahlrechtsänderungen vorher genehmigen zu lassen – mit der Begründung: „Unser Land hat sich verändert.“ Tatsächlich aber hat sich nur die Sprache verändert. Der Rassismus blieb. Er trägt heute das Etikett „Verfassungsrecht“.
„Rasse spielt nach wie vor eine erhebliche Rolle im aktuellen Wahlverhalten Louisianas“, sagt Sarah Brannon von der ACLU. Es ist ein Satz, der sich wie ein Echo durch Jahrzehnte zieht. Die Landkarten der Macht haben sich kaum bewegt: Schwarze Gemeinden werden geteilt, verdünnt, an die Ränder verschoben. Wahlbezirke, die sich wie Schlangen über den Staat ziehen, sollen angeblich „unnatürlich“ sein – dabei sind sie das genaue Abbild einer Geschichte, die nie aufgearbeitet wurde: Sklaverei, Jim-Crow-Gesetze, ökonomische Enteignung. Die Linien, die heute auf Papier entstehen, folgen den Wunden von damals.

Die neue Rechte will diese Geschichte nicht mehr hören. Sie will sie löschen. Mit juristischer Präzision, nicht mit brennenden Kreuzen. Was einst die Kapuzenmänner des Ku-Klux-Klan mit Gewalt versuchten, erledigen heute Politiker, Anwälte, Lobbyisten und Bundesrichter mit Paragrafen: Sie schützen das Privileg der Unsichtbarkeit. Kein Schrei, kein Blut, kein Galgen – nur die leise, tödliche Effizienz des modernen Rassismus, der sich in der Sprache der Ordnung tarnt. Aus dieser Tarnung aber wachsen die Gewalt, die Gruppierungen – und manch einer, ganz in der Ferne, kann sie wieder brennen sehen: die Kreuze des Ku-Klux-Klan.

Noch immer das Gesicht des Bösen – Heute hat er kaum noch Macht – aber er war die Saat.
David Duke war nie nur das Monster, der Führer, im weißen Umhang, sondern der Stratege hinter einer gefährlichen Verschiebung: dem Versuch, den offenen Rassismus des Ku-Klux-Klan in eine „akademisch“ klingende, politisch anschlussfähige Sprache zu übersetzen. Schon in den 1980ern sprach Duke nicht mehr von „white supremacy“, sondern von „white civil rights“ – er nannte Diskriminierung gegen Schwarze eine „Rassenpolitik“ und erklärte den Schutz weißer Mehrheiten zum Menschenrecht.Heute klingt das in der republikanischen Programmatik von Project 2025 erschreckend vertraut: Der Staat soll „kulturelle Reinheit“ sichern, Diversity-Programme werden als „Diskriminierung gegen Weiße“ diffamiert, und jede Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus wird zur „politischen Indoktrination“ erklärt. Das sind nicht einfach politische Konzepte – das ist Dukes Ideologie im Anzug.
Der Unterschied zu früher: Früher trug der Hass Kapuzen. Heute trägt er Krawatten, sitzt in Thinktanks, verfasst Strategiepapiere und nennt sich „konservativ“.
Was Duke einst als white replacement fear formulierte – die Angst, dass „weiße Christen zur Minderheit werden“ –, findet sich heute in Wahlkampfreden, Fernsehinterviews und parteinahen Dokumenten wieder. In Project 2025 wird sie systematisch operationalisiert: als Politik der kulturellen Rückeroberung.Dass diese Linie heute bis ins Zentrum republikanischer Macht reicht, ist kein Zufall. Viele der Autoren und Unterstützer von Project 2025 – von der Heritage Foundation bis zu christlich-nationalistischen Netzwerken – nutzen dieselben Codes, die Duke vor Jahrzehnten popularisierte: Familie, Ordnung, Tradition, Patriotismus. Nur dass sie nicht mehr flüstern. Sie regieren.
Der Klan brennt wieder
Aufnahmen aus dem Jahr 2025 zeigen Szenen, die aus der Zeit gefallen scheinen: Menschen in weißen Roben und Kapuzen, versammelt um ein Kreuz, das in Flammen steht. Es sind keine Archivbilder. Sie stammen aus diesem Jahr – aufgenommen im alten Süden, ein sogenannter Border State, der Vereinigten Staaten, unweit jener Orte, an denen einst die Bürgerrechtsbewegung begann.
Was hier geschieht, ist keine Folklore und kein makabrer Maskenball. Es ist die Fortsetzung einer Ideologie, die den Hass in Ritualen konserviert. Und obwohl der Ku-Klux-Klan offiziell als Randphänomen gilt, beweisen solche Szenen, dass seine Symbolik weiterlebt – oft im Schatten neuer Bewegungen, die sich christlich, patriotisch oder „traditionell“ nennen. Der Klan hat sich in Splittergruppen aufgelöst, doch sein Mythos hat überlebt. Er flackert dort auf, wo Angst politisch nützlich ist – und wo die Geschichte noch immer nicht zu Ende erzählt wurde.
Heute tritt der Ku-Klux-Klan nicht mehr nur als geschlossene Organisation mit einem Grand Wizard und zentraler Führung auf, sondern als Geflecht dutzender kleiner Gruppen, digitaler Zirkel und lokaler Splitterzellen, die alte Symbolik mit neuer Agitation mischen. Namen wie zum Beispiel Trinity White Knights, Loyal White Knights oder Knights Party tauchen in unterschiedlichen Bundesstaaten auf – lose verbunden durch Ideologie, nicht durch Hierarchie. Es ist ein Netzwerk des Hasses, dezentral organisiert und doch erstaunlich einheitlich in seiner Rhetorik, schnell in der Vernetzung. Wenn es ein geographisches Rückgrat des Klan gibt, dann verläuft es durch Arkansas, Kentucky, Georgia, Alabama, Mississippi und Louisiana. Dazu aber in den nächsten Wochen mehr.

Was in Washington verhandelt wird, ist also kein Streit über Wahlbezirke. Es ist die Frage, ob die schwarze Stimme in Amerika wieder zur Gnade der weißen Macht wird. Wenn der Supreme Court diesen Angriff unterstützt, wäre das kein Sieg der Logik – sondern des Rassismus. Es wäre die juristische Fortsetzung der gleichen Idee, die einst Sklaverei rechtfertigte und Lynchjustiz duldete: dass Freiheit ein Eigentum sei, das sich verteilen lässt.
Cleo Fields, der Abgeordnete, dessen Sitz in Louisiana auf dem Spiel steht, kennt diesen Zynismus. Schon in den 1990er-Jahren gewann er denselben Bezirk, nur um ihn wieder zu verlieren, weil Gerichte befanden, „Rasse“ habe zu viel Gewicht gehabt. Heute sagt er: „Wir wären nie im Kongress, gäbe es nicht den Voting Rights Act – und gäbe es keine mehrheitlich schwarzen Wahlkreise.“ Es ist kein Klagewort, sondern eine nüchterne Feststellung: Ohne den gesetzlichen Schutz wäre schwarze Repräsentation in den Vereinigten Staaten nur ein Mythos.

Der Fall, den der Supreme Court jetzt verhandelt, ist damit mehr als eine juristische Auseinandersetzung. Es ist ein Charaktertest. Für die Richter, für das Land, für die Idee der Demokratie selbst. Wird Amerika endlich anerkennen, dass Gleichheit nicht in der Abwesenheit von Rasse liegt, sondern in der Anerkennung ihrer Folgen? Oder wird es den alten Reflex wiederholen – den Reflex, der alles Schwarze aus der Geschichte tilgt, um sich selbst unschuldig zu fühlen? Wenn der Supreme Court diesen Weg geht, wird das Land nicht einfach zurückfallen. Es wird sich entlarven. Als Demokratie, die gelernt hat, Unterdrückung in Urteile zu kleiden – und die sich dafür noch selbst applaudiert.
Unsere Prognose – nach Monaten der Beobachtung, Recherche und Gespräche in den Gerichten
Nach allem, was wir seit Beginn des Verfahrens gesehen und dokumentiert haben – in Anhörungen, Schriftsätzen, Hintergrundgesprächen und juristischen Zwischentönen – deutet vieles auf ein bekanntes Muster hin: Der Supreme Court wird den Voting Rights Act nicht frontal angreifen, aber schleichend berauben. Er wird kein Urteil fällen, das offen gegen Schwarze Wähler gerichtet ist, sondern eines, das so tut, als sähe es keine Hautfarben mehr. Genau darin liegt die Gefahr. Das Gericht wird vermutlich erklären, dass Rasse bei der Wahlkreisgestaltung nicht „zu sehr berücksichtigt“ werden dürfe – und dabei ignorieren, dass sie in der Realität nie aufgehört hat, das entscheidende Kriterium zu sein. Man wird von „Gleichheit“ sprechen, aber meinen: Gleichgültigkeit. Von „Verfassungsprinzipien“, aber meinen: Machtverhältnisse.
Was folgt, wird kein juristischer Paukenschlag sein, sondern ein leises, kaltes Urteil. Eines, das den Eindruck von Ordnung hinterlässt und dabei die strukturelle Ungerechtigkeit zementiert. Der Supreme Court wird die Sprache der Gerechtigkeit benutzen, um den Geist des Rassismus zu maskieren – und genau darin liegt die Perfektion dieses Systems: Es lässt Diskriminierung in feinem Englisch erscheinen. Für die schwarzen Wählerinnen und Wähler in Louisiana, Alabama und überall im Süden bedeutet das: weniger Repräsentation, weniger Einfluss, weniger Stimme. Und für Amerika insgesamt: ein weiterer Beweis, dass man Demokratie auch zerstören kann, ohne sie abzuschaffen – indem man sie einfach für „ausgeglichen“ erklärt.
In den kommenden Wochen öffnen wir Türen, die man in den USA gern verschlossen hält. Wir führen Sie in Räume, in denen die laute Politik endet und die dunkelsten Strukturen beginnen: in die verborgenen Netzwerke von Neonazis, Trump-Netzwerke und Klan-Ablegern, in die juristischen Werkstätten, die rassistische Macht legalisieren, und in die Salons, in denen die Sprache der Demokratie in Paragrafen gekleidet wird. Durch Recherchen konnten wir Hinterzimmertüren öffnen; wir legen Dokumente, Fotos und Aussagen vor, die zeigen, wie historische Gewalt heute in Anzügen und Akten weiterwirkt und ihren Einfluss auch nach Deutschland sucht.

Das ist keine bloße Bestandsaufnahme – es ist eine Spurensuche, die das Wohlwollen der Öffentlichkeit erzwingt. Sie werden ein Amerika sehen, das Sie so noch nie gesehen haben: nicht lauter, sondern tiefer, nicht mythologisch, sondern faktisch, und unbequem in einer Klarheit, die nicht zu überhören ist.
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Stärken bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Vielen Dank!
Mir wird durch die immer neuen Berichte von widersprüchlichen Ereignissen in den USA langsam wirr im Kopf. Jetzt bin ich dabei mich zu fragen, ob ich bekloppt bin. Lange verinnerlichte Überzeugungen über die Entwicklungen in den USA, die durch die vielfachen Kämpfe für mehr Gerechtigkeit und Demokratie sich in der Gesetzgebung manifestiert hatten – so glaubte ich. Dann kleine Hoffnungen durch die Berichte von Euch, dass es viele Aufrechte auf die Straße trieb, die durch ihr Beispiel und die Berichterstattung darüber, anderen Mut geben wird, sich zusammen zu finden. Und jetzt die Ankündigung zur Öffnung der Hölle über die verborgenen Zustände im dunklen Bereich der amerikanischen Gesellschaft. Gespenster der Vergangenheit mit neuer Garderobe und alten Slogans? Mir scheint, dass die Ursache global – wie in Deutschland und Europa – durch ein „Virus“ (Algorithmus) ausgelöst wird, das die Stärkung von rechtem Gedankengut durch SocialMedia im Internet befördert. Krause Socken aller Art können ungefährdet sagen, was sie wollen, ohne Strafen für sich befürchten zu müssen.
Was den KKK betrifft bin ich nicht naiv gewesen, habe mich nur gewundert, wo sie denn alle geblieben sind. Vor vielen Monaten hatte ich mal eine Zusammenfassung dazu gelesen. Fazit: Auflösungserscheinigungen und dezentrale Strukturen, wenn überhaupt. Das hat sich wohl geändert.
Es gibt viele gute Menschen – daran besteht kein Zweifel. Aber man muss auch aufzeigen, wie weit sich der Rechtspopulismus und in Teilen sogar das alte Nazitum bereits wiederentwickelt haben. Das ist entscheidend, um sich dagegen wehren zu können. Der Ku-Klux-Klan operiert heute in kleinen, teils unabhängigen Zellen. Er ist längst nicht mehr die größte Gefahr. Die eigentliche Bedrohung geht von jenen aus, die dasselbe Gedankengut im Nadelstreifenanzug tragen und es politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich wiederbeleben wollen. Dass soziale Medien dabei zur treibenden Kraft geworden sind, steht außer Frage. Doch das größere Problem ist eine Gesellschaft, die kaum noch mitzieht. Ich sehe das auch bei uns: Menschen, die aufklären, recherchieren und im wörtlichen Sinne an der Front stehen, bekommen zu wenig Unterstützung – Viele verlassen sich inzwischen auf sogenannte Sofarecherchen, weil sie bequem sind und liefern, was man ohnehin hören will. Das aber ist das zweite große Problem: Medien, die viel transportieren, aber wenig riskieren. Und solche, die sich als große Aufklärer präsentieren, ohne jemals wirklich dort gewesen zu sein, wo Aufklärung beginnt – außerhalb des Internets.