Jeder Ausweis eine Schweigepflicht – Wie das Pentagon die Presse an die Sprachfessel legt und warum ausgerechnet Leaks die Öffentlichkeit retten

VonRainer Hofmann

September 20, 2025

Mit einem 17-seitigen Papier an die Hauptstadtpresse zieht das Pentagon die Zügel an: Wer weiter über das Verteidigungsministerium berichten will, muss künftig ein Gelöbnis ablegen – und zwar, keine Informationen zu sammeln oder zu verwenden, die nicht „formal zur Veröffentlichung autorisiert“ sind. Selbst wenn sie nicht klassifiziert sind. Wer sich nicht daran hält, verliert die Akkreditierung. Begleitet wird der Schwur von einer neuen Hausordnung, die Reporter durch das Labyrinth des Fünfecks nur noch in Begleitung führt, große Teile der Flure sperrt und die Bewegungsfreiheit der etwa 90 ständigen Pentagon-Journalistinnen und -Journalisten auf wenige, auf Planseiten eingezeichnete Inseln reduziert. Die Sprache der Behörden klingt freundlich: Man bleibe einer „Transparenz verpflichtet, um Rechenschaftspflicht und öffentliches Vertrauen zu fördern“. Der Satz, der den Kern offenlegt, folgt unmittelbar danach: „Informationen müssen vor ihrer Veröffentlichung von einer geeigneten autorisierenden Stelle freigegeben werden – auch wenn sie nicht klassifiziert sind.“ Das ist, juristisch betrachtet, eine Vorzensur. Politisch ist es der Traum eines jeden Apparats, der Angst vor Kontrolle hat.

„Um den Zugang der Presse und die OPSEC (Operationssicherheit) zu gewährleisten, sind die folgenden aktualisierten Sicherheitsmaßnahmen für ansässige und besuchende Pressevertreter erforderlich, um die Möglichkeiten für unbeabsichtigte und unbefugte Offenlegungen bei persönlichen Begegnungen zu verringern.“ – Ob man das auch Hegseth gesagt hat?

Das genaue Lesen der Papiere zeigt, ohne nicht alle 2 Minuten einen Lachanfall zu bekommen, wie umfassend die Fesseln sitzen sollen. Reporter müssen künftig bestätigen, dass schon das „Erwerben oder Nutzen“ nicht autorisierter Informationen zur „sofortigen Suspendierung“ ihres Zutritts führt. Das gilt ausdrücklich nicht nur für Geheimhaltung im klassischen Sinn, sondern auch für die schwammige Kategorie der „Controlled Unclassified Information“ – ein dehnbarer Mantelbegriff für alles, was man im Zweifel lieber nicht gedruckt sähe. Parallel verordnet das Haus neue „Physical Control Measures“: Welche Korridore ohne Begleitung betreten werden dürfen, welche Ringe tabu sind, wo Kameras erlaubt sind, wo Ausweise über der Hüfte sichtbar zu tragen sind – bis hin zu der Auflage, Eigentumsscheine zu beantragen, wenn ein Stativ das Gebäude verlassen soll. Wer gegen die Maßnahmen verstößt, riskiert den Entzug des PFAC-Ausweises, wie das „In-brief for Media Members“ seitenlang doziert.

Die „Acknowledgements“, die jeder unterschreiben soll, lesen sich wie ein Katechismus der Kontrolle: Ich verstehe, dass mein Ausweis jederzeit widerrufen werden kann. Ich verstehe, dass ich und meine Gegenstände jederzeit kontrolliert werden. Ich verstehe, dass ich ohne Begleitung nur in die genau bezeichneten Zonen darf. Ich verstehe, dass jede visuelle oder akustische Aufnahme, inklusive Handyfotos, untersagt ist – es sei denn, es liegt eine explizite Genehmigung vor. Ich verstehe, dass die Nichtbefolgung zur Suspendierung meines Zugangs führt. Man kann das als Sicherheitskatalog lesen. Man muss es als politisches Projekt lesen.

Dass der Pressesprecher dazu behauptet, all dies sei „im Einklang mit jeder anderen Militärbasis im Land“, macht es nicht harmloser. Eine Hauptstadtredaktion ist kein Kasernenhof, und das Pentagon ist nicht Fort Irgendwas. In Washington galt bislang ein anderer Deal: Journalisten bewegen sich frei auf den Hauptachsen, treffen Quellen auf dem Flur, verifizieren im Gespräch, was anderswo aufschlägt. Genau dieser spontane Sauerstoff – die informelle Korrektur des Offiziellen – soll jetzt abgedreht werden. Es passt zu einer Regierung, die Medien aus Arbeitsbereichen verdrängt, ihnen die Plätze an der Wand wegnimmt und sie durch wohlgesinnte Portale ersetzt. Es passt zu einem Verteidigungsminister, der sich gegenüber der Presse aufführt, als habe er ein persönliches Kriegsrecht über die Wahrheit. Und es passt zu einer Woche, in der ein FCC-Vorsitzender lokalen Sendern mit „Geldstrafen oder Lizenzentzug“ droht, weil ihnen eine Late-Night-Pointe politisch missfällt.

Dass ausgerechnet Pete Hegseth die neue Sprachfessel unterschreibt, ist ein Hohn mit Ansage. In den Fluren heißt seine Aneinanderreihung von Fehlleistungen längst spöttisch „Foxtrott“ – eine kleine Reminiszenz an die Fernsehstation, die seine Karriere befeuerte. Der Mann, so hört man, sei ständig paranoid, irgendwer im Pentagon könnte mit der Presse über „den crazy shit“ reden, den er Tag für Tag anrichtet – also erlässt er Regeln, die den Zugang beschneiden. Die Frage, die bleibt: Warum versuchen sie eigentlich unentwegt, alles vor der Öffentlichkeit zu verstecken? Wer derart viel abdichtet, bekennt selten Stärke. Er bekennt Furcht.

Pete Hegseth – Berichte über häufigen Alkoholkonsum bei Veranstaltungen, Sexismusvorwürfe, ein feindseliges Arbeitsklima. Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens, die später über Vergleiche aus der Welt geschafft wurden.

Die Ironie, die sich das Haus nicht bewusst zu sein scheint: Vielleicht sollte das Pentagon hoffen, dass Journalistinnen und Journalisten weiterhin „unauthorisierte“ Informationen weitergeben. Denn die beste öffentliche Quelle war dieser Club nie. Und weil viele in Washington sichtbar unterbezahlt sind, stehen an manchen Abenden an der Ecke nicht nur Zigarettenpausen, sondern tatsächliche Gespräche über Verantwortung. Da sprechen Leute, die sich nicht kaufen lassen müssen, weil sie nicht verkauft werden wollen. Menschen, die den Dingen lieber gestern als heute den Riegel vorschieben würden, wenn der Riegel im Weg steht, wo eigentlich Rechtsstaatlichkeit sein sollte. Leaks sind nicht romantisch. Aber sie sind in Zeiten der Verknappung von Wahrheit oft das Einzige, was noch atmen lässt.

Denn Sicherheit ist hier die Kulisse. Der eigentliche Plot liegt woanders. Unter Hegseths Aufsicht häufen sich Vorgänge, die Öffentlichkeit provozieren – und deshalb aus dem Verkehr gezogen werden sollen. Der Signal-Chat mit Journalisten („Signalgate“) im März 2025, in dem vertrauliche Operationen gegen die Houthis im Jemen diskutiert wurden und in den ein Journalist versehentlich hineingeriet. Ein zweiter Signal-Kanal, in dem über Luftschläge und Flugpläne mit Ehefrau, Bruder und persönlichen Anwälten getextet wurde. Dazu die Einladung eines Tech-Milliardärs zu einem Briefing über höchst geheime Kriegspläne für den Konfliktfall mit China. Erst vor Kurzem Fragen nach der Rechtmäßigkeit zweier Angriffe auf venezolanische Boote mit 14 Toten – und die prahlerische Ankündigung eines dritten zerstörten Boots. In diesem Intrigenmix wirken neue Zutrittsregeln nicht wie Brandschutz. Sie wirken wie Schadensbegrenzung am falschen Ort.

Zu Hegseths langen Schatten reiht sich, was Kritiker seit Jahren protokollieren: finanzielle Schieflagen in seiner Zeit an der Spitze von „Concerned Veterans for America“ und „Vets for Freedom“, Defizite, unsaubere Mittelverwendungen, die Aussicht auf Zahlungsunfähigkeit, Abfindung und NDA beim Abschied. Berichte über häufigen Alkoholkonsum bei Veranstaltungen, Sexismusvorwürfe, ein feindseliges Arbeitsklima. Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens, die später über Vergleiche aus der Welt geschafft wurden. Ein Führungsstil, der Budget, Personal und Organisation eher als Kulisse denn als Aufgabe begreift. Vieles davon sind Vorwürfe, einiges ist dokumentiert, manches streitig – zusammengelesen ergibt es ein Bild. Und dieses Bild erklärt, weshalb ein Minister versucht, die Deutungshoheit nicht nur zu behalten, sondern zu verordnen.

Die Reaktionen außerhalb des Hauses sind entsprechend deutlich. Presseverbände sprechen von einem „direkten Angriff auf unabhängigen Journalismus“, Verfassungsjuristen erinnern daran, dass der Staat Journalistinnen und Journalisten nicht dazu zwingen darf, ihr Recht auf Recherche gegen einen Ausweis einzutauschen. „Prior restraint“ – die Vorab-Beschränkung von Veröffentlichung – ist in den USA der schwerste denkbare Verstoß gegen den First Amendment. Genau dorthin zielt dieses Regelwerk, indem es nicht nur die Veröffentlichung, sondern bereits das Erheben und Prüfen von Informationen unter Genehmigungsvorbehalt stellt. Nicht mehr die Tatsachen entscheiden dann, sondern der Stempel.

Dass der Präsident parallel darüber nachdenkt, Sender „zu bestrafen“ und ihnen „vielleicht die Lizenz zu entziehen“, weil Berichte ihm nicht gefallen, vollendet das Panorama. Eine Exekutive, die Öffentlichkeit als Gnadenakt begreift, baut sich die Decke der Nacht. Die Aufgabe von Journalismus ist das Gegenteil: Sie macht Licht. Und wenn das Licht nur noch durch Ritzen kommt, dann sind es am Ende die Informanten, die das Netz der Ritzen schlagen. Nicht, weil sie Helden sein wollen – sondern weil sie Bürger sind. Die neue Pentagon-Ordnung ist deshalb mehr als ein Hausverbot auf Zeit. Sie ist ein politischer Test. Für Redaktionen, die jetzt entscheiden müssen, ob sie zu Bittstellern werden. Für Quellen, die entscheiden müssen, ob sie schweigen, wenn Schweigen Unrecht deckt. Und für eine Öffentlichkeit, die entscheiden muss, ob sie sich abspeisen lässt – mit offiziell freigegebenen Satzbausteinen, sauber gelayoutet, leer.

Wir entscheiden uns gegen die Leere. Wir dokumentieren, wir recherchieren, wir widersprechen. Und wir nennen die Dinge beim Namen: Das, was hier geschieht, ist kein Sicherheitsupdate. Es ist ein Foxtrott – eine Trittfolge aus Eitelkeit, Angst und Autoritarismus. Wer tanzen will, kann das tun. Aber nicht auf dem Rücken der Wahrheit.

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Ela Gatto
Ela Gatto
4 Tage zuvor

Ausgerechnet Pete Hegseth, durch den einiges geleakt wurde.

Wenn es nicht so traurig und gefährlich wäre, könnte man ob der Ironie machen.

Medienfluss zensieren, Pressemitteilungen vorzensieren, Medienanstalten Bedrohung, politische Gegner als Kriminelle bezeichnen.
Ganz klar Autokratie bzw Diktatur.

Rossmann
Rossmann
4 Tage zuvor

Danke für diesen Artikel.

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