Geister der Ordnung – Wie Trump und die AfD mit inszenierter Gewalt Politik machen

VonRainer Hofmann

August 7, 2025

Mit einem einzigen Post auf seiner Plattform Truth Social am 6. August 2025 hat Präsident Donald Trump deutlich gemacht, dass er bereit ist, in die Selbstverwaltung der Hauptstadt einzugreifen. Der Anlass: ein Fall mutmaßlicher Jugendgewalt, medial zugespitzt auf ein Bild eines angeblich blutverschmierten jungen Mannes – laut Trump das Opfer zweier 14-Jähriger, die aber niemand findet. Ohne behördliche Bestätigung erklärt der Präsident die Stadt Washington D.C. für gescheitert. In seiner Wortwahl klingt das wie ein Notstand, rechtlich kündigt er die „Föderalisierung“ an – also die Übernahme der städtischen Hoheit durch die Bundesregierung. Der Vorgang ist bemerkenswert, weil er juristisch wie politisch eine rote Linie überschreitet, die bislang in der amerikanischen Demokratie Bestand hatte: die Trennung von Bundesgewalt und lokaler Selbstbestimmung.

Trump behauptet, die Stadt könne ihre Sicherheitslage nicht mehr garantieren. Minderjährige Täter wüssten, dass ihnen nichts drohe, Polizei und Justiz seien zahnlos. Wörtlich fordert er, Jugendliche ab 14 Jahren künftig wie Erwachsene strafrechtlich zu verfolgen – inklusive langer Haftstrafen. Eine Forderung, die im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung auf Bundes- wie auf Staatsebene steht. Zwar kennen einzelne Bundesstaaten Ausnahmen, in denen Jugendliche dem Erwachsenenstrafrecht unterstellt werden können. Eine pauschale Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 14 Jahre jedoch – als Standard – würde gegen gefestigte Präzedenzfälle des Supreme Court verstoßen. Vor allem aber verknüpft Trump diese Forderung unmittelbar mit dem Anspruch, in die Selbstverwaltung der Hauptstadt einzugreifen. Die „Föderalisierung“ einer Stadt ist in der US-Verfassung nicht klar definiert. Meist meint sie die Übertragung lokaler Befugnisse auf Bundesbehörden – etwa in Katastrophen- oder Gefahrenlagen. Washington D.C. nimmt dabei eine Sonderrolle ein: Die Stadt besitzt keine volle Eigenstaatlichkeit, sondern untersteht formell dem Kongress. Seit 1973 wird sie jedoch im Rahmen des Home Rule Act von einer gewählten Regierung geführt. Trumps Ankündigung, sich über diese Struktur hinwegzusetzen und D.C. direkt zu führen, stellt einen beispiellosen Eingriff dar. Juristisch müsste eine solche Maßnahme entweder durch den Kongress legitimiert oder auf eine nationale Notstandskompetenz des Präsidenten gestützt werden – etwa über den Insurrection Act oder das District of Columbia Emergency Act. Für beides aber gibt es derzeit keine tragfähige Grundlage.

Der Fall, auf den sich Trump beruft, ist bislang nicht dokumentiert. Es gibt keine bestätigte Anzeige, keine Verhaftung, keine offizielle Aussage der Polizei. Auch zur Identität des angeblich verletzten Mannes ist nichts belastbar bekannt. Dennoch nutzt der Präsident diesen mutmaßlichen Einzelfall als Aufhänger für einen weitreichenden politischen Eingriff. In der Sprache eines Exekutivbefehls kündigt er an, die Stadtstruktur umzubauen. Damit verlässt er den Rahmen föderaler Gewaltenteilung – und rückt in die Nähe einer zentralistischen Machtordnung. Die Begriffswahl ist dabei nicht zufällig. „Föderalisierung“ klingt verwaltungstechnisch, beinahe harmlos. Doch gemeint ist die Außerkraftsetzung lokaler Autonomie. Im Hintergrund steht ein altbekanntes Muster: das gezielte Aufladen eines Bedrohungsszenarios, um exekutive Befugnisse zu stärken. Der Bezug auf jugendliche Gewalttäter dient nicht dem Schutz, sondern der Symbolik. Die demokratisch verwaltete Stadt erscheint als gefährlich – der Präsident als letzte Instanz der Ordnung. Es ist das klassische Kalkül autoritärer Mobilisierung: Der Ausnahmezustand beginnt nicht mit der Gewalt, sondern mit ihrer politischen Inszenierung.

Trumps Vorstoß ist keine impulsive Reaktion. Er ist Teil einer strategischen Positionierung vor den Midterms 2026, in denen der Präsident seine Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat sichern will. Die vermeintlich entgleiste Großstadt wird dabei zur Projektionsfläche einer größeren Erzählung: dass Amerikas Zerfall nur mit harter Hand zu stoppen sei – und dass nur eine loyale Legislative die Umsetzung dieser Ordnung garantieren könne. Der Auftritt in der Hauptstadt ist damit weniger eine Sicherheitsmaßnahme als ein politisches Signal. Und ein Testfall dafür, wie weit sich institutionelle Grenzen im Ernstfall verschieben lassen. Auffällig ist: Auch die AfD arbeitet mit solchen Konstruktionen. In ihren Strategiepapieren wird immer wieder der Eindruck vermittelt, Deutschland sei durch Jugendgewalt, Migration oder linksgrüne Bürokratien im Zustand der Auflösung. Die politische Konsequenz ist stets die gleiche: mehr Zentralismus, weniger Pluralismus, mehr Durchgriffsrechte für Polizei und Bundesexekutive – notfalls auf Kosten der föderalen Ordnung. Wie Trump fordert auch die AfD eine Herabsetzung der Strafmündigkeit, eine Entrechtung von Geflüchteten, die „Rückgewinnung“ staatlicher Souveränität – meist durch autoritäre Eingriffe in bestehende Strukturen. Und wie bei Trump reicht oft der Anschein eines Vorfalls: ein Video, ein Bild, eine Story aus den sozialen Medien, die sich leicht instrumentalisieren lässt. Der Wahrheitsgehalt spielt eine nachgeordnete Rolle. Es genügt, dass das Narrativ funktioniert.

Fakt ist: In einer Demokratie muss Aufklärung den höchsten Stellenwert haben. Solche Vorfälle zeigen, dass man sie aufdecken und transparent machen muss. Denn das Ergebnis, wenn man es nicht tut, ist genau das: ein angeblicher Angriff, ein Bild, das durch die Netzwerke gejagt wird – und Schulterzucken bei den Polizeibehörden. Auch die AfD arbeitet mit solchen Geistern, und das ist das eigentliche Geheimnis dieser Rechtspopulisten: Es muss gar nichts geschehen, solange es nur perfekt erfunden ist. Und genau das muss man aufdecken. Denn irgendwann werden ihnen ihre eigenen Geister zum Verhängnis – und zwar nicht symbolisch, sondern ganz real, in der Logik der politischen Eskalation, die sie selbst heraufbeschworen haben.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Mir fällt dazu ein Satz ein, der oft gleich am Anfang, des US Jurastudiums genannt wird.
„Es kommt darauf an, wer die bessere Geschichte erzählt im Verfahren. Und das ist nicht unbedingt die Wahrheit“

Angeblich handelt es sich bei dem „Opfer“ um einen 19 jährigen DOGE Mitarbeiter.
Also gleich doppelt politisiert.
Ein Angriff auf die Regierung in der kriminellen Hauptstadt DC …. perfekt konstruiert.

Seit dem Schriftzug Black Lives Matter in DC ist Trump die Selbstverwaltung ein Dorn im Auge.
Und wir wissen alle, wie rachsüchtig er ist.

Und nichts anderes ist es.
Ein Rachefeldzug.
Gegen eine Stadt die von Demokraten regiert wird.

Er wird einen Grund finden.
Urteile und Gesetze haben ihn bisher nicht aufgehalten.
Der Kongress ist in republikanische Hand. Vielen ist der Sinderstatus von DC schon lange ein Dorn im Auge.

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Und die Demokratie wird weiter mit Füßen getreten, ebenso die Verfassung.

Aber erschreckend, welche Kommentare darunter stehen.

https://www.facebook.com/100059294813638/posts/1116880676965082/

Und für die, die kein FB haben
https://edition.cnn.com/2025/08/07/politics/trump-census-immigration

Pandar
Pandar
3 Monate zuvor

Guter Bericht.

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