Trump ist der amerikanische Razvedchik

VonRainer Hofmann

Mai 22, 2025

Es beginnt mit einer List. Einer vermeintlich streng geheimen Depesche, versehen mit einem Decknamen wie „Frank“ oder „John“, dem Stempel „Kopie Nr. 1“ und dem Zusatz „Deklassifiziert“. Sie erscheint in einem Magazin, das sich Razvedchik nennt – ein offizielles, vom russischen Auslandsgeheimdienst SVR herausgegebenes Blatt, das seinen Namen nicht zufällig trägt: Razvedchik bedeutet „Spion“, „Aufklärer“, oder in diesem Fall besser gesagt: Desinformationsakteur im Tarnanzug. Was dort steht, klingt nach Spionagethriller, nach exklusivem Wissen, nach finsteren Operationen jenseits der Sichtbarkeit. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Es ist keine Aufklärung. Es ist Theater. Eine politische Kulisse, errichtet aus Phrasen, die nach Tiefe klingen, aber nichts als Propaganda sind.

In Russland wird so ein Feindbild geschaffen: Der Westen als Verschwörer, die CIA als Puppenspieler des Terrors, Selenskyj als Marionette, Frankreich als heimlicher Kriegstreiber. Es sind Geschichten ohne Beweise, ohne Quellen, aber mit dramatischem Tonfall – und mit einer klaren Botschaft: Russland wird angegriffen. Russland muss sich verteidigen. Der Spion dient hier nicht der Erkenntnis, sondern der Mobilisierung. Und das Erstaunliche ist: Es ist genau die Methode, mit der auch Donald Trump seit Jahren Politik macht.

Trump braucht keine staatliche Geheimdienstzeitung. Er hat Truth Social. Fox News. Talkradio. Und Millionen Follower, die glauben, was er sagt – nicht, weil es stimmt, sondern weil es sich anfühlt, als könnte es stimmen. Wie die fiktiven Agenten in Razvedchik behauptet Trump, dunkle Mächte hätten die Kontrolle übernommen: der „tiefe Staat“, das FBI, Demokraten, Migranten, Richter, Lehrer, Wahlhelfer. Wie in Russland gibt es auch in Trumps Welt keine neutralen Institutionen mehr, nur noch Freund oder Feind. Wer widerspricht, gehört zur Verschwörung.

Und wie Razvedchik inszeniert auch Trump eine Scheinwelt aus Fragmenten, Codes und Dramaturgie. Wenn er über „Top Secret“-Akten spricht, über Whistleblower, über „geheime“ Wahlmaschinen, wenn er von einer angeblichen Rebellion spricht, die nur er aufhalten könne, dann ist das kein Zufall. Es ist bewusst konstruiert – wie ein Spionageroman, in dem er selbst die Hauptrolle spielt. Es geht nicht darum, Menschen zu überzeugen. Es geht darum, sie zu destabilisieren. Die Wahrheit ist dabei nicht Mittel, sondern Hindernis. Sie muss entwertet werden.

In diesem System genügt ein Gerücht, um eine Nachricht zu übertönen. Eine Lüge, um Vertrauen zu erschüttern. Ein Meme, um die Realität zu ersetzen. Das Ziel ist nicht, Recht zu haben. Das Ziel ist, die Deutungshoheit zu besitzen – koste es, was es wolle. Trump wie der Kreml setzen auf diese Form der Kontrolle, die sich nicht durch Fakten, sondern durch Narrative stabilisiert. Sie funktioniert, weil sie einfach ist. Weil sie Wiederholung belohnt. Und weil sie die komplizierte Wirklichkeit durch ein klares Gut-und-Böse ersetzt.

Dabei sind die Mechanismen identisch: Der Feind wird externalisiert, Kritik wird pathologisiert, und die eigene Macht wird als Schutz vor dem drohenden Untergang verkauft. In Russland ist der Westen die Gefahr. In Trumps Amerika sind es die Anderen – die Medien, die Migranten, die „Woken“, die Wissenschaftler. Wer widerspricht, wird nicht gehört, sondern vernichtet – rhetorisch, juristisch, öffentlich. Demokratie ist in beiden Fällen nur noch Kulisse. Was zählt, ist Loyalität.

Und so ist Trump in vielerlei Hinsicht tatsächlich der amerikanische Razvedchik. Nicht, weil er Spion wäre – sondern weil er denselben Zugriff auf Wirklichkeit betreibt wie ein Geheimdienst, der keine Wahrheit sucht, sondern eine Wahrheit simuliert. Seine Politik ist nicht faktenbasiert, sondern stimmungsgesteuert. Seine Rhetorik ist kein Diskurs, sondern ein Angriff. Sein Amerika ist kein Staat mehr, sondern eine Bühne. Und auf dieser Bühne gilt: Was sich wie Wahrheit anfühlt, ist auch eine.

Der Unterschied zu Russland liegt nicht in der Methode, sondern im Ziel. Der Kreml wendet diese Taktik gegen andere. Trump wendet sie gegen sein eigenes Land. Doch das Resultat ist ähnlich: Misstrauen, Fragmentierung, und am Ende ein Zustand, in dem niemand mehr weiß, wem man glauben soll. Wer das erreicht hat, hat gewonnen – nicht weil er recht hat, sondern weil er jede Alternative zerstört hat.

Trump hat das Informationssystem Amerikas zu seinem persönlichen Instrument gemacht. Er hat die Grenzen zwischen Tatsache und Fiktion eingerissen, und aus dieser Trümmerlandschaft einen Thron gebaut. Und wer in diesem neuen Raum regiert, muss keine Beweise mehr liefern. Nur Behauptungen.

In Russland heißt das Razvedchik. In Amerika heißt es Trumpismus. Doch es ist dieselbe Sprache: Die Sprache der Lüge, der Angst, der Macht. Und wer sie einmal verinnerlicht hat, für den ist Wahrheit keine Kategorie mehr – sondern ein Hindernis auf dem Weg zur absoluten Erzählung.

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