Trump überschreitet weiter Grenzen – bis es kracht

VonRainer Hofmann

August 16, 2025

Als wäre Washington, D.C., ein aufmarschbereiter Übungsplatz und nicht die Hauptstadt einer föderalen Demokratie, verlegt das Weiße Haus die Machtachse immer stärker in Richtung Exekutive. Jüngstes Signal: West Virginia schickt hunderte Nationalgardisten nach Washington. Der schriftliche Beleg liegt vor. Unter dem Briefkopf der Nationalgarde heißt es unmissverständlich: „Die Nationalgarde von West Virginia unterstützt die Initiative von Präsident Trump, D.C. sicher und schön zu machen.“ Weiter steht dort, die Mission umfasse „die Bereitstellung missionskritischer Ausrüstung, spezialisierter Ausbildung und etwa 300 bis 400 qualifizierter Kräfte nach Weisung.“ Das ist nicht Symbolpolitik, das sind Personal, Gerät und Befehlsketten. Gouverneur Patrick Morrisey schlägt den Takt: „West Virginia ist stolz, an der Seite von Präsident Trump zu stehen, um Stolz und Schönheit in die Hauptstadt unserer Nation zurückzubringen.“ Es klingt, als sei D.C. ein renitentes Außengelände, das man „auf Linie“ bringen müsse. Parallel dazu hat die Bundesregierung erstmals eine Bestimmung des Home-Rule-Gesetzes aus den 1970er-Jahren gezogen, um in die Führung der städtischen Polizei einzugreifen – ein Tabubruch in einer Stadt, deren Selbstverwaltung ohnehin nur geliehen ist. Nach juristischem Gegenwind wird die Anordnung hastig umgeschrieben: Der vom Justizministerium favorisierte „Not“-Kommissar wird nun als „Beauftragter“ geführt, der der Bürgermeisterin Anweisungen erteilen darf, die der Generalbundesanwältin „notwendig und angemessen“ erscheinen.

Die Kulisse dazu wirkt wie aus einem Sicherheitsstaatshandbuch. Beamte und Einsatzkräfte einer ganzen Buchstabensuppe patrouillieren sichtbar: vom diplomatischen Sicherheitsdienst über Bundeskriminalermittler bis hin zu Verkehrspolizei und U.S. Marshals. Oben drauf rund 800 Nationalgardisten im Rahmen der „Taskforce für ein sicheres und schönes D.C.“. Gleichzeitig werden Obdachlosenlager geräumt – von Foggy Bottom bis nahe des Kennedy Centers. Der Präsident hatte angekündigt, Obdachlose „weit weg von der Hauptstadt“ zu bringen. Das klingt nicht nach Sozialpolitik, sondern nach Verdrängung. Auch die militärische Führung in West Virginia legt sich fest. Generalmajor Jim Seward sagt: „Diese Initiative entspricht unseren Werten von Dienst und Einsatz für die Gemeinschaften.“ In der Praxis bedeutet das, dass Soldaten eines Bundesstaates im Herzen der Nation Ordnungspolitik machen – während eine gewählte Stadtspitze zwischen juristischen Notbremsen und politischen Demütigungen eingeklemmt wird. Bürgermeisterin Muriel Bowser versucht zu beruhigen und widerspricht zugleich dem schleichenden Entzug der Selbstverwaltung: „Wenn wir zusammenhalten, kommen wir da durch … wir werden der ganzen Nation zeigen, wie es aussieht, für die amerikanische Demokratie zu kämpfen – selbst dann, wenn wir keinen vollen Zugang zu ihr haben.“ Eleganter lässt sich kaum sagen, dass D.C. als demokratische Unvollendete gerade gezielt ausgenutzt wird.

Das Manöver folgt einer einfachen Logik: Zuständigkeiten dehnen, Zustimmungen ersetzen, Zustände schaffen. Der Pressetext aus West Virginia gibt dafür den Ton vor – man stehe „bereit, die Partner in der National Capital Region zu unterstützen“. Partner aber sind hier nicht die Bürger der Stadt, sondern die Apparate der Exekutive. Föderalismus wird nicht als Balance gedacht, sondern als Verlängerung der Reichweite. Wer das für bloßes Muskelspiel hält, unterschätzt die Verschiebung. Sobald Nationalgarde, Bundesbehörden und eine politisierte Justiz gemeinsam an der Leitplanke der Selbstverwaltung sägen, wird aus „Sicherheit“ ein Vehikel der Machtausübung. Heute „sicher und schön“, morgen „geordnet und effizient“, übermorgen „notwendig und unumgänglich“. Der Weg ist kein Verwaltungsakt, er ist ein Dammbruch in Etappen. Amerikas Hauptstadt war immer ein demokratisches Halbfabrikat. Selten jedoch wurde diese Unvollkommenheit so kalkuliert ausgenutzt wie jetzt: ein Präsident, der die Stadt als Bühne und Beute begreift; ein Gouverneur, der Gardisten schickt; ein Justizapparat, der Befehlslinien neu zeichnet. So überschreitet Macht Grenze um Grenze – bis die Grenze zurückschlägt. Und wenn es so weit ist, wird niemand sagen können, man habe die Vorzeichen nicht schwarz auf weiß gelesen. Sie standen in einer Pressemitteilung, die versprach, Washington „sicher und schön“ zu machen – und zeigte, wie leicht beides zum Vorwand werden kann.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Danke Rainer
Davon hört und sieht man hier nichts in den Medien.

Wirklich traurig, dass der Leiter der Nationalgarde von West Virginia, Trumplinie folgt anstatt der Verfassung, auf die er seinen Eid abgelegt hat.
Er freut sich gegen die Bürger von DC vorzugehen, weil „dass ihren Werten entspricht“

Da kann man nur noch 🤮

Ob alle Nationalgardisten so denken?
Ich hoffe nicht.
Ich gabe ein Fünkchen Hoffnung, dass sie sich auf die Verfassung beginnen, wenn es hart auf hart kommt.

Washington DC ist ein Testlauf.
Weil aufgrund juristischer Feinheiten einiges möglich ist.
Aber es werden Linien, Gesetze und die Verfassung übertreten.
Nicht „im großen Ganzen“. Aber schön versteckt in kleinen Bereichen.
Das habt Ihr so toll recherchiert.

Es bleibt die bitter Erkenntnis, dass das alles nicht mehr friedlich zu beenden.

Eure Aufdeckungen sind fantastiscj.
Aber ich fürchte, dass sie zu langsam ankommen.

Trump steigert das Tempo.
Putin wird ihm wohl Tipps gegeben haben.

Und es ist eine hervorragende Ablenkung von den Epstein Files

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