Putin stößt auf die Toten an – mit Technik „Made in Europe“ – Eine investigative Recherche

VonRainer Hofmann

Oktober 3, 2025

Während Russland im Krieg versinkt, der Staatshaushalt tiefrote Zahlen schreibt und Drohnen aus der Ukraine selbst die Schwarzmeerküste erreichen, wächst im Schatten des Palastes von Wladimir Putin in Gelendschik eine Welt des Luxus, die an Zynismus kaum zu überbieten ist: Putins Weingüter. Sie sind nicht nur Ausdruck persönlicher Vorlieben, sondern auch Monumente der Selbstherrlichkeit, finanziert von Putins engstem Umfeld und getragen von Banken, die seit Jahren als „Kassenfreunde“ des Präsidenten bekannt sind.

Das Kernstück bildet die Weinkellerei „Krinitsa“, nur wenige Schritte von Putins Schwarzmeerpalast entfernt. Mit einem Vermögenswert von über 27 Milliarden Rubel gilt sie mittlerweile als die teuerste Weinkellerei Russlands – wertvoller als die Traditionsmarke „Massandra“ auf der Krim oder die Industriegröße „Kuban-Vino“. Dabei war der Ursprung denkbar schlicht: Als Putin 2003 die Villa von Silvio Berlusconi auf Sardinien besuchte, gefiel ihm der Pomp so sehr, dass er den Architekten nach Russland holte, um eine Kopie zu errichten – nur größer. Statt Fußballplatz gibt es dort eine Eisarena, statt Olivenhaine stehen heute 300 Hektar Reben.

Aus dem vermeintlichen Hobby ist ein Netzwerk aus Gesellschaften geworden – „Apex Jug“, „Divnomorye“, „Lazurnaya Yagoda“, „Axis Investitionen“, alle zusammengeführt unter der Dachmarke „Moe Vino“ („Mein Wein“). Es ist ein Konstrukt ohne Gewinnabsicht, ein Prestigeprojekt, das sich in seiner Bilanz selbst entlarvt: Allein „Krinitsa“ häuft Verluste von über 10 Milliarden Rubel an. 2024 verkaufte „Axis Investitionen“ seine Flaschen im Schnitt ein Drittel unterhalb der Herstellungskosten – Wein als Zuschussgeschäft, während die Kommunen der Region um jeden Rubel ringen.

Weinkellerei ‚Neuer Svet‘ (Krim), gegründet 1878, eine der traditionsreichsten Schaumweinkellereien

Die nackten Zahlen sprechen für sich: Putins Weingüter sind ein Milliardengrab. Laut veröffentlichter Bilanzen summieren sich die Aktiva der sieben beteiligten Firmen zwar auf über 32 Milliarden Rubel, doch die langfristigen Verbindlichkeiten liegen noch höher – mehr als 35 Milliarden. Statt Gewinne zu erwirtschaften, häufen die Kellereien Jahr für Jahr Verluste an: „Lazurnaja Jagoda“ mit minus 5,6 Milliarden Rubel, „Axis Investitionen“ mit weiteren minus 4,5 Milliarden, selbst die kleineren Gesellschaften schreiben tiefrote Zahlen. Einziger Ausreißer ist die „Divnomorje AG“, die ein winziges Plus von 94 Millionen Rubel vorweisen kann – Peanuts im Vergleich zu den Milliardenlöchern. Am Ende steht ein kumuliertes Defizit von mehr als zehn Milliarden Rubel. Mit anderen Worten: Während Russland im Krieg jeden Rubel zweimal umdrehen muss, fließt das Geld in Prestigeprojekte, die ökonomisch auf Sand gebaut sind – aber politisch den Zweck erfüllen, den Präsidenten mit Weingläsern, Etiketten und Fassaden glänzen zu lassen. Doch Verluste sind in Putins Welt nebensächlich. Wichtig ist die Inszenierung: Die Weine aus „Divnomorskoje“ und „Krinitsa“ finden sich auf den Tafeln internationaler Empfänge. Sie standen bei Macron auf dem Tisch, bei Erdogan, Xi Jinping und Kim Jong Un, sie begleiteten das BRICS-Gipfeltreffen in Kasan. Ein Hauch von Diplomatie im Glas, auch wenn Experten die Tropfen bestenfalls im unteren Premiumsegment einordnen – solide gemacht, aber ohne Strahlkraft. Es ist der Schein, der zählt.

Auch ein Drohnenangriff Ende August 2024, bei dem Trümmer ein Feuer nur 850 Meter von der „Krinitsa“-Anlage auslösten, änderte daran nichts. Während in ganz Russland die Bevölkerung mit der Angst vor Angriffen lebt, rückten in Gelendschik 330 Einsatzkräfte und 82 Fahrzeuge aus, inklusive Löschflugzeug und Hubschrauber – ein Aufwand, der mehr über die Prioritäten der Führung aussagt als jede Haushaltsdebatte.

Weintouristischer Komplex „Weißes Kap“ in Gelendschik, Projekt

Parallel wächst das Reich. In Gelendschik entsteht der Tourismuskomplex „Bely Mys“ („Weißes Kap“), ein gigantischer Wein-Disneyland mit Museum, Degustationshallen, Restaurants, eigener Promenade und dem größten Weingeschäft des Landes. Finanziert vom Bankhaus „Rossija“ – dem Geldinstitut des Putin-Vertrauten Juri Kowaltschuk. Auch auf der Krim haben Putins Leute ganze Arbeit geleistet: Die traditionsreiche „Massandra“, mit 11.000 Hektar Weinbergen und einem Millionenlager an Flaschen, wurde 2020 für 5 Milliarden Rubel an eine Tochter des „Rossija“-Konzerns verschleudert. Ein symbolischer Preis, Experten schätzen den wahren Wert auf ein Vielfaches. Heute stehen die „Massandra“, der „Neue Svet“ und „Inkerman“ ebenso unter Kowaltschuks Kontrolle wie das Schwarzmeerimperium bei Gelendschik.

Das ist der geplante Wein- und Tourismuskomplex der Kellerei „Nowy Swet“ auf der Krim. – Dieses Projekt gehört wie „Massandra“ oder „Inkerman“ zum Komplex der von Putins Umfeld (v. a. Juri Kowaltschuk und die Bank „Rossija“) kontrollierten Weingüter. Es soll neben der Produktion auch touristische Funktionen übernehmen: Museum, Degustationsräume, Restaurants und Eventflächen.

Überall dasselbe Muster: historische Betriebe werden mithilfe von Spezialeinheiten, verschleierten Auktionen und Strohmännern übernommen, um dann in Putins persönlichen Glanzkosmos eingepflegt zu werden. Jedes Projekt trägt das Label „Tourismus“ – mit Yachthäfen, VIP-Terrassen und abgeschotteten Bereichen für die Elite. So entstehen rund um Putins Palast vier neue Wein-Resorts, flankiert von Milliardeninvestitionen, deren Geldquellen stets bei denselben Namen enden.

Bemerkenswert ist jedoch, wie stark Putins Prestigeprojekte von europäischem Know-how und Zulieferungen abhängen. Für den Ausbau von „Krinitsa“ wurden isotherme Edelstahltanks vom französischen Hersteller Serap (Gorron, Pays-de-la-Loire) geliefert. Die Barriquefässer stammen von einigen der renommiertesten Fassbauer Europas: Seguin Moreau (Cognac, Frankreich), Cadus (Ladoix-Serrigny, Burgund, Frankreich), Damy (Meursault, Burgund, Frankreich), Ermitage (Forêt des Bertranges, Frankreich), Saury (Saint-Pantaléon-de-Larche, Frankreich), Taransaud (Merpins bei Cognac und Beaune, Frankreich), Berthomieu/La Grange (Bertranges-Wald, Frankreich) sowie der österreichischen Fassbinderei Stockinger (Waidhofen an der Ybbs, Österreich). Auch Flaschen und Korken stammen direkt aus Frankreich. Dazu kommt personelle Expertise: In Gelendschik berät der französische Önologe David Pernet aus Bordeaux regelmäßig die Produktion, während in „Divnomorskoje“ zeitweise der italienische Star-Önologe Ricardo Cotarella eingebunden war.

Europäische Firmen & Geräte – Putin-Weingüter

Europäische Firmen, Geräte & Bezeichnungen

Nur explizit genannte Serien/Modelle sind befüllt. Fehlt die Angabe im Text, steht „nicht genannt“.

Unternehmen / Organisation Land Kategorie Bezeichnung (Produkt/Typ) Serie Modell / Typenbezeichnung
Bucher VaslinFrankreichKellereimaschinePneumatikpresseBVWLBVWL 18
SerapFrankreichGär-/TanktechnikIsotherme Fermenternicht genanntnicht genannt
Seguin MoreauFrankreichBöttchereiEichenfässer (Barriques)nicht genanntnicht genannt
CostralFrankreichAbfüllmaschineAbfülllinie (Flaschenabfüllung)nicht genanntnicht genannt
BerthomieuFrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
CadusFrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
DamyFrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
Ermitage (Tonnellerie)FrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
Fassbinderei StockingerÖsterreichBöttchereiFässer / Foudresnicht genanntnicht genannt
SauryFrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
TaransaudFrankreichBöttchereiBarriquesnicht genanntnicht genannt
Sovivins (David Pernet)FrankreichBeratungÖnologische Projektberatung
AssoenologiItalienBerufsverbandItalienischer Önologen-Verband
Familia CotarellaItalienWeingut/MarkeProduktion & Consulting
Marchesi AntinoriItalienWeingut/GruppePartner der Familia Cotarella
DodiciItalienWeingutConsulting durch R. Cotarella
Antognolla S.p.A.ItalienResort/Wein-ProjektCastello di Antognolla
La Madonnina (Bolgheri)ItalienWeingutConsulting durch R. Cotarella
OrnellaiaItalienWeingutNachbarschaftsreferenz zu La Madonnina
Le MacchioleItalienWeingutNachbarschaftsreferenz zu La Madonnina
World’s Best VineyardsVereinigtes KönigreichRankingTop-100 Weintourismus

Hinweis: Die in den Artikeln genannten Jahresbezüge reichen von 2021 bis 2024.

Es sind keine Großinvestitionen europäischer Konzerne, sondern gezielte technische Lieferungen, Ausrüstungen und Beratungsleistungen, die Putins Weingüter auf internationales Niveau heben sollen. Edelstahl­tanks aus Frankreich, Fässer aus Burgund und Österreich, Korken und Flaschen aus Westeuropa – all das sorgt dafür, dass der Wein, den der Kremlchef seinen Gästen einschenken lässt, technisch auf der Höhe ist. Damit wird deutlich: Der Kriegsherr am Schwarzen Meer speist sein Prestige nicht allein aus russischen Ressourcen, sondern aus westlichen Standards, die über Umwege, Zwischenhändler und Schlupflöcher ins Land gelangen und die Sanktionen ins Leere laufen lassen.

Gerade darin liegt die eigentliche moralische Abgründigkeit: Während in der Ukraine täglich Menschen unter russischen Bomben sterben, während Drohnen aus dem Himmel fallen und ein ganzes Land in Trümmern liegt, stößt Putin bei Empfängen und Banketten mit Wein an, der halb Russland, halb Europa in sich trägt. „Made in Europe“ – das Etikett klebt am Glas, mit dem der Autokrat auf den Krieg und seine Opfer anstößt. Es ist die zynische Verschmelzung von Tod und Luxus, die zeigt, dass Moral längst zur Nebensache geworden ist.

Die Spur dieser Geschäftsbeziehungen führt bis ins Jahr 2023 zurück – damals tauchten erste Hinweise auf europäische Zulieferungen und internationale Berater in Putins Weinprojekten auf. In den Jahren 2024 und 2025 verdichteten sich die Belege, dass diese Strukturen nicht nur punktuelle Kontakte waren, sondern zu einem festen Bestandteil des Prestigeprojekts wurden.

Es ist ein Spiegelbild der russischen Gegenwart: Ein Land im Krieg, ein Haushalt in der Krise – und doch blühen jene Geschäfte, die Putin persönlich Freude bereiten. Die Reben am Schwarzen Meer tragen keine Früchte für die Menschen, sondern für den Machterhalt. Dass sich die Verluste in Milliardenhöhe häufen, scheint Nebensache. Der Kreml-Chef gönnt sich Weinberge, die größer sind als die seiner italienischen Vorbilder, und Schlösser, die mehr Sicherheit verschlingen als manche russische Stadt Budget hat. Krieg, Sanktionen, Rezession – alles lässt sich offenbar ertragen, solange der Oberste Befehlshaber beim Abendessen das richtige Etikett im Glas hat.

Putins Weinfantasien sind ohne einen Blick nach Italien kaum zu verstehen. Als er 2003 Silvio Berlusconis Villa „Certosa“ auf Sardinien besuchte, faszinierte ihn nicht nur der verschwenderische Baustil, sondern auch die Idee, Politik und Luxuswein miteinander zu verbinden. Doch während Berlusconis Anwesen trotz seiner Exzesse ein Privatrefugium blieb, machte Putin daraus ein politisches Bühnenbild: eine übersteigerte Kopie, größer, protziger, angelegt als Monument seiner Macht. Italienische Spitzenweingüter wie Ornellaia oder Antinori haben sich ihren Ruf durch jahrzehntelange Arbeit im internationalen Wettbewerb erkämpft, ihre Weine stehen in Restaurants von New York bis Tokio. Putins „Krinitsa“ dagegen bleibt ein Binnenprodukt – teuer, aber ohne Einfluss auf den Weltmarkt. Die Kellerei ist nicht dazu da, Prestige durch Qualität zu erzeugen, sondern Prestige durch Präsenz: ein Etikett auf den Banketttischen des Kremls, nicht in den Regalen des Handels.

Auffällig ist auch die finanzielle Architektur hinter Putins Weingütern. Während andere russische Agrarbetriebe nach Beginn der Sanktionen mit explodierenden Kosten für Saatgut, Dünger und Maschinen kämpfen, fließen Milliardenkredite und Hilfen gezielt in die Schwarzmeer-Kellereien. Vor allem die Bank „Rossija“, seit Jahren als Finanzvehikel Putins engster Vertrauter bekannt, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Sie deckt Verluste ab, gewährt langfristige Darlehen und verschiebt Bilanzposten so, dass die Weingüter trotz permanenter Defizite nie Insolvenz anmelden müssen. Für die russische Landwirtschaft ist das eine groteske Schieflage: Während Bauern im Landesinneren aufgeben, weil ihnen Kredite verweigert werden, bleiben Putins Weine unantastbar. Sie sind weniger Agrarunternehmen als Teil einer Subventionsmaschine, die Kapitalströme innerhalb des Machtzirkels absichert.

Hinzu kommt eine Dimension, die kaum öffentlich thematisiert wird: die ökologische. Der Bau von „Krinitsa“ und „Divnomorskoje“ hat tiefe Wunden in einer der sensibelsten Küstenlandschaften Russlands hinterlassen. Hanglagen am Schwarzen Meer, die eigentlich unter strengem Landschaftsschutz standen, wurden planiert, Böden abgetragen, Wasserläufe umgeleitet. Umweltverbände dokumentierten den Einsatz von Pestiziden und den Bau kilometerlanger Leitungen, mit denen Grundwasser in trockenen Sommermonaten in die Rebanlagen gepumpt wird – während in den umliegenden Ortschaften zeitweise das Trinkwasser rationiert wurde. Der Widerspruch ist offensichtlich: Eine Region, die ohnehin unter Klimawandel und Wasserknappheit leidet, muss zusätzliche Lasten schultern, damit Putins Palastweine gedeihen. Statt nachhaltigem Prestige bleibt ein ökologischer Fußabdruck zurück, der so tief wie der politische Zynismus ist, mit dem das Projekt betrieben wird.

Während europäische Medienhäuser Spendenaktionen unter dramatischen Schlagwörtern starten und ihre investigative Arbeit oft nur noch in Verbindung mit Vorkasse-Kampagnen versprechen, bleiben viele der wirklich heiklen Verflechtungen zum Beispiel zwischen Russland und Europa, Trumps Schattenpolitik, unbeleuchtet. Einerseits, bleibt dadurch vieles im Dunkeln, weil viele Medien kaum noch eigene Netzwerke oder Recherchestrukturen in Russland haben. Stattdessen wird von Agenturen übernommen. So entsteht der paradoxe Eindruck, dass zwar überall Alarm geschlagen wird, aber die Recherche zu Putins Palastwirtschaft, zu europäischen Zulieferern oder zu Sanktionen letztlich von investigativen Journalisten oder unabhängigen Exiljournalisten geleistet werden muss, ohne Vorkasse, dem eigenen Risiko, mit wenig Unterstützung, aber ohne Wartezeit.

Fortsetzung folgt …

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Ela Gatto
Ela Gatto
6 Stunden zuvor

Danke Rainer, dass Ihr das so durchleuchtet.

Das Putin Prunk und Pomp liebt, weiß Jeder.
Das er zig Guter hat, weiß auch Jeder.

Aber das große Ganze, mit dem Weinimperium, wo Geld hinfließt, während das Volk hungert.
Und dann noch auf Umwegen durch Europa unterstützt.
Das einzige Etikett, was auf den Wein gehört, ist Blutwein (analog zu Blutdiamanten).

Aber das haben alle Aitokraten/Diktatoren gemein, sie schweigen im Überfluss, mit Prink und Pomp, während das Volk leidet.
Es wiederholt sich seit hunderten von Jahren immer und immer wieder.

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Stunde zuvor
Reply to  Rainer Hofmann

Das hoffe ich auch. Bisher duckt man sich ja lieber weg.

Ich unterstützen Euch so gut es geht, auch finanziell

Laura Kirchner
Laura Kirchner
5 Stunden zuvor

Vielen Dank für diesen seltenen Einblick…eine erstaunliche Leistung von Euch an diese Infos zu kommen…
Und ich finde es unerträglich, dass immer noch so viele Profiteure mit diesem Menschen und seinem Gefolge Geschäfte machen…

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