Ein Präsident gegen die Gewaltenteilung – Trumps Nationalgarde-Einsatz und Amerika im Ausnahmezustand

VonRainer Hofmann

Oktober 7, 2025

Was sich in diesen Tagen in den Vereinigten Staaten abspielt, ist mehr als ein politischer Konflikt – es ist ein offener Stresstest für die amerikanische Demokratie. Donald Trump hat die Nationalgarde zu seinem innenpolitischen Werkzeug gemacht, zu einem Instrument präsidialer Machtdemonstration, das selbst die Verfassung auf ihre Bruchstellen treibt. Während in Oregon und Illinois Richterinnen und Richter versuchen, den föderalen Rechtsrahmen aufrechtzuerhalten, marschieren bereits bewaffnete Einheiten in amerikanischen Städten, die der Präsident selbst als „Übungsfelder“ für das Militär bezeichnet. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Präsident die Nationalgarde gegen den erklärten Willen der Bundesstaaten einsetzen darf – und wie weit seine Befugnisse als „Commander-in-Chief“ tatsächlich reichen. Die Grenze, die der Posse Comitatus Act seit fast 150 Jahren zieht – die klare Trennung zwischen militärischem Handeln und innerer Sicherheit – scheint für Trump nicht mehr bindend zu sein. Schon im September hatte er Kaliforniens Nationalgarde gegen den Protest von Gouverneur Gavin Newsom „federalisiert“, also dem Bundesbefehl unterstellt. Nun sollen dieselben Soldaten in Oregon eingesetzt werden, obwohl ein Gericht in Portland den Einsatz ausdrücklich untersagt hat.

Juristen sprechen von einem Angriff auf das Gleichgewicht der Gewaltenteilung. „Was wird geschehen, wenn der Präsident die Prozesse verliert?“, fragt Alex Reinert von der Cardozo School of Law. „Wird er das als Vorwand nutzen, um noch autoritärer zu handeln?“ Die Frage ist nicht rhetorisch. Trumps Anwalt und Chefstratege Stephen Miller hat bereits öffentlich erklärt, ein einzelner Bundesrichter habe „keinerlei Autorität“, den Oberbefehlshaber daran zu hindern, „die Vereinigten Staaten zu verteidigen“. Worte, die an die Sprache von Ausnahmezuständen erinnern – und an eine Haltung, die die Justiz nicht als Kontrollinstanz, sondern als Hindernis betrachtet.

Auch das Weiße Haus selbst hat in den vergangenen Tagen ungewöhnlich scharf auf die Entscheidung der Bundesrichterin Karin Immergut reagiert, die Trumps Portland-Einsatz vorläufig gestoppt hatte. In einer offiziellen Stellungnahme hieß es, die Richterin habe „die öffentliche Sicherheit gefährdet“ und „die Arbeit des Präsidenten behindert“. Dass eine Regierung eine amtierende Bundesrichterin auf diese Weise angreift, markiert eine neue Qualität des Konflikts: Die Exekutive stellt nicht mehr nur Urteile in Frage, sondern die Legitimität der Justiz selbst.

Truppenverlegungen der Nationalgarde aus Texas nach Chicago

Die juristische Auseinandersetzung verschärft sich mit jedem Tag. Drei Bundesstaaten – Illinois, Oregon und Kalifornien – haben Klage eingereicht. In Washington D.C. und Los Angeles sind bereits Soldaten auf den Straßen, teils mit Sturmgewehren, teils im Nahbereich von Protestzonen stationiert. Offizielle Angaben über Zahl und Auftrag der Truppen gibt es nicht; das Verteidigungsministerium verweist auf das Weiße Haus, während Pressesprecherin Karoline Leavitt erklärt, die Einsätze dienten nur dazu, „die Sicherheit in den Städten wiederherzustellen“.

Doch die Begründung trägt kaum. Laut Gesetz dürfen Nationalgardisten, selbst wenn sie föderalisiert sind, keine polizeilichen Aufgaben übernehmen. Sie dürfen weder Straßen blockieren noch Verhaftungen durchführen oder Demonstrationen auflösen. Der Einsatz ist in Wahrheit weitgehend symbolisch – aber politisch brisant. Denn Trump benutzt das Militär, um Härte zu inszenieren, um die Kontrolle über das Gewaltmonopol sichtbar zu machen. William Banks, Verfassungsrechtler an der Syracuse University, spricht von einer „Machtdemonstration, die mehr Angst erzeugt als Ordnung“.

Der historische Vergleich zeigt die Dimension: Als Präsident John F. Kennedy 1963 die Nationalgarde in Alabama einsetzte, geschah das, um ein Grundrecht durchzusetzen – die Rassentrennung an der Universität von Alabama zu beenden. Trumps Einsatz verfolgt das Gegenteil: Er will politische Gegner disziplinieren und Richterentscheidungen umgehen. Der Zweck ist nicht der Schutz von Bürgerrechten, sondern die Durchsetzung des eigenen Machtanspruchs.

Donald Trump sagt, er sei bereit, den Insurrection Act anzuwenden. Das ist ein US-Gesetz aus dem Jahr 1807, das dem Präsidenten erlaubt, reguläre Truppen im Inland einzusetzen – auch gegen den Willen der Bundesstaaten –, wenn Aufstände, Unruhen oder die Missachtung von Bundesgesetzen drohen. Seine Anwendung gilt als äußerstes Mittel und wird in der Regel nur in Ausnahmefällen wie massiven Aufständen oder Naturkatastrophen erwogen. Trump hat vollkommen die Kontrolle verloren.

Noch schwerer wiegt, dass Trump offen mit der Möglichkeit spielt, den Insurrection Act anzuwenden – ein Notstandsgesetz, das dem Präsidenten erlaubt, das Militär auch gegen den Willen der Bundesstaaten einzusetzen, wenn Aufstände oder Gesetzesbrüche vorliegen. „Wenn Menschen getötet werden und Gerichte uns aufhalten“, sagte er am Montag, „dann werde ich handeln.“ Es ist ein Satz, der die Verfassung auf den Kopf stellt: Aus der Verpflichtung, Recht zu wahren, wird ein Vorwand, es zu umgehen. Die Logik dahinter ist gefährlich. In der Praxis würde das bedeuten, dass die Exekutive entscheidet, wann das Recht nicht mehr gilt. Dass Trump und Kriegsminister Pete Hegseth die inneren Einsätze der Nationalgarde als „Trainingsmöglichkeit“ für Auslandseinsätze betrachten, verstärkt den Verdacht, dass es hier längst nicht mehr um Sicherheit, sondern um Militarisierung im Inneren geht. „Was das Militär trainiert, ist der Kampf gegen Feinde“, warnt Elizabeth Goitein vom Brennan Center for Justice. „Der Präsident will, dass amerikanische Soldaten diesen Kampf in amerikanischen Straßen üben.“

Inmitten dieser Eskalation hat das Weiße Haus den Ton verschärft. Man spricht nicht mehr von „Einsätzen“, sondern von „Verteidigung“ – als wären Protestierende Feinde, nicht Bürger. Miller nennt sie „inländische Terroristen“. Gleichzeitig werden Richter, die Trump Entscheidungen entgegensetzen, persönlich angegriffen. Die Attacken erinnern an die Rhetorik autoritärer Systeme, in denen die Justiz zum Feind erklärt wird, sobald sie unabhängig handelt. Juristen warnen vor einer Schwelle, die die USA seit dem Bürgerkrieg nicht mehr überschritten haben. Sollte die Regierung tatsächlich ein Gerichtsurteil missachten, wäre das eine offene Verfassungskrise. „Das ist unser letztes Sicherheitsnetz“, sagt Banks. „Die Unabhängigkeit der Gerichte ist das, was unsere Demokratie noch auf den Schienen hält.“

Doch Trump testet dieses Netz immer weiter. Mit jedem Gerichtsbeschluss, den er angreift, und mit jeder neuen Truppeneinheit, die er in Bewegung setzt, verschiebt sich die Grenze zwischen Regierung und Rechtsstaat. Was als „Schutz der Städte“ verkauft wird, ist längst ein Versuch, das Machtgefüge selbst umzuschreiben. In Washington heißt es, der Präsident wolle die Nationalgarde „effektiver“ machen. Tatsächlich aber formt er sie zu einem Werkzeug der Einschüchterung – ein Spiegel seines politischen Selbstverständnisses: ein Präsident, der keine Institution über sich duldet.

Die juristischen Verfahren werden Wochen dauern. Doch die politische Botschaft steht schon jetzt im Raum: Trump regiert in einem Modus des permanenten Ausnahmezustands – und jeder, der ihn daran erinnert, dass die Macht geteilt ist, wird zum Gegner erklärt. Was bleibt, ist eine gefährliche Mischung aus Symbolpolitik, Drohung und juristischem Vakuum. Der Präsident, der behauptet, das Land zu schützen, gefährdet genau das, was es zusammenhält: die Bindung an das Recht und riskiert damit einen Bürgerkrieg.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
2 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Simone
Simone
11 Stunden zuvor

Das alles erinnert mich an die französische Revolution. Da rollten zum Schluß auch die Köpfe von denen die der Meinung waren besser zu sein als andere. Das betraf dann auch die kirchlichen Würdenträger.
Geschichte wiederholt sich.
Mir macht das alles Angst

Ela Gatto
Ela Gatto
6 Stunden zuvor

Deutschland 1933
Damals hielt Hitler niemand auf.
Weder Bevölkerung noch Militär.

Auch jetzt jubelt MAGA und verhöhnt Kritiker.
Wer soll Trump und seine Schergen aufhalten, wen Urteile nur noch dann umgesetzt werden, wenn sie Trumps Regime genehm sind.

Außer dem Militär, was sich aufdie Verfassung besinnen sollte,ist keiner da, der esstoppen kann.
Schwört das Militär Trump die Treue, dann war es das.
Dann folgt das 4. Reich.

Was für Aussichten 😞

2
0
Would love your thoughts, please comment.x