Es beginnt leise. Mit einer gekündigten E-Mail-Adresse. Mit einem Labor, das plötzlich still steht. Mit einem Antrag, der unbeantwortet bleibt. Und doch ist es eine tektonische Verschiebung: Amerikas wissenschaftliche Seele – ausgedünnt, zerschlagen, vertrieben.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump im Januar hat seine Regierung begonnen, das wissenschaftliche Rückgrat der Vereinigten Staaten zu durchtrennen. Milliardenkürzungen für NIH, NSF und NASA – für viele nur Kürzel, für Forschende das Fundament ihrer Existenz. Und während in Washington von „Effizienz“ die Rede ist, stehen in Madison, New York oder San Diego Mikroskope still. Keine Förderbescheide, keine Perspektiven, keine Zukunft. Doch was Amerika verliert, sieht die Welt. In Frankreich, Australien, Kanada – überall dort, wo die Idee von Erkenntnis noch nicht unter Haushaltsvorbehalt steht – beginnt ein neues Kapitel. Ein weltweiter Wettlauf, nicht um Geld, sondern um Geist. Aix-Marseille wirbt mit einem „sicheren Ort für Wissenschaft“, die EU macht akademische Freiheit zum Gesetz, Australien lockt mit Exzellenzpaketen. Und in Toronto posieren kanadische Minister mit Eishockeytrikots – als Symbol für ein neues Programm namens „Canada Leads“, das die klügsten jungen Biomediziner des Nordens gewinnen will.
„Was sie suchen, ist nicht Geld“, sagt Eric Berton, Präsident der Universität Aix-Marseille. „Sie wollen ihre Forschung fortsetzen – und ihre Freiheit bewahren.“ Und so beginnt das große Schweigen in den USA – und das vorsichtige Sprechen andernorts. In Deutschland verzeichnet das Lise-Meitner-Programm der Max-Planck-Gesellschaft dreimal so viele Bewerbungen aus den USA wie im Vorjahr. In Frankreich kommen fast die Hälfte der Anfragen für das neue Aufnahmeprogramm von Forschenden aus Kalifornien, Boston, Texas.
Es ist kein klassischer „brain drain“ – noch nicht. Aber es ist ein Riss. Und durch ihn tritt etwas ans Licht, das lange als selbstverständlich galt: dass man in Amerika forschen konnte, ohne Angst vor politischen Zensuren, ohne ökonomischen Kahlschlag. Nun zweifeln junge Wissenschaftlerinnen wie Marianna Zhang daran. Ihr Stipendium zur Erforschung von Rassismus und Geschlechterstereotypen wurde gestrichen – und mit ihm die Botschaft, dass Amerika diese Fragen vielleicht nicht mehr hören will.
„Es fühlt sich an, als sei mein Thema nicht mehr gewollt“, sagt Zhang. Und sie fragt sich: Geht man einfach? Verlässt man Freunde, Familie, eine ganze Lebenswelt – nur um weiterdenken zu dürfen? Auch Brandon Coventry, Neurowissenschaftler in Wisconsin, steht vor dieser Frage. „Ich wollte nie weg“, sagt er. „Aber das hier ist eine ernsthafte Option geworden.“
Es ist ein Moment der weltweiten Neuverteilung. Die USA finanzierten zuletzt 29 % der globalen Forschungsausgaben. Und auch wenn viele Programme weiterlaufen – das Vertrauen ist angegriffen. „Wissenschaft ist ein globales Unterfangen“, sagt Patrick Cramer von der Max-Planck-Gesellschaft. „Wenn die USA wegbrechen, leidet das Ganze.“ Denn was verloren geht, ist mehr als nur Wissen. Es ist das kollektive Gedächtnis der Menschheit – gespeichert in offenen Datenbanken, geteilt in internationalen Teams, genährt durch einen Geist, der Grenzen ignoriert. Wenn dieser Geist eingeschränkt wird, verliert nicht nur eine Nation, sondern eine Epoche.
Und vielleicht ist das die leise Tragik dieser Zeit: Dass Wissenschaftler nicht wegen neuer Horizonte reisen, sondern weil ihr bisheriges Zuhause plötzlich zu eng geworden ist. Dass es nicht die Sehnsucht nach mehr ist – sondern die Angst vor weniger. Der Exodus beginnt im Inneren. Mit der Frage: Wo darf ich noch forschen? Wo darf ich noch fragen? Und mit dem stillen Entschluss, dass man dorthin geht, wo die Antworten wieder möglich sind.
