Ein Bundesrichter in Chicago hat dem Exekutivdrang der Regierung Trump Grenzen gesetzt. In einem Urteil, das weit über Illinois hinaus Bedeutung hat, erklärte er die Verhaftung von 26 Menschen durch Einwanderungsbeamte im Januar für rechtswidrig. Es war die frühe Phase von Trumps zweiter Amtszeit, als die neue Administration die Razzien des Heimatschutzministeriums mit martialischer Sprache und maximaler Härte begann – und das Gesetz als nachträgliche Formalität behandelte.
Richter Jeffrey Cummings vom U.S. District Court in Chicago stellte nun klar: Selbst die Bundesbehörden stehen nicht über der Verfassung. In seiner Entscheidung verurteilte er die Vorgehensweise von ICE und DHS als klaren Verstoß gegen ein bestehendes Abkommen aus dem Jahr 2022, das sogenannte „Consent Decree“, das Festnahmen ohne richterlichen Haftbefehl oder begründeten Verdacht ausdrücklich untersagt. Die Razzien vom Januar – durchgeführt in mehreren Städten des Mittleren Westens – verletzten diese Vereinbarung, und damit, so der Richter, „das Grundprinzip von Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie“.

Richter Jeffrey I. Cummings vom U.S. District Court in Chicago hat am 7. Oktober 2025 entschieden, dass das Department of Homeland Security und die Einwanderungsbehörde ICE gegen den 2022 geschlossenen Consent Decree verstoßen haben, der Festnahmen ohne Haftbefehl oder begründeten Verdacht untersagt. Der Beschluss betrifft 26 Personen, die im Januar – kurz nach Beginn von Trumps zweiter Amtszeit – im Mittleren Westen rechtswidrig festgenommen worden waren. Wir hatten über die Fälle berichtet und in einer Vielzahl der Fälle auch die Recherchen durchgeführt. Das Gericht stellte fest, dass ICE nachträglich interne Verwaltungsdokumente nutzte, um die Festnahmen zu rechtfertigen, und ordnete nun monatliche Berichte über sämtliche Festnahmen ohne Haftbefehl an. Zudem müssen Kläger und Regierung bis zum 22. Oktober sämtliche mutmaßlichen Verstöße austauschen, bis zum 5. November einen gemeinsamen Statusbericht einreichen und am 12. November vor Gericht über den Stand der Umsetzung berichten. Die Anträge der Kläger auf Durchsetzung und Modifikation des Vergleichs wurden teilweise bewilligt, um neue Transparenzpflichten einzuführen. Mit dem Urteil wird erstmals in Trumps zweiter Amtszeit gerichtlich bestätigt, dass ICE gegen ein Bundesgerichtsurteil verstoßen hat – eine Entscheidung, die den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung stärkt und als Signal gegen exekutive Machtüberschreitung gilt.
Ein entscheidender Fall war die Causa Sergio Bolanos Romero. Es war damals ein kalter Januarmorgen in Chicago, als er aufbrach, um zur Arbeit zu fahren – ein ganz gewöhnlicher Tag in einem ganz gewöhnlichen Leben. Er lebte mit seiner Familie im Südwesten der Stadt, sein Sohn besitzt die US-Staatsbürgerschaft, und sein Alltag unterschied sich kaum von dem anderer arbeitender Familien in Illinois. Doch an diesem 26. Januar 2025 endete die Routine abrupt. Nur wenige Häuserblocks von seiner Wohnung entfernt wurde Sergio von Beamten der US-Einwanderungsbehörde ICE gestoppt, umringt und schließlich verhaftet – ohne Haftbefehl, ohne ersichtlichen Grund, ohne jede juristische Grundlage.
Nach Angaben des National Immigrant Justice Center (NIJC) war sein Fahrzeug nicht dasjenige, das die Agenten angeblich suchten. Dennoch forderten sie ihn auf, auszusteigen, nahmen ihm den Ausweis ab und stellten ihn zwischen sein Auto und ihr Einsatzfahrzeug – eine Position, aus der es kein Entkommen gab. Sergio war faktisch festgesetzt, ohne dass ihm auch nur ein Dokument gezeigt wurde, das seine Festnahme rechtfertigte. Er fragte nach einem Haftbefehl. Es gab keinen. Er wurde in ein nahegelegenes Parkhaus gebracht, anschließend in ein ICE-Verarbeitungszentrum und schließlich in ein Gefängnis im benachbarten Wisconsin überstellt. Zwei Tage später kam er gegen Kaution frei – aber nicht frei von Angst.
Sein Fall wurde Teil einer Sammelklage, die den Namen „Castañon Nava v. Department of Homeland Security“ trägt – eines jener unscheinbaren Verfahren, die über Grundrechte entscheiden. Dieses Abkommen aus dem Jahr 2022 verpflichtet ICE, im Zuständigkeitsbereich Chicago keine Festnahmen ohne Haftbefehl oder klaren begründeten Verdacht vorzunehmen. Doch genau das geschah. Die Klage war im März von der American Civil Liberties Union (ACLU) of Illinois zusammen mit mehreren Migrantenschutzorganisationen eingereicht worden. Sie hatten dokumentiert, dass ICE-Beamte bei Kontrollen in Wohnvierteln, Tankstellen und Arbeitsstätten Menschen festgenommen hatten, ohne Haftbefehle vorlegen zu können – häufig auf bloßen Verdacht hin, oft allein aufgrund von Hautfarbe oder Akzent.
„Die heutige Entscheidung macht unmissverständlich klar, dass DHS und ICE – wie alle anderen – der Verfassung und dem Gesetz zu folgen haben“, erklärte Michelle García, stellvertretende Rechtsdirektorin der ACLU of Illinois und Mitklägerin im Verfahren. „Die Praxis, Menschen willkürlich anzuhalten, zu schikanieren und festzuhalten, um erst im Nachhinein eine Rechtfertigung zu konstruieren, muss aufhören.“

Richter Cummings ordnete unter dem Aktenzeichen 1:18-cv-03757 vor dem U.S. District Court für den Northern District of Illinois außerdem an, dass ICE künftig monatlich offenlegen muss, wie viele Festnahmen ohne richterliche Anordnung vorgenommen werden. Eine Verpflichtung, die in ihrer Konsequenz selten ist – und die das Innenministerium in Washington zwingen könnte, seine gesamte Einsatzstrategie neu zu bewerten.

Das Urteil trifft die Regierung an einem empfindlichen Punkt. Seit Trump im Januar seine zweite Amtszeit antrat, hat das Heimatschutzministerium (DHS) die Zahl der Festnahmen in „nicht kooperativen Städten“ massiv erhöht. Besonders in Chicago, Minneapolis und Milwaukee gingen die Behörden mit einer neuen Härte vor – unterstützt von Trumps Innenministerin Kristi Noem, die ICE-Teams in die Metropolregionen schickte, um, wie sie sagte, „die Kontrolle über unser Land zurückzuerobern“. Was sich hinter dieser Rhetorik verbirgt, sind Familien, deren Alltag in Sekunden zerbricht. Viele der im Januar Verhafteten leben seit Jahren legal in den USA, einige mit ausstehenden Visaverfahren oder DACA-Schutzstatus. Mindestens fünf von ihnen wurden nach ihrer Festnahme tagelang ohne Zugang zu Anwälten festgehalten. Nun bekommen sie späte, aber deutliche Genugtuung – in Form eines Urteils, das Trumps Anspruch auf absolute Exekutivgewalt frontal zurückweist.
Für die ACLU ist es mehr als ein juristischer Sieg – es ist eine Erinnerung daran, dass selbst in Zeiten der Angst das Recht bestehen bleibt. „Diese Regierung glaubt, dass sie handeln kann, wie sie will, solange sie ‚nationale Sicherheit‘ sagt“, erklärte García. „Aber die Verfassung kennt keine Ausnahmen für politische Schlagworte.“ Das Urteil könnte nicht nur Signalwirkung haben, es wird für Trump zu einem großen Problem werden. Wenn ICE gezwungen wird, seine Zahlen offenzulegen, könnte offenbar werden, wie weit die Bundesbehörden tatsächlich über ihre Befugnisse hinausgegangen sind. Schon jetzt sprechen Juristen von einem Präzedenzfall – einem der wenigen in der Trump-Ära, der der Willkür Einhalt gebietet.

Chicago, das in den letzten Monaten zur Arena eines neuen Machtkampfs zwischen Bundes- und Landesbehörden geworden ist, erlebt mit diesem Urteil eine juristische Rückbesinnung: auf das, was einst selbstverständlich war – dass kein Amt, kein Präsident und keine Uniform das Recht beugen darf. Während Trumps Nationalgarde-Einheiten weiter durch die Straßen noch fast unsichtbar patrouillieren und seine Rhetorik unvermindert auf Eskalation zielt, erinnert ein einzelner Richter daran, dass Demokratie auch in dunklen Zeiten nur dann Bestand hat, wenn jemand den Mut hat, „Nein“ zu sagen. Dieses „Nein“ kam diesmal aus Chicago. Und es hallt weit über die Stadt hinaus.
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