Manchmal zeigt sich die politische Anatomie einer Regierung nicht in großen Reden oder internationalen Krisen, sondern in den stillen, aktengefüllten Räumen eines Gerichts. Der Fall Kilmar Abrego Garcia ist so ein Moment – ein unscheinbarer Name, der zum Symbol für den Machtmissbrauch einer Regierung geworden ist, die das Recht nach Belieben biegt.
Bundesrichter Waverly D. Crenshaw Jr. in Pennsylvania hat im Verfahren 3:25-cr-00115 (USA v. Abrego Garcia) entschieden, dass das Justizministerium unter Donald Trump sich womöglich einer illegalen Vergeltung schuldig gemacht hat: Die Anklage wegen Menschenschmuggels gegen den salvadorianischen Bauarbeiter könnte ein Akt der Rache gewesen sein – weil Abrego Garcia zuvor erfolgreich gegen seine Deportation geklagt hatte. Es ist ein Urteil mit Sprengkraft, das den Kern der amerikanischen Justiz berührt: Darf der Staat seine Macht nutzen, um jene zu bestrafen, die ihr Recht einfordern? Richter Waverly Crenshaw vom Bundesgericht in Harrisburg gewährte Abrego Garcias Antrag auf eine Anhörung und ordnete eine Beweisaufnahme an. In seiner 16 Seiten langen Entscheidung hält er fest, dass es „Hinweise darauf gibt, dass die Strafverfolgung gegen ihn möglicherweise rachsüchtig war“. Die Indizien reichen von Äußerungen hochrangiger Regierungsbeamter bis zur auffälligen zeitlichen Abfolge der Anklageerhebung – eine Chronologie, die nach Berechnung riecht.

Besonders deutlich wird Crenshaw an einer Stelle: Die Aussage von Vizejustizminister Todd Blanche, gemacht in einer Fox-News-Sendung im Juni, könne „direkt belegen, dass die Motivation für die Anklage aus Abregos Ausübung seiner verfassungsmäßigen Rechte resultierte – nicht aus einem tatsächlichen Strafinteresse“. Mit anderen Worten: Der Mann wurde angeklagt, weil er gewagt hatte, den Staat zu verklagen. Auch die von Journalisten vorgelegten Unterlagen und unsere gesamte Recherche wurden vollständig einbezogen und waren Bestandteil des Verfahrens. Basis, neben den Recherchen, in diesem Fall war unsere Recherche im Fall „Der Schattenmann“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/der-schattenmann-the-shadow-man/ -, die ganz am Ende zum Freispruch Henry Santos führte, siehe unseren Artikel „Ein kleiner Sieg“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/ein-kleiner-sieg/
Abrego Garcia ist kein Krimineller. Er kam als Jugendlicher illegal in die USA, arbeitete jahrelang im Bauwesen in Maryland, heiratete eine US-Amerikanerin, gründete eine Familie. 2019 wurde er von ICE-Agenten verhaftet. Ein Richter entschied damals, dass er zwar keinen Anspruch auf Asyl habe, aber nicht nach El Salvador abgeschoben werden dürfe, weil ihn dort eine Gang bedrohte. Trotzdem wurde er deportiert – ein klarer Verstoß gegen das Gerichtsurteil. Abrego klagte. Und er gewann. Der Supreme Court zwang die Trump-Regierung im April dazu, ihn zurückzuholen. Kaum war das Urteil gesprochen, reagierte das Heimatschutzministerium – indem es das alte Ermittlungsverfahren gegen ihn wieder öffnete. Nur Wochen später, am 21. Mai, wurde Abrego angeklagt. Am 6. Juni, dem Tag seiner Rückführung aus einem salvadorianischen Gefängnis, legte die Regierung die Anklageschrift vor. Der Vorwurf: Menschenschmuggel, basierend auf einem angeblichen Zwischenfall bei einer Verkehrskontrolle im Jahr 2022, der nie zu einer Anzeige geführt hatte. Für Abregos Anwälte ist die Sache klar: Ein inszeniertes Verfahren, um einen unbequemen Kläger zu bestrafen. Ein Versuch, ein Exempel zu statuieren. Und tatsächlich wirkt das Timing wie ein juristischer Schlagabtausch mit politischem Beiklang – ein Signal an alle, die es wagen, sich gegen das System zu wehren.
Während der Trump-Apparat von Anfang an bemüht war, Abrego Garcia als Kriminellen zu brandmarken – als „MS-13-Mitglied“, als „Gefahr für die Öffentlichkeit“ –, existieren keine Beweise für irgendeine Verbindung zu einer Gang. Es war eine bewusste öffentliche Demontage. Eine PR-Kampagne, orchestriert von denselben Regierungsstellen, die ihn zuvor rechtswidrig deportiert hatten. Wir begleiteten den Fall von Anfang an, als er noch kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhielt, und konnten früh belegen, dass die angeblichen Tätowierungen, die ihn als Gangmitglied diffamieren sollten, von Regierungsstellen digital verfälscht wurden. ( https://kaizen-blog.org/die-faust-das-foto-und-die-luege-wie-trump-das-recht-mit-einem-irrefuehrenden-bild-ersetzt/ )

Was sich hinter diesen Schichten aus Bürokratie und Propaganda verbirgt, ist die nackte Gewalt staatlicher Macht. Abrego Garcia verbrachte Monate in einem salvadorianischen Gefängnis, in dem er laut eigener Aussage gefoltert, geschlagen, schlaflos gehalten und psychisch gebrochen wurde. Präsident Nayib Bukele bestreitet diese Vorwürfe, doch seine Gefängnisse sind für ihre Brutalität berüchtigt. Dass die USA ausgerechnet mit einem Regime zusammenarbeiteten, das politische Häftlinge misshandelt, macht den Fall doppelt brisant. Nun hat Richter Crenshaw das getan, was in Trumps Amerika selten geworden ist: Er hat innegehalten. Er hat die Akte gelesen, die Zeitleiste betrachtet, die Worte der Minister gewogen – und den Verdacht ausgesprochen, dass hier die Justiz zur Waffe geworden ist. Das Gericht erlaubt nun eine umfassende Beweisaufnahme, in der Regierungsdokumente, interne Mails und Aussagen von Beamten offengelegt werden müssen. Damit könnte der Prozess zu einem Wendepunkt werden, der weit über den Einzelfall hinausweist.
Denn der Fall Abrego Garcia zeigt, wie gefährlich die Verschmelzung von Politik und Strafverfolgung geworden ist. Wie leicht aus einem Kläger ein Angeklagter wird. Und wie dünn die Linie ist, die Demokratie von Repression trennt. Die Regierung hat bislang nicht auf Anfragen reagiert. Weder das Justizministerium noch das Department of Homeland Security gaben eine Stellungnahme ab. Schweigen ist in Washington oft lauter als Worte – vor allem, wenn es um Fälle geht, die Machtmissbrauch offenlegen könnten.
Kilmar Abrego Garcia sitzt weiter in Haft, jedoch in Pennsylvania. Sollte er im Prozess in Tennessee verurteilt werden, droht ihm erneut die Abschiebung – trotz Familie, Arbeit und nachgewiesenem Integrationswillen. Die finale Runde wartet jetzt auf uns alle. Es wäre die letzte Stufe eines politischen Trauerspiels, das als Abschreckung gedacht war und indessen selbst zum Symbol des moralischen Bankrotts einer Regierung geworden ist. Doch vielleicht, ganz vielleicht, ist dieses Urteil der Anfang einer Wende. Ein Moment, in dem sich die Mühlen der Justiz wieder dorthin drehen, wo sie hingehören – gegen die Willkür der Mächtigen, nicht gegen ihre Opfer.
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