Peter Thiel, der Antichrist und der Feldzug gegen die Regulierung der KI

VonRainer Hofmann

September 26, 2025

Es ist ein Satz, der alles sprengt, was man von einem Unternehmer erwarten würde, der zu den mächtigsten Figuren der Tech-Welt gehört: Peter Thiel, Milliardär, Trump-Unterstützer, Mitgründer von Palantir, erklärt in einer Serie von Vorträgen, dass die Regulierung von Künstlicher Intelligenz zum „Aufstieg des Antichristen“ führen werde. Kein Nebensatz, kein rhetorischer Ausrutscher – sondern die bewusste Verbindung einer globalen Debatte über Technologie mit einer religiösen Endzeit-Rhetorik. Thiel spekuliert, dass staatliche Eingriffe in KI-Systeme den Weg ebnen für ein „peace and safety“-Regime, eine autoritäre Ordnung, die die Nationen der Welt verschlinge und eine „one-world government“-Struktur errichte. In dieser Deutung wird Regulierung nicht mehr als politische Auseinandersetzung verstanden, sondern als Einfallstor einer apokalyptischen Macht – des Antichristen.

Peter Thiel inszeniert die Regulierung der Künstlichen Intelligenz als Werk des Antichristen – und gerät damit selbst in eine paradoxe Rolle. Denn in der Logik seiner eigenen Erzählung ist er es, der den perfekten Antichristen abgibt: ein Unternehmer, der staatliche Kontrolle dämonisiert, während er selbst mit Palantir ein System schafft, das tiefer in die Intimsphäre der Gesellschaft eindringt als jede demokratische Behörde es je könnte. Thiel verkehrt die Welt, indem er aus dem Ruf nach Regulierung eine Apokalypse macht – und zugleich eine Infrastruktur der totalen Überwachung verkauft.

Was Thiel hier betreibt, ist nicht bloß Polemik, sondern ein bewusstes Umschreiben der Realität. Während in Brüssel, Berlin und Washington Kommissionen darum ringen, wie sich KI im Sinne von Transparenz, Datenschutz und Sicherheit regulieren lässt, verwandelt Thiel die Debatte in ein religiöses Drama. Wer Grenzen für Palantir, OpenAI oder andere Systeme fordert, ist in seiner Logik nicht etwa ein Demokrat, sondern ein Wegbereiter des Bösen.

Die Dimension dieser Aussagen wird besonders deutlich, wenn man Palantir selbst betrachtet. Das Unternehmen ist seit Jahren Partner von Geheimdiensten, Militärs und Polizeibehörden – auch in Deutschland. Hier wird Palantir-Software in mehreren Bundesländern eingesetzt, unter anderem bei der Polizei in Hessen, um Datenströme aus verschiedensten Quellen zu verknüpfen. Schon lange gibt es Kritik, dass dies Grundrechte verletzt, dass Sicherheitsbehörden durch Palantirs Technologie neue Machtmittel erhalten, die demokratisch kaum kontrolliert sind.

Besonders brisant: In Deutschland operiert Palantir offiziell über die Palantir Technologies GmbH mit Sitz in München. Parallel dazu existieren Netzwerke wie Rockbridge, die – wie wir bereits durch unsere eigenen Recherchen dokumentiert haben – als Schnittstellen zwischen Tech-Industrie, Politik und Sicherheitsbehörden fungieren.

https://kaizen-blog.org/die-architektur-der-kontrolle-wie-peter-thiels-datenmacht-und-das-politische-netzwerk-rockbridge-die-demokratie-untergraben/
https://kaizen-blog.org/die-marionetten-des-silicon-valley-wie-peter-thiel-und-rockbridge-amerikas-gesundheitspolitik-unterwandern/
https://kaizen-blog.org/die-schattenakten-palantir-der-unsichtbare-staat-im-staat/

Unter diesem Dach wurden Kontakte vermittelt und Türen geöffnet, die in der öffentlichen Wahrnehmung kaum bekannt sind. Genau dieser verdeckte Ansatz verdeutlicht, wie stark Palantir versucht, seinen Fußabdruck in Europa abzusichern, während gleichzeitig Innenministerien die Systeme als Effizienzgewinn preisen. Dass Thiel nun in apokalyptischen Bildern gegen Regulierung wettert, wirft auch auf diese deutschen Verbindungen ein Schlaglicht – auf ein Geflecht aus Firmen und Netzwerken, das im Schatten operiert, aber längst tief in sicherheitsstaatliche Strukturen eingedrungen ist.

Die eigentliche Gefahr liegt nicht in der Exzentrik eines Multimilliardärs, sondern in der Wirkung. Thiel positioniert sich als intellektueller Vordenker einer Bewegung, die religiöse Sprache, apokalyptische Bilder und libertäre Ideologie mischt – und damit die politische Landschaft verschiebt. Wenn die Regulierung von KI als „Werk des Antichristen“ gebrandmarkt wird, dann verschwinden die realen Fragen – Fragen nach algorithmischer Diskriminierung, nach Monopolisierung, nach Überwachung – hinter einer Mauer aus religiöser Rhetorik.

In den USA fügt sich das nahtlos ein in den Chor der christlich-nationalistischen Strömungen, die Technologiepolitik zur Glaubensfrage machen. In Deutschland trifft es auf eine Diskussion, die ohnehin fragil ist. Schon jetzt warnen Datenschützer vor den Folgen des Palantir-Einsatzes bei Polizeibehörden, während Innenminister auf Effizienz und Modernisierung pochen. Parallel dazu wirken Netzwerke wie Rockbridge, Kontakte zwischen Sicherheitsapparat und Tech-Konzernen vermitteln. Dass der Mitgründer selbst in apokalyptischen Kategorien argumentiert, zeigt, wie tief die ideologische Kluft verläuft: hier der Ruf nach demokratischer Kontrolle, dort die Dämonisierung von Regulierung.

Thiels Worte sind deshalb mehr als eine Provokation. Sie sind ein Machtinstrument. Wer die Debatte über die Regulierung von KI in den Bereich des Religiösen zieht, verengt den Raum für nüchterne politische Auseinandersetzung. Es ist die gleiche Strategie, die Palantir groß gemacht hat: aus Technologie ein Schicksalsinstrument zu machen, aus Kontrolle eine Glaubensfrage. Und so bleibt nach Thiels Vorträgen weniger die Erinnerung an einen exzentrischen Milliardär als die Erkenntnis, dass hier ein Mann spricht, dessen Worte politische Wirkung entfalten. Der Antichrist, den Thiel beschwört, ist nicht einfach eine Metapher. Er ist ein Machtmittel, ein rhetorisches Schwert, um demokratische Kontrolle abzuwehren und die Logik eines Unternehmens zu retten, das längst selbst zum Symbol für den autoritären Zugriff der Technik geworden ist.

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