Wenn man als Amerikaner nur Spülmittel kaufen will – und in Handschellen endet

VonRainer Hofmann

Oktober 17, 2025

Chicago, East 106th Street. Ein grauer Vormittag, wie es ihn in dieser Stadt zu Tausenden gibt. Im Walgreens riecht es nach Pappe, Desinfektionsmittel und billigem Shampoo. Menschen holen Rezepte ab, Kinder laufen durch die Gänge, irgendwo dudelt leise Popmusik. Und dann, innerhalb von Sekunden, kippt die Realität. Ein älterer weißer ICE-Beamter packt einen Schwarzen Mann, reißt ihn zu Boden und schreit ihn an, weil er „gerannt“ sei. Kein Ausweis, keine Erklärung, kein Haftbefehl – nur ein Moment, der zeigt, wie dünn die Linie geworden ist zwischen Staat und Willkür. Eine Frau ruft verzweifelt: „Er ist US-Bürger! Er ist Amerikaner! Er ist mein Schwager!“ Doch niemand hört hin.

Der Filialleiter schließt die Türen. „Wegen allem, was mit ICE zu tun hat“, sagt er leise. Die Kunden werden hinausgebeten, der Einkauf wird zur Evakuierung. „Das ist verrückt“, murmelt eine Frau, die einfach nur Spülmittel kaufen wollte. „Er meinte, sie hätten wegen irgendeiner ICE-Sache geschlossen. Ich wollte nur Spülmittel.“ Das ist Amerika im Jahr 2025. Ein Land, in dem selbst ein Gang zu Walgreens politisch ist. Ein Land, das von Angst regiert wird – nicht vor Terror, sondern vor dem Nachbarn. Wo Hautfarbe und Bewegung genügen, um als „Verdächtiger“ zu gelten.

ICE nennt das „Operation Integrity“, ein Begriff, der zynischer kaum sein könnte. Die Beamten sollen angeblich „Illegale mit Gewaltpotenzial“ festnehmen. In Wahrheit reichen oft Zufall, Hautfarbe und der falsche Ort. Seit Trump seine „Null-Toleranz“-Offensive ausgeweitet hat, werden vermehrt Menschen ohne jeden Migrationshintergrund kontrolliert – Bürger, Arbeiter, Rentner. Nur weil sie „nicht passen“. Die Szene in Chicago ist kein Einzelfall. Sie steht für eine Atmosphäre, in der Behörden längst nicht mehr unterscheiden, sondern verwalten – Menschen, Angst, Macht. Die Grenzen zwischen Recht und Übergriff verschwimmen. Und die Öffentlichkeit hat sich an das Ungeheuerliche gewöhnt.

Dass ein Mann, der Spülmittel kaufen wollte, plötzlich auf dem Boden liegt, ist kein Unfall. Es ist das logische Ende einer Politik, die seit Jahren auf Entmenschlichung basiert. Ein System, das in Menschenkategorien denkt – „legal“ oder „illegal“, „echt“ oder „fremd“ –, bis niemand mehr sicher ist. Und während sich die Szene im Laden abspielt, fragt man sich, wer hier eigentlich die Kontrolle verloren hat: die, die fliehen, oder die, die jagen. Vielleicht ist das die wahre Definition des neuen Amerikas – ein Land, in dem das einfachste Bedürfnis, ein Fläschchen Spülmittel zu kaufen, zum Test wird, ob man im richtigen Körper geboren wurde.

East 106th Street. Ein Laden, ein Beamter, ein Mann am Boden. Und eine Frau, die ruft: „Er ist Amerikaner!“ – als müsste man das überhaupt noch sagen.

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Lea
Lea
19 Stunden zuvor

 😡 

Anna-Maria Wetzel
Anna-Maria Wetzel
8 Stunden zuvor

Während ich von dieser unsäglichen Methode des ICE lese, fällt mir wieder der Spruch von Friedrich Merz zu seiner angeblichen Wahrnehmung vom Straßenbild in deutschen Städten ein. Ich sehe auffällige Parallelen von Trumps Politik und der CDU/CSU Politik in Deutschland. Wie sehr sehnt man sich bei der Union nach Autokratie? Dobrinth schrammt mit seiner Migrationspolitik an den Grenzen der Verfassung. Fachkräfte meiden deshalb schon Deutschland und Migranten, die mitten in der Ausbildung stehen, werden abgeschoben. Wem nützt dieses perfide Spiel?

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Stunden zuvor

War er von ICE?
Oder lief da ein alter KKK Anhänger mit?
Da ICE seltenst Marken, Abzeichen oder ähnliches tragen, kann sich Jeder darunter mischen und seinem Hass freien Lauf lassen.
Wohlwissend, dass Trump die schützende Hand über ihn hält.

Es dauert vermutlich nicht mehr lange, bis es wieder zur Segregation kommt.

Weiße hier, Farbige dort.
Alles unter dem Deckmantel des Schutzes für die Bevölkerung.
Weil man die „kriminellen Subjekte“ (das ist ja die neue Sprache der US-Regierung) dann viel besser im Blick hat und unschuldige weiße US-Bürger nicht versehentlich in die Schußlinie geraten.

Es ist so abscheulich, dass mur die Worte fehlen.

Über die Unmenschlichkeit in den USA und die Rhetorik in Deutschland.

Last edited 3 Stunden zuvor by Ela Gatto
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