Hunger im Schatten der Haustiere – Wenn Amerikas Ärmste nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Tiere nicht mehr ernähren können

VonRainer Hofmann

November 8, 2025

Derzeit kann es vereinzelt zu Verzögerungen in unserer Berichterstattung kommen – wir engagieren uns parallel aktiv in der Unterstützung von Hilfsaktionen für bedürftige Menschen und Tiere. Wir bitten daher schon jetzt um Verständnis für mögliche Verzögerungen und danken allen, die in diesen Tagen mithelfen, Not zu lindern. Es sind leider die stillen Katastrophen eines Landes, das sich an seine Krisen längst gewöhnt hat.

Tierheim Zeus’ Rescue, New Orleans

In New Orleans versucht das Tierheims Zeus’ Rescues das Unmögliche möglich zu machen: Während der längste Regierungsstillstand in der Geschichte der USA Millionen Menschen ohne ihre gewohnten Unterstützungsleistungen zurücklässt, sorgt die Einrichtung dafür, dass auch ihre Haustiere nicht hungern müssen. Freiwillige verteilen Futterspenden an Familien, die kaum noch genug Geld für sich selbst haben – eine stille, aber lebenswichtige Hilfe für jene, die ihre Tiere trotz aller Not nicht aufgeben wollen. So füllen Helfer des Tierheims Zeus’ Rescues Säcke mit Trockenfutter, stapeln Dosen, zählen Spenden. Nicht für sich, sondern für jene, die nichts mehr haben – Menschen, die mit jedem Tag härter um das Nötigste kämpfen: um Brot, Milch, Reis – und um das Futter für ihre Tiere.

Wenn sich Jeff Bezos eine 50-Millionen-Dollar-Hochzeit in Venedig leisten kann, für einen vollkommen übertrieben Ballsaal spendet, dann kann er es sich auch leisten, seine Arbeiter so zu bezahlen, dass sie keine staatliche Unterstützung wie SNAP und Medicaid brauchen.

Viele Menschen stehen an einem verregneten Oktobermorgen in Loves Park, Illinois, vor einer kleinen Kirche. In ihren Händen ein Gutschein, den eine Hilfsorganisation ihr überreicht hat, damit sie im Supermarkt einkaufen kann – für sich, ihre Kinder und ihre Tiere, die längst Teil der Familie sind. Ohne diesen Gutschein hätte sie die Haustiere vielleicht abgeben müssen. Viele von ihnen arbeiten direkt oder indirekt für Amazon. Für die lokale Wirtschaft ist der Konzern ein zentraler Faktor geworden – mit Schichtarbeit, Niedriglohnjobs. In Dallas stehen in diesem Augenblick über 75 Hunde im Klyde Warren Park in Dallas zur Adoption bereit – treue Gefährten von Menschen, die sich nicht mehr um sie kümmern können. Dazu gibt es Foodtrucks, Musik, Preise zu gewinnen, Futterscheine für Haustiere. Aber niemand hier schaut glücklich, inspiriert von der Musik. Sie sind einfach traurig.

Klyde Warren Park in Dallas

Seit Wochen stocken die Auszahlungen des staatlichen Ernährungsprogramms SNAP. Millionen Amerikaner warten vergeblich auf ihre monatliche Unterstützung, während in Washington der längste Regierungsstillstand der US-Geschichte anhält. Der Oberste Gerichtshof hat Trumps Eilantrag stattgegeben, die vollen Zahlungen vorerst zu stoppen – eine Entscheidung, die in mehr als einem halben Dutzend Bundesstaaten bereits spürbar ist. Und mit ihr bricht eine fragile Balance zusammen: Die meisten Empfänger kaufen von ihren Lebensmittelgutscheinen zwar kein Tierfutter – das ist verboten –, doch das wenige Geld, das übrig bleibt, wird dadurch wenigstens nicht noch knapper. Jetzt jedoch, da selbst diese Hilfe stockt, müssen viele zwischen sich und ihren Tieren wählen.

Feeding Missouri

„Wir wissen, dass viele ihre Haustiere füttern, bevor sie selbst essen“, sagt Kim Buckman von „Feeding Missouri“, einer Koalition von Lebensmittelbanken. „Manche dieser Tiere sind mehr als nur Begleiter – sie sind emotionale Stütze, Familienmitglieder, manchmal der einzige Grund, morgens aufzustehen.“

In Lebanon, Tennessee, hat das Tierheim „New Leash on Life“ die Zahl der Familien, die Futterspenden brauchen, im Oktober von hundert auf 125 steigen sehen. Angela Chapman, die Direktorin, schüttelt den Kopf. „Wir helfen ihnen lieber mit Futter, als später ihre Tiere aufnehmen zu müssen.“ Die Vorräte sind knapp, die Nachfrage explodiert. In den Regalen liegen Säcke mit Futter, die binnen Tagen verschwinden.

Das Tierheim „New Leash on Life“

Auch in Baton Rouge, Louisiana, ist die Lage dramatisch. Das Tierheim „Companion Animal Alliance“ musste ein Hilfsprogramm für rund 200 Familien einstellen, nachdem ein Großspender abgesprungen war. „Wir überlegen, Geld von der medizinischen Versorgung abzuziehen, um Futter zu kaufen“, sagt Paula Shaw, die Leiterin des Zugangsprogramms. „Die Leute geraten in Panik. Viele teilen ihr eigenes Essen mit ihren Tieren, andere fragen uns, welche menschlichen Lebensmittel sie beimischen können, damit das Futter länger reicht.“ Manche versuchen zu helfen, so gut sie können. In Massachusetts sammelte eine kleine Organisation namens „Charley’s Angles“ binnen Tagen Spenden über Venmo, nachdem sie auf Facebook um Hilfe gebeten hatte. „Wir erwarten kurzfristig einen regelrechten Ansturm“, sagt Gründerin Kandi Finch, eine Hundefriseurin, die ihr Projekt nach einem verstorbenen Tier benannt hat.

In Las Vegas reagiert die „Animal Foundation“ auf die zunehmende Not vieler Tierhalter mit einer ungewöhnlichen Hilfsaktion: einer Notausgabe für Tierfutter. Am Montag, dem 10. November, öffnet die Organisation von 12 bis 15 Uhr ihre Tore an der Mojave Road, um Familien zu unterstützen, die sich das Futter für ihre Haustiere kaum noch leisten können. Jeder Haushalt darf Futter für bis zu vier Tiere erhalten – kostenlos, solange der Vorrat reicht. Hintergrund sind die landesweiten Verzögerungen bei den SNAP-Lebensmittelhilfen, die viele einkommensschwache Familien zwingen, ihr Weniges zwischen sich und ihren Tieren aufzuteilen. Die Initiative ist Teil des Programms „Keeping Every Pet and Person Together“ – ein Versuch, das zu verhindern, was sonst unweigerlich folgt: dass Not zu Trennung führt.

Doch selbst diese spontanen Aktionen ändern nichts an der Grundmisere: Die amerikanische Armut trifft nicht nur Menschen. Nach Schätzungen von „Humane World for Animals“ leben mehr als 20 Millionen Haustiere in Haushalten unterhalb der Armutsgrenze. Wenn der Kühlschrank leer bleibt, leiden zuerst die Tiere. „Ein Anstieg der Abgaben ist immer ein Risiko, wenn plötzlich so viele Menschen in Not geraten“, sagt Sprecherin Kirsten Peek. Noch seien die Tierheime nicht überfüllt – doch viele ihrer Mitarbeiter wissen, dass dieser Punkt näher rückt.

Für viele aber ist das keine Option. Doch das Geld reicht kaum. Viele kämpfen jeden Tag, aber aufgeben können sie nicht. Das ist Amerika im Jahr 2025: ein Land, das seine Ärmsten zwingen könnte, zwischen Brot und Haustier zu wählen.

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Helga M.
Helga M.
1 Stunde zuvor

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Lea
Lea
29 Sekunden zuvor

Hinzukommt, daß in ganz vielen amerikanischen Tierheimen diese keine lange Überlebenschance haben, da bei Überfüllung schnell eingeschläfert wird.  😿 

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