Die Schattenakten – Palantir, der unsichtbare Staat im Staat

VonRainer Hofmann

August 28, 2025

Unter dem Titel „Die Architektur der Kontrolle: Wie Peter Thiels Datenmacht und das politische Netzwerk Rockbridge die Demokratie untergraben“ – https://kaizen-blog.org/die-architektur-der-kontrolle-wie-peter-thiels-datenmacht-und-das-politische-netzwerk-rockbridge-die-demokratie-untergraben/

Es begann mit einem Klicken. Ein digitales Schloss, das sich öffnete – gegen den Willen einer Richterin, gegen jede Regel der Sicherheit. Am 20. März 2025 hatte die Bundesrichterin Ellen Lipton Hollander vom U.S. District Court in Maryland eine unmissverständliche Verfügung erlassen: Die dubiose Sondereinheit DOGE dürfe keinerlei Zugriff auf die Systeme der Sozialbehörde SSA erhalten. Es war ein juristischer Riegel, der die sensibelsten Daten von mehr als 300 Millionen Amerikanern schützen sollte – Namen, Geburtsdaten, Sozialversicherungsnummern, Lebensgeschichten. Doch keine 24 Stunden später wurde dieser Riegel gebrochen. Heimlich, in der Nacht, erhielten Administratoren die Anweisung, die Sperren zu lösen. Ein Akt, der nicht nur die Autorität einer Bundesrichterin verhöhnte, sondern den Auftakt markierte zu einem der größten Datenskandale in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Von da an war es, als hätte man eine Schleuse geöffnet: Datenbanken mit den privatesten Informationen von Millionen Menschen wurden freigegeben, Zugänge erweitert, Rechte geschaffen, die nie hätten existieren dürfen. Geräte-Logins, die jede Nachverfolgbarkeit auslöschten. Schreibrechte, die Daten manipulierbar machten. Vierzig neue Profile, genehmigt ohne Protokoll. Mit einem Schlag stand die Büchse der Pandora sperrangelweit offen.

Bürger- und Datenschutz – Fremdwörter für Elon Musk

Und dann kam der Juni. Mit dem Segen des Supreme Court erhielten die DOGE-Leute nicht nur ihre Zugänge zurück – sie schufen eine vollständige Kopie des NUMIDENT. Jene gigantische Datei, die das intime Leben jedes Amerikaners enthält: Geburtsorte, Adressen, Telefonnummern, Namen der Eltern, Staatsangehörigkeit, ethnische Herkunft. Die DNA einer Nation, verschoben in eine Cloud-Umgebung, die ohne unabhängige Sicherheitskontrollen auskam.

Es war der Oberste Gerichtshof, der am 6. Juni 2025 die Tür öffnete. Mit einer knappen 5-zu-4-Mehrheit setzte die konservative Richtermehrheit – Roberts, Thomas, Alito, Gorsuch und Barrett – die einstweilige Verfügung von Richterin Ellen Lipton Hollander außer Kraft. Damit fiel der Schutz, den die District-Judge im März so eindringlich verhängt hatte. Die liberalen Richterinnen und Richter – Sotomayor, Kagan, Jackson und Brown – warnten in einem ungewöhnlich scharf formulierten Sondervotum, dass „irreversible Risiken für Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit“ entstünden. Doch ihre Stimmen verhallten. Von diesem Tag an lagen die intimsten Daten von 300 Millionen Amerikanern in den Händen einer Einheit, die sich bereits über ein Bundesgericht hinweggesetzt hatte – und nun vom höchsten Gericht im Land gedeckt war. Interne Fachleute schlugen Alarm. Sie stuften das Projekt als „sehr hohes Risiko“ ein, warnten vor katastrophalen Folgen. Sie dokumentierten, dass NUMIDENT niemals in eine Testumgebung übertragen werden dürfe. Sie erklärten, dass der unbefugte Zugriff auf diese Daten einem „katastrophalen Schaden“ gleichkäme. Und sie empfahlen, die Finger davon zu lassen. Doch das DOGE-Team hörte nicht zu. Michael Russo, einer der ihren, schrieb am 25. Juni auf die Anfrage zur Übertragung lediglich: „Genehmigt…“. Ein Wort, das reichte, um das Sicherheitsbollwerk einer ganzen Behörde zu durchbrechen.

Wenige Wochen später setzte Aram Moghaddassi, DOGE-Mann mit weitreichenden Vollmachten, seine Unterschrift unter ein Dokument, das an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist: eine „Vorläufige Betriebsgenehmigung“. Darin heißt es wörtlich: „Ich habe festgestellt, dass der geschäftliche Bedarf schwerer wiegt als das mit dieser Umsetzung verbundene Sicherheitsrisiko, und ich akzeptiere alle Risiken, die mit dieser Umsetzung und dem Betrieb verbunden sind.“ Mit einem Satz stellte er den „geschäftlichen Bedarf“ über die Sicherheitsrisiken – und erklärte, alle Risiken persönlich zu akzeptieren. Nicht die Öffentlichkeit, nicht unabhängige Gremien, nicht die Fachleute entschieden – er selbst. In Wahrheit aber war es die amerikanische Gesellschaft, die die Risiken tragen musste. Denn eine reguläre Betriebsgenehmigung entsteht erst nach einem standardisierten Prüfverfahren mit Dokumentation, Risikoanalyse und unabhängigen Kontrollen durch die zuständige Sicherheitsabteilung. Moghaddassi aber riss dieses Verfahren an sich, schuf Fakten ohne Aufsicht und erlaubte damit, dass die sensibelsten Daten von über 300 Millionen Menschen in einer Cloud-Umgebung ohne unabhängige Sicherheitsmechanismen lagen. Damit war aus einem Regelbruch ein Staatsverrat im digitalen Gewand geworden. Ein Skandal, der nicht nur die Autorität einzelner Richter untergrub, sondern das Fundament von Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz in den Vereinigten Staaten erschütterte.

Und nun konnte sich Palantir so richtig entfalten. Die Spiegelung einer nationalen Datenbank wie NUMIDENT in eine Cloud-Umgebung, der Aufbau paralleler Zugriffssysteme, die Möglichkeit, Profile von Millionen Menschen in Echtzeit zu durchforsten – all das entspricht exakt den Einsatzszenarien der Palantir-Software. Das Unternehmen von Trump-Vertrautem Peter Thiel ist seit Jahren engster Partner der Sicherheits- und Geheimdienstapparate in den USA, von ICE über das Pentagon bis hin zur NSA. Palantir ist darauf spezialisiert, heterogene Datenströme aus verschiedensten Quellen zusammenzuführen, zu normalisieren und in durchsuchbare Kontrollsysteme zu verwandeln. Genau das geschah hier: Millionen Datensätze, die eigentlich in getrennten, streng geschützten Architekturen lagerten, wurden in ein einziges Analysefeld gespiegelt.

Die Abläufe sind dabei immer dieselben: Zunächst werden Rohdaten aus Behördenservern extrahiert und in sogenannte Data Lakes überführt. Dort werden sie bereinigt, vereinheitlicht und mit zusätzlichen Variablen angereichert. Anschließend wird die Palantir-Oberfläche – ob Gotham oder Foundry – darübergelegt, sodass Analysten in Echtzeit nach Personen, Mustern oder Netzwerken suchen können. Es genügt ein Name, eine Telefonnummer oder ein Geburtsdatum, und die Software zieht binnen Sekunden das gesamte Umfeld auf den Bildschirm: Verwandte, Adressen, Bewegungsprofile, Kontaktspuren. Im Fall des NUMIDENT bedeutet das: eine Gesellschaft auf Knopfdruck in durchleuchtbare Segmente zerlegt. Besonders heikel ist, dass Palantir-Umgebungen traditionell mit erweiterten Berechtigungsstufen arbeiten, die eine granulare Überwachung zwar versprechen, in der Praxis jedoch Umgehungen ermöglichen. Wer über Administratorrechte verfügt, kann Suchabfragen unsichtbar machen oder ganze Datenpakete exportieren, ohne dass es von den vorgesehenen Kontrollinstanzen registriert wird. Genau hier liegt der Verdacht: Dass DOGE nicht nur Zugriff auf die Spiegelung hatte, sondern mit Hilfe von Palantir-Technologien ein eigenes, weitgehend unkontrolliertes Ökosystem schuf – ein „Schattenarchiv“ des amerikanischen Volkes.

Palantirs unsichtbare Macht: Der „Raptor Search Engine“

Das geleakte Schema aus internen Palantir-Dokumenten zeigt, wie der sogenannte Raptor Search Engine funktioniert – ein Zusatzmodul, das Palantirs Plattform zur universellen Suchmaschine über staatliche Datenbestände macht. Im Kern steht der Dispatch Server, der Suchanfragen entgegennimmt und an die Raptor Engine weiterleitet. Diese wiederum verteilt die Abfragen an mehrere Search Nodes, die parallel riesige Datenmengen durchkämmen können. Entscheidend: Die Daten selbst bleiben in den Ursprungsdatenbanken – etwa bei Oracle oder anderen Behördenarchiven. Palantir erstellt lediglich Indexe, die den Zugriff ermöglichen, und bindet Änderungen über eine „Revisioning Database“ nach. Damit gelingt Palantir ein entscheidender Trick: Das Unternehmen muss die Daten nicht besitzen, um sie kontrollieren zu können. Es reicht, dass Palantir die Schnittstelle bildet, über die Beamte oder Analysten ihre Abfragen stellen. Jede Suche, jede Verknüpfung, jedes Muster läuft durch Palantirs Infrastruktur – und macht die Software damit zur Schalttafel der Informationshoheit.

Was auf den ersten Blick nach technischer Effizienz aussieht, hat politische Sprengkraft. Staaten glauben, die Datenhoheit zu behalten, weil sie ihre Archive nicht physisch an Palantir übergeben. Doch faktisch werden Behörden abhängig von einer Architektur, die nur noch durch Palantir verständlich, bedienbar und erweiterbar ist. Damit verschiebt sich die Machtbalance: Weg von staatlichen Institutionen, hin zu einem privatwirtschaftlichen Akteur mit engen Verbindungen zum Silicon Valley – und zu politischen Schwergewichten wie Donald Trump oder Peter Thiel. Gerade in Europa, wo Behörden begeistert auf Palantirs föderierte Suchsysteme schauen, fehlt oft das Bewusstsein für diese Abhängigkeit. Deutsche Sicherheitsbehörden werben Palantir als „Technologiepartner für föderierte Datenanalysen“ – und übersehen, dass sie damit ein Einfallstor schaffen, über das nicht nur Daten gesucht, sondern auch staatliche Souveränität ausgehöhlt wird.

Dass Palantir dafür prädestiniert ist, hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt. Bei US-Geheimdienstoperationen im Irak und in Afghanistan wurden die Systeme eingesetzt, um riesige Datenmengen aus Telefonüberwachung, Drohnenaufnahmen und Informantenberichten zusammenzuführen – oft ohne klare rechtliche Grundlage, dafür mit maximaler operativer Schlagkraft. In der Terrorismusbekämpfung lieferte Palantir die Plattform, mit der CIA und NSA Mustererkennung in Kommunikationsdaten betrieben – eine Technik, die zwar Anschläge verhinderte, aber gleichzeitig Millionen Unschuldige in digitale Raster zog. Es ist dieselbe Logik, die nun im Inneren greift: totale Transparenz für den Staat, totale Ohnmacht für den Bürger. Es ist ein Bild aus der digitalen Finsternis des Krieges: Ein Ballon, 72 Meter lang, gefüllt mit Kameras, Sensoren und Technik, schwebt über dem afghanischen Distrikt Zhari. Unten kauert ein Mann mit lila Hut in einem Feld. Ist er nur ein Bauer, oder ein Bombenleger, der einen Sprengsatz vergräbt? Im Container des amerikanischen Außenpostens Siah Choy starren Analysten auf Monitore, während Palantir im Hintergrund Datenströme sortiert, Bilder verknüpft, Muster erzeugt. „Pattern of life“ nennen sie das: aus kleinsten Gesten ein Gesamtbild zu formen, das über Leben und Tod entscheidet.

Ein Ballon, 72 Meter lang, gefüllt mit Kameras, Sensoren und Technik, schwebt über dem afghanischen Distrikt Zhari

Palantir, jene Software aus dem Silicon Valley, finanziert mit CIA-Geldern und angeführt von Peter Thiel, hat dem Pentagon das geliefert, was Generäle seit Jahren forderten: Ordnung im Datenchaos. Millionen Stunden Videomaterial aus Drohnen, Luftschiffen und Überwachungskameras hatten sich in Archiven gestaut – zu viel für jeden menschlichen Blick. Palantir machte daraus ein durchsuchbares Gedächtnis des Krieges. Suchen nach einem „Mann mit lila Hut“ war plötzlich möglich. Aus Beobachtungen wurden Muster, aus Mustern Verdachtsmomente, aus Verdachtsmomenten Freigaben für Luftschläge. Die Logik war so simpel wie gnadenlos: Wer dreimal beim Hantieren mit Kabeln, Drucktanks oder Sprengstoff beobachtet wurde, bekam den Status „429 package“ – ein Code, der bedeutete, dass er fortan ein legitimes Ziel war, jederzeit und überall. Die Maschine sah, die Maschine zählte, die Maschine klassifizierte. Doch an jenem Morgen wäre beinahe ein Bauer auf einem Traktor gestorben, nur weil sein Hut im ersten Sonnenlicht violett erschien. Ein Analyst zweifelte, erkannte die Täuschung und verhinderte den Schlag. Hätte ein Algorithmus allein entschieden, wäre ein unschuldiges Leben ausgelöscht worden.

Genau hier liegt die gefährliche Macht von Palantir. Die Plattform zieht Linien zwischen Menschen, verbindet Gesichter, Handlungen, Aufenthaltsorte. Aus Spuren werden Profile, aus Profilen Vorhersagen. Wer mit wem spricht, wer wohin geht, wer zu welcher Uhrzeit betet – alles wird erfasst und im digitalen Gedächtnis gespeichert. „You are what you do“ lautete das Credo. Doch die nächste Stufe hieß: „We know what you did, so we know what you will do.“ Aus der Gegenwart wurde Zukunft berechnet – eine Zukunft, die manch einer nicht überlebte. Diese Methoden, geboren im afghanischen Krieg, sind längst in den Westen zurückgekehrt. 2017 nutzte ICE Palantir, um hunderte Angehörige von Migrantenkindern aufzuspüren und festzunehmen. 2020 setzte das Gesundheitsministerium die Software ein, um während der Pandemie Bewegungen und Daten von Millionen Amerikanern zusammenzuführen – von Testergebnissen bis zu Aufenthaltsorten. Eine Technologie, die einst versprach, Anschläge zu verhindern, wurde zum Werkzeug staatlicher Totalüberwachung. Die zentrale Frage aber bleibt: Wer entscheidet, was gespeichert und was gelöscht wird? Wer kontrolliert die Knöpfe, die Daten als Beweis sichern – oder für immer verschwinden lassen? In Afghanistan wusste ein Analyst, dass er gerade das Leben eines Unschuldigen rettete. Doch in einem System, das von Algorithmen und geheimen Datenbanken gesteuert wird, verschwimmen Verantwortung und Wahrheit. Was Palantir liefert, ist die totale Transparenz für den Staat – und die totale Ohnmacht für den Bürger.

Und während in den USA wenigstens ein erbitterter Streit über Datenschutz und Bürgerrechte tobt, zeigt sich in Europa, und insbesondere in Deutschland, eine gefährliche Naivität. Deutsche Behörden, vom Bundeskriminalamt bis zu Landespolizeien, reißen sich um die Technologie. Sie loben die „Effizienz“, die „Schnelligkeit“ und die „Übersichtlichkeit“ – und haben zugleich kaum eine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn die gesamte Datenhoheit über Bürgerbewegungen, Kommunikationsmuster und Sozialdaten in den Händen einer Firma liegt, die eng mit US-Geheimdiensten verflochten ist.

Beispiele gibt es genug. In Hessen läuft seit 2017 das Programm „Hessendata“, das als Vorzeigeprojekt gilt – in Wahrheit aber die Leitmodell für die systematische Ausweitung staatlicher Überwachung mit Palantir-Technologie darstellt. Dort können Ermittler Daten aus Funkzellenabfragen, Polizeidatenbanken, Melderegistern und sogar Social Media in Echtzeit verknüpfen. Das Bundeskriminalamt will ein ähnliches System bundesweit einführen, trotz massiver Kritik von Datenschützern und Juristen. Im Bundestag gab es zwar Debatten über Grundrechte, doch die Warnungen verhallten – zu verlockend ist die Aussicht auf eine Allzweckwaffe im Kampf gegen Terror und Kriminalität. In Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin prüfen Landesbehörden bereits den Einsatz.

Es ist die doppelte Tragik: Während die USA ihre eigenen Schutzmechanismen aushebeln, stürzen sich deutsche Behörden blindlings in Abhängigkeiten. Sie sehen in Palantir die Lösung für überlastete Polizeistrukturen und stockende Ermittlungen, erkennen aber nicht, dass sie damit einen Teil ihrer Souveränität preisgeben. Wer sich auf Palantir einlässt, liefert nicht nur Daten – er liefert die Schlüssel zur Zukunft des Rechtsstaats aus.

Die Mauer des Schweigens – Palantirs Kampf gegen Transparenz

Wie unsere geleakten Dokumente zeigen, wandte sich Palantir im August 2025 mit einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft von Texas – und verteidigt darin seine Datennetze mit einer Mauer des Schweigens, die tiefer reicht, als es die Öffentlichkeit ahnt. Es ist ein Brief, unscheinbar im Ton, doch explosiv im Inhalt. Absender: Palantir Technologies Inc., jenes Datenimperium aus Denver, das mit CIA-Geldern gegründet wurde und heute zu den engsten Partnern von Polizei, Geheimdiensten und Gesundheitsbehörden gehört. Adressat: Ken Paxton, Generalstaatsanwalt von Texas. Anlass: Ein Antrag auf Offenlegung von Informationen nach dem Texas Public Information Act. Ein Bürger, Ed Vogel, hatte Unterlagen angefordert, die den Einsatz von Palantir beim M.D. Anderson Cancer Center in Houston betreffen. Palantir reagierte sofort – mit einem Schreiben voller juristischer Argumente, Drohungen und Warnungen. Der Tenor: Alles, was Palantir berührt, ist Geschäftsgeheimnis. Verträge, Rechnungen, Preislisten, technische Implementierungen, sogar die Namen und Signaturen der Mitarbeiter – alles soll geheim bleiben. Jede Offenlegung, so das Unternehmen, würde „sofortigen und erheblichen Wettbewerbsnachteil“ bedeuten und Konkurrenten erlauben, die eigene Software nachzubauen oder Kunden in Preisverhandlungen zu drücken.

Was hier präsentiert wird, ist mehr als nur ein Schutzantrag. Es ist ein Fenster in das Innenleben eines Konzerns, der wie kaum ein anderes Unternehmen zum Synonym für staatliche Datenmacht geworden ist. In dem Schreiben an den Generalstaatsanwalt wird klar: Palantir liefert nicht nur Software, es baut komplette Kontrollarchitekturen für kritische Infrastrukturen und kämpft mit allen Mitteln dafür, dass niemand von außen erfährt, wie diese Systeme funktionieren. Besonders deutlich wird dies an der Art und Weise, wie Palantir Geschäftsgeheimnisse definiert. Preisgestaltungsmethoden, interne Kostenaufschlüsselungen, Zahlungsbedingungen – alles wird unter diesen Begriff gestellt. Die Begründung: Würden Kunden wie M.D. Anderson erfahren, wie die Kalkulationen aussehen, könnten sie sofort neue Verhandlungen verlangen, was Palantir „hunderte Millionen Dollar“ kosten würde. Die Geheimhaltung wird damit zum Geschäftsmodell, sie erlaubt Premiumpreise, sie schafft Intransparenz, die für das Unternehmen selbst zum zentralen Wert geworden ist.

Hinzu kommt der Schutz der eigenen Mitarbeiter. Palantir erklärt Namen, Jobtitel, E-Mail-Adressen und sogar Signaturen zu sensiblen Daten, deren Veröffentlichung die physische Sicherheit der Angestellten gefährden würde. Das Unternehmen verweist auf Proteste gegen seine Rolle bei Deportationen durch ICE, auf öffentliche Kritik und auf Sicherheitsrisiken wie Phishing, Vandalismus oder gar Gewalt. Damit macht Palantir seine Mitarbeiter zu einem juristischen Schutzschild – wer Transparenz fordert, so die implizite Drohung, gefährdet Menschenleben. Noch sensibler wird es bei den technischen Details: IP-Adressen, Hostnamen, Systemarchitekturen, Konfigurationen – all das soll geheim bleiben, weil es angeblich von „bösartigen Akteuren“ genutzt werden könnte, um kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser anzugreifen. Die Botschaft ist eindeutig: Wenn ihr uns zwingt, transparent zu sein, gefährdet ihr Patienten. Doch was dieses Argument vor allem offenbart, ist die Tiefe, mit der Palantir bereits in den Netzen eines der größten Krebszentren der USA verankert ist.

Die Brisanz dieses Falles zeigt sich umso mehr im europäischen Kontext. In Deutschland haben Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht Palantir enge Grenzen gesetzt. Unter dem Namen „Hessendata“ nutzte die Polizei in Wiesbaden bereits seit 2017 die Gotham-Plattform, um Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und Netzwerke zu kartieren. Doch die Software machte keinen Unterschied zwischen mutmaßlichen Straftätern und deren Anwälten, Familienangehörigen oder zufälligen Kontakten. Mit einem Klick konnten vollständige Persönlichkeitsprofile erstellt werden – ohne konkreten Tatverdacht. Das Bundesverfassungsgericht stoppte den Einsatz in Hamburg vollständig und zwang Hessen, seine Gesetze drastisch zu ändern. Die Warnung aus Karlsruhe war eindeutig: Palantir gefährdet Grundrechte, macht unschuldige Bürger zu Datenobjekten und öffnet der präventiven Massenüberwachung Tür und Tor.

Und doch drängen deutsche Behörden weiter auf den Einsatz. Polizeigewerkschaften werben für die Software, Landesinnenminister preisen Palantir als Schlüssel zu „moderner Gefahrenabwehr“. Dass sie damit eine Technologie importieren, die selbst in den USA hinter verschlossenen Türen operiert und jede Offenlegung mit juristischen Mauern blockiert, scheint sie nicht zu schrecken. Genau darin liegt die eigentliche Gefahr: ein privates Unternehmen, das sich der öffentlichen Kontrolle entzieht, hat direkten Zugriff auf die sensibelsten Daten von Millionen Menschen.

Das Schreiben an den texanischen Generalstaatsanwalt zeigt deshalb in aller Klarheit, wie Palantir funktioniert: absolute Intransparenz als System. Alles, was offenbart werden könnte, wird als Bedrohung definiert – für Wettbewerb, für Mitarbeiter, für Patienten, für die nationale Sicherheit. Alles, was geheim bleibt, sichert Macht, Einfluss und Milliardenumsätze. Für die Öffentlichkeit ist dieses Dokument ein Beleg dafür, wie eng sich ein privater Konzern mit staatlichen Strukturen verschränkt hat und wie gefährlich diese Abhängigkeit werden kann. Denn wenn Palantir schon bei einem Krebszentrum wie M.D. Anderson jede Offenlegung blockiert, was geschieht erst bei Geheimdiensten, Polizei oder Militär? Deutschland liefert die Antwort: Nur durch die Intervention des höchsten Gerichts wurde verhindert, dass Palantir zum Standardwerkzeug der Polizei in mehreren Bundesländern wird. Und doch zeigt der Druck der Sicherheitsbehörden, dass der Kampf um Transparenz längst nicht gewonnen ist.

Palantir selbst hat die Spielregeln klargestellt: Wir dürfen nichts wissen. Und genau darin liegt die Mauer des Schweigens, die den Konzern schützt – und die Demokratie schwächt.

Charles „Chuck“ Borges, Chief Data Officer der Sozialbehörde SSA, erkannte die Tragweite. Er schrieb Memos, verschickte dringliche Anfragen, warnte seine Vorgesetzten. Er sprach vom schlimmsten Szenario: dass man allen Amerikanern neue Sozialversicherungsnummern ausstellen müsste, weil die alten kompromittiert wären. Seine Nachforschungen bestätigten die schlimmsten Befürchtungen: selbstverwaltete Cloud-Accounts ohne Aufsicht, Zugriff auf Live-Daten ohne Kontrolle, fehlende Protokolle, ignorierte Sicherheitsstandards.

Charles „Chuck“ Borges

Doch statt Antworten bekam er Schweigen. Die Rechtsabteilung wies Mitarbeiter an, auf seine Fragen nicht mehr zu reagieren. Borges stand allein, abgeschnitten, während im Hintergrund ein ungesichertes Schattenreich aus Daten wuchs – so groß, dass es den Kern der amerikanischen Identität bedrohte. Die Liste der gebrochenen Gesetze ist lang: der Privacy Act, das Bundesgesetz für Informationssicherheit FISMA, das Computer Fraud and Abuse Act. Doch in einem Klima, in dem politische Loyalität mehr zählte als Gesetzestreue, verhallten Paragraphen wie leere Worte.

Heute wissen wir: Über 300 Millionen Amerikaner sind Geiseln eines Projekts, das nie hätte existieren dürfen. Es begann mit einem Mausklick, einer Nacht-und-Nebel-Operation zur Umgehung eines Gerichtsbeschlusses. Es endete mit der Kopie einer Nation – in einer Cloud, deren Sicherheit niemand garantieren kann.

Charles „Chuck“ Borges hat sich entschieden, nicht zu schweigen. Er ist bereit, vor dem Kongress auszusagen, die ganze Dimension offenzulegen. Ein mutiger Mann. Er warnt: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, droht das größte Datenfiasko in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein Albtraum, der nicht mehr in den Drehbüchern von Hollywood spielt, sondern mitten in Washington, im Maschinenraum des amerikanischen Staates.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Borges ist wirklich sehr, sehr mutig.
Denn Palantir ist mächtig und genießt den Rückhalt der US-Regierung.

Ich hoffe, dass er eine eindrjngliche Aussage machen kann und bicht verschwinden.
Irgendwie erinnert mich das an eine Mischung aus „Minority Report“ und „Staatsfeind Nr.1“

Obwohl das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, welche Gefahr Palantir ist und welche Grenzen gesetzt werden müssen, zum Schutz der Bürger, wir weiter vehement und offensichtlich total naiv für den Einsatz geworben.

Palantir hat doch „versichert“, dass die erhobenen Daten auf den Servern in Deutschland gespeichert werden und Palantir keinen Zugriff hätte.
Wie lachhaft!
Natürlich hat Palantir über Codes und Backdoors vollen Zugriff.
Palantir lässt sich doch von deutschen Gesetzen nicht aufhalten.

Die Einzige Chance ist, Palantir nicht zum Einsatz zu bringen.
Nicht nur nicht ein bisschen, sondern gar nicht.

Wir müssen uns unabhängig von den USA machen und nicht auch boch blindlings in die Palantir Abhängigkeit rennen.

Danke Rainer für diese Recherche. Sie ist sicher sehr gefährlich.

Franky
Franky
1 Monat zuvor

Sehr guter Artikel. Danke.

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