San Francisco, ein später Freitagabend bzw. früher Samstagmorgen, und plötzlich steht die Uhr still für über eine Million Menschen. Edward Chen, Bundesrichter im Northern District of California, hat die Trump-Regierung in die Schranken gewiesen. Mit einem Schlag sind die Massenabschiebungen gestoppt, zumindest vorerst. Das Urteil betrifft rund 600 000 Venezolaner, deren Schutzstatus im April ausgelaufen war oder in wenigen Tagen geendet hätte, und weitere 500 000 Haitianer. Sie dürfen bleiben, sie dürfen arbeiten, sie dürfen aufatmen.

Chen wählte scharfe Worte. Er sprach davon, dass Heimatschutzministerin Kristi Noem die Betroffenen „zurückschicken wollte in Zustände, vor denen selbst das Außenministerium warnt“. Das war nicht nur ein juristischer Tadel, es war eine moralische Anklage. Der Richter nannte Noems Entscheidung „willkürlich und unverhältnismäßig“, eine Überschreitung der Befugnisse. Die Regeln für das Temporary Protected Status-Programm, kurz TPS, seien über Jahrzehnte hinweg mit Sorgfalt, mit Analysen und zwischenbehördlichen Beratungen angewendet worden. „Bis jetzt“, schrieb Chen – ein Satz wie ein Donnerschlag. Für Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und Journalisten ist dieses Urteil mehr als nur ein juristischer Sieg – es ist die Bestätigung eines monatelangen Kampfes. Seit Wochen haben wir selbst zwei Rechercheure darauf angesetzt, Datensätze zu durchforsten, Akten zusammenzutragen, sie an Anwälte weiterzuleiten. Ziel war es, das Bild geradezurücken, das von Regierungsseite gezeichnet wurde: jenes Zerrbild, in dem TPS-Inhaber als Sicherheitsrisiko dargestellt werden. Die nüchternen Zahlen erzählen eine andere Geschichte und die ganze Widerstandsarbeit beginnt mehr und mehr Früchte zu tragen. Über 95 Prozent dieser Menschen haben keinerlei kriminellen Hintergrund. Es sind Pflegekräfte, Fahrer, Bauarbeiter, Restaurantangestellte, Menschen, die den USA jeden Tag buchstäblich den Rücken freihalten.

Die persönlichen Schicksale, die in den Gerichtsdokumenten auftauchen, sind von schmerzhafter Klarheit. Eine Restaurantmitarbeiterin aus Indiana, Mutter einer kleinen Tochter, wurde nach einem Routine-Termin bei der Einwanderungsbehörde im Juli nach Venezuela abgeschoben. Ihr Mann, Vorarbeiter auf dem Bau, steht nun vor der Wahl: Geld verdienen oder das Kind versorgen. Ein FedEx-Mitarbeiter wurde in seiner Uniform festgenommen, schlief zwei Wochen lang auf dem Boden eines Abschiebegefängnisses in Angst, nach El Salvador gebracht zu werden – in ein Land, das für seine riesigen Straflager berüchtigt ist. „Ich bin kein Krimineller“, schrieb er in seiner eidesstattlichen Erklärung. „Wir sind hier, um zu arbeiten und beizutragen, nicht um unsere Familien zerbrechen zu sehen.“ Die Regierung verteidigt ihre Politik weiter. In einer Mitteilung sprach das Heimatschutzministerium von einem „missbrauchten, politisierten Amnestieprogramm“ und geißelte „nicht gewählte Aktivistenrichter“, die den Willen des Volkes blockierten. Man werde, so heißt es, alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um den Kurs fortzusetzen. Doch selbst ein Berufungsverfahren kann nicht ausradieren, was dieser Tag bedeutet: ein juristischer Dammbruch inmitten einer Politik, die seit Trumps zweiter Amtszeit systematisch legale Aufenthaltsprogramme beendet hat – Humanitarian Parole, TPS, alles stand auf der Streichliste.
Man könnte sagen, dieser Richterspruch ist mehr als nur ein Verwaltungsakt – er ist ein Aufbegehren des Rechtsstaats gegen eine Exekutive, die die Schwächsten zur Manövriermasse gemacht hat. Für einen Moment hält das Land den Atem an, so wie die Betroffenen, die noch gestern zwischen Angst und Hoffnung schwebten. Vielleicht wird dieses Urteil nicht das letzte Wort sein, vielleicht wird der Supreme Court wieder eingreifen, wie er es im Mai tat. Aber an diesem Abend in San Francisco liegt eine andere Wahrheit in der Luft: dass man Millionen Menschen nicht einfach ausradieren kann, ohne dass sich jemand vor sie stellt.
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Die Justiz muss so weiter machen und sollte der Supreme Court alles ohne Begründung einkassieren, protestieren und jede Supreme öffentlich analysieren. Zumindest erfährt das dann die Welt und reagiert. Sind ja nicht alle so abhängig wie die EU. Mit dem Zwergenaufstand der 26 Willingen Staaten der EU, eine Friedenstruppe aufzubauen für die Ukraine, hat vorher auch keiner mit gerechnet.
👍
Diese mutigen Richter sind wahre Helden.
Sie stellen das Recht über die einschüchternde Politik.
So wie es eigentlich sein sollte. Aber seit Trump immer seltener ist.
Beleidigungen sind sicher das „geringste“ mit dem sich die mutigen Richter konfrontiert sehen.
Diffamierungen, Drohungen bis hinten zu offenen Morddrohungen. Nicht nur gegen die eigene Person, sondern gegen die gesamten Familie.
Es ist immer noch ein Unding, dass der Supreme Court seine Urteile nicht Begründung muss.
Das gehört doch einfach dazu
👍