In Broadview, einem unscheinbaren Vorort von Chicago, offenbarte sich an einem einzigen Tag mehr über das politische Klima der USA als in Wochen parlamentarischer Debatten. Vor einem schmucklosen Gebäude standen am Freitag zwei gewählte Mitglieder des US-Senats – und durften nicht hinein. Dick Durbin und Tammy Duckworth, beide Demokraten aus Illinois, wollten das tun, was Verfassung und Amtseid ihnen ausdrücklich erlauben: eine Einrichtung der Einwanderungsbehörde ICE inspizieren, die seit Wochen im Zentrum von Protesten steht. Doch statt Einblick zu gewähren, verweigerten Bundesbeamte den Zutritt. Zwei Senatoren vor einer verschlossenen Tür – Sinnbild einer Regierung, die sich zunehmend selbst der Kontrolle entzieht.
„Es ist empörend, dass zwei US-Senatoren keinen Zutritt zu dieser Einrichtung erhalten“, sagte Duckworth später vor den Kameras. „Wovor habt ihr Angst? Wovor habt ihr Angst? Wenn man stolz auf seine Arbeit ist, versteckt man sich nicht, man läuft nicht davon.“ Worte, die in ihrer Schlichtheit alles sagen: Misstrauen und Macht liegen in Broadview nun nur noch ein paar Meter auseinander – getrennt durch einen Zaun, errichtet von jenen, die sich vor der Öffentlichkeit schützen wollen.
Durbin und Duckworth waren nicht zufällig vor Ort. Tags zuvor hatte die Trump-Regierung begonnen, Nationalgardisten aus Texas in den Norden zu verlegen – offiziell zur „Sicherung föderaler Einrichtungen“. Doch in Wahrheit war es eine Eskalation, ein symbolischer Marsch gegen die demokratische Autorität eines Bundesstaates. Stunden später stoppte eine Bundesrichterin den Einsatz – vorerst für 14 Tage. Die Szene vor dem ICE-Gebäude wirkt nun wie die Fortsetzung dieses Konflikts mit anderen Mitteln: Wer Transparenz fordert, trifft auf Mauern; wer Rechenschaft verlangt, bekommt militärische Absperrungen. Broadview ist seit Jahren ein Transitpunkt für Menschen, die das System nicht mehr als Rechtsschutz, sondern als Mühle erleben. Hier werden Migrantinnen und Migranten registriert, befragt, weitertransportiert – manchmal in den nächsten Bundesstaat, manchmal zurück in die Länder, aus denen sie geflohen sind. Seit dem Sommer gab es dort immer wieder Proteste, teils bunt und friedlich, teils konfrontativ. Dass selbst Abgeordnete keinen Zutritt erhalten, markiert eine neue Schwelle der Abschottung.
Es ist nicht das erste Mal, dass Washington die Grenze zwischen Exekutive und Legislative verwischt. Doch selten geschieht es so offen und so demonstrativ. Der Vorgang in Broadview erinnert daran, dass Kontrolle nicht nur ein institutionelles Recht ist, sondern eine Frage des politischen Charakters. Eine Regierung, die sich weigert, zwei Senatoren die Arbeit zu ermöglichen, hat mehr zu verbergen als ein paar Aktenordner oder überfüllte Zellen. Was Duckworth sagte, klingt wie eine Mahnung an ein Land, das sich zunehmend an Verschlossenheit gewöhnt: „Wenn man stolz auf seine Arbeit ist, versteckt man sich nicht.“ In Broadview hat man sich sehr wohl versteckt – hinter Zäunen, Befehlen, Sicherheitslogik. Und so bleibt am Ende ein Bild, das stärker wirkt als jede Presseerklärung: zwei Senatoren vor einer Tür, die sich nicht öffnet. Ein kleines Schauspiel, das mehr über den Zustand Amerikas erzählt als jede Rede im Senat.
Am späten Donnerstagabend ordnete eine Bundesrichterin schließlich an, dass die Einwanderungsbehörde ICE den Zaun vor dem Broadview-Gebäude vorübergehend entfernen muss. Die Gemeinde hatte das Heimatschutzministerium verklagt, weil der rund zweieinhalb Meter hohe Metallzaun eine öffentliche Straße blockierte und so auch Rettungskräfte behinderte. Seit Wochen war das Gelände Schauplatz heftiger, aber überwiegend friedlicher Proteste.
Ironischer lässt sich die Gegenwart kaum beschreiben: Während eine Bundesregierung Zäune zieht, um sich selbst vor Einblick zu schützen, muss eine Kleinstadt sie einklagen, um wieder atmen zu können.
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Was soll man da kommentieren? Danke für eure Arbeit und Mühe.👍
Es ist ja nicht das erste Mal.
Vor einigen Monaten wurde in New Jersey (?) Einer Delegation von Abgeordneten der Zutritt verwehrt.
ICE hatte das Eskalieren lassen und einen schwarzen Abgeordneten (owar es nicht sogar der Bürgermeister?) verhaftet.
Was ist eigentlich daraus geworden?
Gut, dass die Stadt sich wehrhaft gegen die Willkür von Trumps Regime zeigt.
Hoffentlich bleibt das Urteil bestehen.
Danke für Eure Recherche