Die Generalprobe zum Kulturkrieg: Wie Hegseth das US-Militär politisch umbaut – und Trump seine Generäle beschwört

VonRainer Hofmann

September 30, 2025

Es war eine Machtdemonstration mit Ansage. Verteidigungsminister Pete Hegseth ließ am Dienstag Hunderte der ranghöchsten Offiziere der Vereinigten Staaten einfliegen, um ihnen – persönlich, ohne Zwischenstufen, ohne diplomatische Politur – den neuen Kurs zu diktieren. Schluss mit „politischer Korrektheit“, Schluss mit „Woke-Kultur“, Schluss mit allem, was in seinen Augen die Truppe verweichlicht. Künftig gelten „geschlechtsneutrale“ Standards, die auf ein männliches Leistungsniveau normiert sind; die Disziplinarordnung wird gelockert; Schutzmechanismen gegen Schikanen werden zurückgefahren. Wer das nicht mitträgt, solle „das Ehrenvolle tun und zurücktreten“. Der Satz fiel nicht nebenbei. Er war die Botschaft. Trump machte aber auch an diesem Tag unmissverständlich klar, dass er die Armee nicht nur als Schutzschild gegen äußere Bedrohungen sieht, sondern als Instrument im Inneren – gegen Migranten, gegen Kriminalität, gegen politische Gegner. Wenn er „gefährliche Städte“ unter demokratischer Führung kurzerhand zu Übungsplätzen für Soldaten erklärt und Einsätze in Chicago ankündigt, offenbart sich eine Logik, die militärische Macht und innenpolitische Disziplinierung verschmilzt. Es ist weniger die Verteidigung der Nation als vielmehr die Militarisierung gesellschaftlicher Konflikte – eine Drohung, die tief in die demokratische Substanz reicht.

„Ich habe zu Pete gesagt: Wir sollten einige dieser gefährlichen Städte als Übungsplätze für unser Militär nutzen. Nationalgarde, aber unser Militär. Denn wir werden sehr bald nach Chicago gehen. Das ist eine große Stadt mit einem inkompetenten Gouverneur. Dummer Gouverneur.“

Hegseth nutzte die Bühne, um ein ganzes Feindbild-Tableau zu bedienen: von bisherigen Fitness- und Erscheinungsstandards über Umweltauflagen bis hin zu Transgender-Soldaten. Das, was Vorgängerregierungen als Stärke begriffen – Vielfalt, Inklusion, überprüfbare Regeln – erklärte er zur „irren Falschbehauptung“. Er verspottete DEI-Vorgaben und LGBTQ-Richtlinien, sprach davon, man habe den Streitkräften eingeredet, „Frauen und Männer seien dasselbe, oder Männer, die sich für Frauen hielten, seien völlig normal“. Und er setzte einen Ton, der nicht auf Ausgleich zielt, sondern auf Demütigung: Künftig werde jeder Angehörige der Joint Force strikten Größen- und Gewichtsanforderungen unterliegen; „es ermüdet, in Gefechtsformationen, eigentlich in jeder Formation, fette Soldaten zu sehen“. Dazu sollen neue Kampffeld-Tests kommen, angelehnt an Expertentests der Army und an die Combat Fitness der Marines. Was die Truppe als Auftrag versteht – Landesverteidigung im 21. Jahrhundert – wird auf das Bild eines Kastens aus Stahl und Wille reduziert.

Parallel kündigte Hegseth eine Rosskur am Pentagon-Aufseher an. Der Inspector General sei „bewaffnet“ worden, also politisch instrumentalisiert, deshalb werde man das Verfahren „neu aufsetzen“. Er taufte den Kurs „no more walking on eggshells“ – kein Eiertanz mehr. Pikant daran ist nicht nur der Sound, sondern der Kontext: Während die Aufsicht eine laufende Prüfung zu Hegseths Umfeld und der Nutzung verschlüsselter Signal-Chats führt, erklärt der Minister der Aufsicht den Krieg. Künftig, so sein Versprechen, werde man anonyme und aus seiner Sicht „leichtfertige“ Eingaben anders behandeln. Was in der Sprache des Compliance-Rechts nach Sorgfaltspflichten verlangt, wird in der Sprache der Parteipolitik zur Störgröße degradiert.

Diese ideologische Abrissbirne blieb nicht auf den Minister beschränkt. Kurz darauf trat der Präsident vor die Generäle und Admiräle – ein Auditorium, das in der amerikanischen Demokratie demonstrative Parteilichkeit meidet und seine politische Neutralität kultiviert. Trump spielte sein Repertoire, doch er spielte es vor einer ungewöhnlich stillen Kulisse. Keine Sprechchöre, keine belohnenden Lacher, kein Stadionmaß an Applaus. Die militärische Spitze saß, wie es Tradition ist, regungslos und steinern. Trump indes mäanderte durch seine Standards: Er beschwerte sich über Joe Bidens Autopen-Signaturen, klagte, dass er wohl keinen Friedensnobelpreis erhalte, schwärmte über Zölle, die er liebt, und phantasierte laut über neue Schlachtschiffe – ein Waffensystem, das Fachleute seit Jahrzehnten als überlebt bewerten. „Manche sagen, das sei alte Technologie“, sagte er. „Ich weiß nicht, ich glaube das nicht, wenn man sich diese Geschütze ansieht.“

Zwischen die kulturkämpferischen Mantren mischte sich Weltpolitik als Pointe. Als Trump sein geplantes Raketenabwehrsystem „Golden Dome“ erwähnte, mit dem die USA geschützt werden sollen, kam ihm „Kanada“ in den Sinn. Ottawa habe angefragt, ob man mitgeschützt werde. Seine Antwort, als Pointe verkauft, war eine politische Drohgebärde im Gewand des Witzes: „Werdet doch einfach unser 51. Bundesstaat, dann bekommt ihr es gratis.“ Anfang des Jahres hatte er Kanada bereits per Zollkeule unter Druck gesetzt. Ottawa stellte klar: Man wird den Vereinigten Staaten nicht beitreten. Dass der Präsident solche Nadelstiche vor den Spitzen der Streitkräfte setzt, ist kein Ausrutscher, sondern Methode – Außen- und Handelspolitik werden zur Kulisse eines innenpolitischen Loyalitätstests.

Pete Hegseth rief Hunderte der ranghöchsten Militärführer Amerikas aus aller Welt zu einer Konferenz zusammen, um sie mit Tiraden über DEI und die „Gender-Wahnvorstellung“ zu überziehen. Dabei geht es nicht darum, Amerika sicher zu halten. Keine Kerle mehr in Kleidern. Keine Anbetung des Klimawandels … mit diesem Scheiß sind wir durch.

Hegseths Rhetorik senkte die Messlatte noch einmal unter den Boden der Sachlichkeit. „Keine Kerle mehr in Kleidern. Keine Anbetung des Klimawandels … mit diesem Scheiß sind wir durch.“ – so der Subtext, vulgär und gewollt enthemmend. Das ist kein Katalog von Verwaltungsreformen, das ist die Verwandlung des Verteidigungsministeriums in eine Schaubühne des Kulturkriegs. Die Verschiebung der Fitnessnormen auf ein männlich kodiertes Ideal, die Abwertung von Minderheitenrechten, die Ankündigung, Disziplinarregeln zu lockern und Schutzmechanismen gegen Schikanen zu schwächen – das alles zielt nicht auf Einsatzbereitschaft, sondern auf Auslese entlang ideologischer Linien. Es sendet ein klares Signal an Frauen, an trans und nichtbinäre Soldatinnen und Soldaten, an alle, die den Dienst als Vertrag zwischen Individuum und Staat verstehen: Eure Rechte sind verhandelbar, wenn sie dem neuen Dogma im Weg stehen.

Die eigentliche Kernbotschaft an die versammelten Offiziere war indes schlicht und total: „Wir sind ein Team. Ich stehe zu euch, ich unterstütze euch, ich habe euren Rücken zu 100 Prozent. Ihr werdet mich nicht einmal ein bisschen wanken sehen.“ Dazu die Casting-Formel, man sehe hier „unglaubliche Menschen“, direkt aus „central casting“. Es ist die Sprache eines Chefs, der Loyalität als Einbahnstraße versteht und den institutionellen Pluralismus, den das Militär qua Verfassung verkörpert, auf Gefolgschaft reduziert. Wer nicht klatscht, ist verdächtig. Wer Widerspruch formuliert, soll gehen.

Die Inszenierung des „starken Staates“ lebt dabei von zwei Brechstangen. Die erste ist die Entwertung rechtsstaatlicher Kontrolle. Wer den Inspector-General-Prozess im eigenen Haus ausdünnt, während er selbst Gegenstand von Prüfungen ist, zeigt nicht Effizienz, sondern Furcht vor Transparenz. Die zweite ist die Personalisierung der Nation. Wenn Trump sagt, die Verweigerung eines Nobelpreises wäre „eine große Beleidigung für unser Land“, dann spricht ein Präsident, der das „Wir“ mit dem „Ich“ verwechselt und internationale Auszeichnungen als Gradmesser innenpolitischer Machtfertigung umdeutet. Der Satz „Ich will den Preis nicht, ich will, dass das Land ihn bekommt“ – um gleich darauf zu betonen, er selbst solle ihn eigentlich erhalten – ist keine Bescheidenheitsfloskel, sondern das Muster.

Trump musste das Militär faktisch zum Applaus auffordern

Dass diese Botschaften vor einem Publikum abgelassen wurden, das traditionell nicht jubelt, ist kein Hindernis, sondern Kalkül. Der stille Saal wird zum Bildschirm, auf den ein Schauspiel projiziert wird, das für andere Zielgruppen produziert ist: die eigene Basis, die Kulturkämpfer auf den Abgeordnetenbänken, die Influencer, die jeden Tabubruch in zehn Sekunden Memetauglichkeit übersetzen. Die Streitkräfte, die in den letzten Jahren an den Rändern der Gesellschaft rekrutieren, bilden dafür die Kulisse. Wenn die oberste politische Leitung ihnen sagt, sie seien zu divers, zu weich, zu „woke“, dann ist das kein Management-Feedback, sondern der Versuch, die Kommandostruktur zum ideologischen Filter zu machen.

Man kann diese Stunde als Verwaltungsakt missverstehen: neue Tests, neue Tabellen, neue Sprüche. Tatsächlich erleben wir den Versuch, aus der Verteidigungspolitik eine Bühne für Loyalitätsprüfungen zu bauen, in der Rechtsschutz, Minderheitenrechte und unabhängige Kontrolle als Luxusprobleme gelten. Der Preis dafür wird nicht in Schlagzeilen bezahlt, sondern in den Einheiten, in denen Vertrauen verdunstet und in denen diejenigen, die Schutz brauchen, lernen, dass der Staat sie demütigt, wenn es dem Narrativ dient. Soldatinnen und Soldaten sind keine Requisiten in einer Kulturkampfnummer. Wer sie dazu macht, schwächt nicht „Woke-Kultur“, sondern die Einsatzkraft, die Moral und die Integrität der Streitkräfte.

Trump im Helicopter zurück nach Washinton

Am Ende dieser Konferenz steht kein modernisiertes Militär, sondern eine Drohung: Der Auftrag, der in der Verfassung steht, wird zurechtgebogen, bis er in eine Talkshow passt. Hegseth befiehlt, wer widerspricht, solle gehen. Trump verspricht, er werde niemals wanken. Es ist die Logik einer Bewegung, die Stärke mit Härte verwechselt und Verantwortung mit Parteitreue. Wer das ernst nimmt, erkennt den Kern: Hier wird nicht geführt, hier wird gedrückt – aus der Institution ein Werkzeug, aus dem Recht eine Nebensache, aus der Armee ein Resonanzkörper. Genau das macht ein Land nicht sicherer, sondern verletzlicher.

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Carolina
Carolina
3 Stunden zuvor

Am Ende werden wir das dort wohl an den Zahlen sehen, wieviele dann noch bereit sind das Land zu verteidigen. Ich wünsche der Trump Regierung viele Austritte und wenig Anmeldungen

Josef Sanft
Josef Sanft
3 Stunden zuvor

Ich bin gespannt, wie weit das alles noch gehen wird. Und ob nicht doch irgendwann ein Punkt erreicht ist, wo sich zumindest Teile des Militärs
mit Putschgedanken beschäftigen werden, bevor die USA komplett in den Gilead-Status abrutscht.

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Stunden zuvor

Genau so habe ich mir das Theater vorgestellt.

Einschwören auf Trumps Linie.
Wer Nicht mitmacht, der kann gehen oder wird (un) ehrenhaft entlassen.

Männer, Frauen, Transgender, aber mit Sicherheit auch bald People of color…. die in vielen Einsätzen Ihr Leben riskiert haben für Freiheit und Demokratie werden vollkommen entbehrlich, wenn sie nicht mehr der politischen Vorgabe entsprechen.

Ihr Schutz innerhalb der Streitkräfte wird unterwandert.
Normen werden an den Übernorm-Soldaten angelegt.
Erinnert an Hitl*** große Ariertruppe.

Wird das Militär einknicken?
Oder wird es klar und deutlich für die Verfassung eintreten.
Auch Militär dürfen Befehle verweigern, wenn diese einen offenkundigen Rechtsbruch darstellen.
Werden sie mutig sein?
Oder werden sie wie in Deutschland 1935 die Köpfen einziehen und schweigen mitmachen?
Ihre Waffen gegen die eigene Bevölkerung richten?

Der Einmarsch der Nationalgarde ist schon juristische mehr als heikel.

Aber das Militär schon quasi darauf einschwören ist eine neue Stufe der Eskalation.

Ich glaube, dass sich jetzt in Kürze entscheidet, ob die USA komplett in eine Diktatur schlimmer Oder ob es noch Hoffnung gibt.

Danke für Deinen Bericht.

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