Zwischen Eid und Gewissen – Soldaten gegen den Präsidenten

VonRainer Hofmann

Oktober 28, 2025

Chicago – In einem Land, das seine Soldaten gern als Helden feiert, ist Widerspruch ein Akt der Courage. Zwei ehemalige Angehörige der Illinois National Guard haben diese Grenze nun überschritten – und öffentlich erklärt, dass sie sich Donald Trumps Befehl widersetzen würden. Sie wollen nicht Teil jener Operation sein, die den Präsidenten immer tiefer in den Einsatz des Militärs gegen die eigene Bevölkerung führt. Beide, die lange in der Nationalgarde dienten, sprechen nun offen über ihr Gewissen – auch nachdem sie den Dienst quittiert haben.

„Es ist entmutigend, gezwungen zu werden, gegen die eigenen Nachbarn vorzugehen“, sagt Staff Sergeant Demi Palecek, eine Latina und Kandidatin für das Repräsentantenhaus im 13. Distrikt von Illinois. „Es fühlt sich illegal an. Dafür haben wir nicht unterschrieben.“

Staff Sergeant Demi Palecek

Palecek und ihr Kamerad, Captain Dylan Blaha, ebenfalls Kandidat für denselben Wahlkreis, sind keine Unruhestifter, keine Außenseiter. Beide haben gedient, beide kennen die Regeln des Systems, und doch haben sie beschlossen, nicht mehr zu schweigen. Ihre Stimme steht für eine wachsende Unruhe in den Reihen der Nationalgarde, seit das Weiße Haus 500 Soldatinnen und Soldaten – darunter auch Einheiten aus Illinois und Texas – unter Bundeskommando gestellt hat, um in Chicago sogenannte „Einwanderungseinrichtungen“ zu sichern. Blaha bringt die moralische Zerrissenheit auf den Punkt: „Ich habe mich verpflichtet, das amerikanische Volk zu verteidigen und die Verfassung zu schützen. Aber wenn jemand an der Macht ist, der aktiv unsere Rechte demontiert – Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit – dann ist es verdammt schwer, heute noch Soldat zu sein.“

Ihre Entscheidung hat Konsequenzen. Wer einem rechtmäßigen Befehl unter Bundesbefehl die Gefolgschaft verweigert, riskiert in den USA viel – von der unehrenhaften Entlassung bis zur Haftstrafe. Doch Palecek zögert nicht: „Absolut. Ich würde Nein sagen. Ich werde nicht gegen meine Familie, meine Kultur, meine Gemeinschaft vorgehen. Jetzt ist der Moment, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.“ Blaha zieht historische Parallelen, die im heutigen Amerika wieder erschreckend aktuell klingen: „Schauen wir in die 1930er und 40er Jahre nach Deutschland. Es gibt einen Punkt, an dem Schweigen Mittäterschaft wird.“

Szenen, wie man diese nur aus dem Krieg kennt

Ein Bundesrichter hat die geplante Stationierung der Nationalgarde in Chicago vorerst gestoppt – eine Atempause in einem Land, das sich zunehmend an den Ausnahmezustand gewöhnt. Doch Palecek und Blaha wissen, dass der Druck bleibt. Beide werfen der Trump-Regierung vor, das Militär als innenpolitisches Werkzeug zu missbrauchen. „Wir werden als Bauernopfer benutzt“, sagt Palecek. Blaha ergänzt: „Wir sind ausgebildet, Kriege zu führen – nicht, ICE zu assistieren, um Gewalt in unseren Städten zu verbreiten. Das ist beschämend.“

Hinzu kommen materielle Demütigungen: Viele der Soldaten sind nur für 29 Tage im Einsatz – zu kurz, um Anspruch auf vollen Sold oder medizinische Leistungen zu haben. „Sie werden nicht einmal bezahlt“, sagt Blaha. „Viele wollen gar nicht dort sein. Sie haben Angst.“ Die Nationalgarde Illinois korrigierte später, dass die Befehle auf 60 Tage ausgeweitet wurden. Doch die Unsicherheit bleibt. Vor allem für jene rund 200 Angehörigen der Garde, die keine US-Staatsbürger sind, sondern mit Green Card dienen. Für sie bedeutet jeder falsche Schritt, jedes Wort gegen den Präsidenten, den möglichen Verlust ihrer Aufenthaltsrechte.

Captain Dylan Blaha

„Sie sind in Panik“, sagt Palecek. „Sie müssen wählen zwischen ihrer Gemeinschaft und ihrer Zukunft in diesem Land.“ Programme wie „Parole in Place“, die Angehörige von Soldaten vor Abschiebung schützen sollen, liegen auf Eis oder werden abgelehnt. Paleceks eigener Antrag blieb unbearbeitet. „Und dann sagen sie, ‚Warum machen sie es nicht auf legale Weise?‘ – Aber genau das tun sie“, sagt sie bitter. Das Sprechen hat Folgen. Blaha verlor vorübergehend seine Sicherheitsfreigabe, nachdem er ein Video veröffentlicht hatte, in dem er Soldaten dazu aufrief, unrechtmäßige Befehle zu verweigern. „Sie haben meine Worte verdreht“, sagt er. „Ich habe 30 Tage, um mich schriftlich zu rechtfertigen.“

Captain Dylan Blaha

Auch Palecek wurde zur Zielscheibe. Todesdrohungen, Hetze, Einschüchterung. „Irgendwann frisst es dich auf“, sagt sie leise. „Aber Schweigen ist keine Option.“ Blaha nickt. „Wir wurden ausgebildet, für das einzustehen, woran wir glauben, und für das amerikanische Volk zu kämpfen.“ Palecek, einst stolz auf ihre Uniform, empfindet heute Scham. „Ich war immer stolz auf meinen Dienst. Doch im Moment schäme ich mich. Es ist beschämend, Soldatin zu sein, wenn du weißt, dass dein Uniformärmel gegen deine eigenen Leute gerichtet wird.“ Beide warnen vor einer gefährlichen Normalisierung. „Es ist die langsame Gewöhnung daran, Militär in amerikanischen Städten einzusetzen“, sagt Blaha. „Wenn er den Ausnahmezustand nur oft genug erklärt, wird es irgendwann als normal gelten.“

Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt Trumps Einsatz der Nationalgarde in Städten ab. Doch 42 Prozent befürworten ihn – ein Riss, der durch das ganze Land geht, Trumps Desinformationskampagnen tragen erheblich dazu bei. Und während die Regierung mit Schlagworten wie „Sicherheit“ operiert, zeigen Zahlen aus Chicago ein anderes Bild: Die Gewaltverbrechen sind 2025 zweistellig zurückgegangen. In der Rangliste amerikanischer Städte liegt Chicago bei der Kriminalität nur auf Platz 80. Für Blaha ist das Fazit eindeutig: „Das hier geht nicht um Sicherheit. Es geht um Kontrolle.“

Palecek sagt: „Sie greifen die Gemeinschaften an, die dieses Land aufgebaut haben. Gegen meine Kultur, meine Nachbarn eingesetzt zu werden – das ist widerwärtig.“ Ihre Warnung ist klar, fast prophetisch: „Heute ist es Chicago. Morgen kann es überall sein.“ Und so stehen sie da – zwei Soldaten, die sich weigern, blind zu gehorchen. Ihr Eid galt der Verfassung, nicht einem Mann. Ihre Loyalität gilt den Menschen, nicht der Macht. In einer Zeit, in der das Gewissen zur Ausnahme geworden ist, verteidigen sie den letzten Rest davon – in Uniform.

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