Es sind Sätze, (die Gesprächsaufnahmen sind weiter unten im Artikel), die sich anhören wie ein Geständnis in Echtzeit. Robert F. Kennedy Jr., einst gefeierter Umweltanwalt, heute Sprachrohr einer Bewegung, die längst von Rationalität abgedriftet ist, hat in wenigen Worten beschrieben, wie man einen gefährlichen Faschismus baut. Und er hat damit mehr über die politische Gegenwart verraten, als ihm vielleicht bewusst war.
„Die Art und Weise, wie man eine wirklich bösartige nationalistische Bewegung aufbaut, besteht darin, einen relativ kleinen Kern streitsüchtiger Idioten mit einer viel größeren Gruppe zu verbinden.“
Es ist ein Satz, der sich liest wie eine ungewollte Offenbarung. Denn Kennedy beschreibt darin exakt das, was sich vor seinen Augen vollzieht – in einer Gesellschaft, die sich an die Empörung gewöhnt hat wie an den Geschmack von abgestandenem Wasser. Ein kleiner, lautstarker Kern – die Schreihälse, die Hetzer, die Zerstörer –, verbunden mit einer Masse von Menschen, die weder hassen noch denken, sondern folgen.
„Und sobald diese menschlichen Dominosteine ins Trump-Lager fallen, ist das Spiel vorbei.“
Die Metapher ist brutal, fast klinisch. Menschen als Dominosteine, Fleisch, Bewegung, Kettenreaktion. Und doch ist genau das der Punkt: Eine Demokratie kippt nicht durch die Stärke der Radikalen, sondern durch die Trägheit der Mehrheit.
„Wir haben vielleicht nicht allzu viele ausgesprochene Nazis in Amerika, aber wir haben mehr als genug Feiglinge.“
Ein Satz, der in seiner Nüchternheit fast erschüttert. Nicht, weil er falsch wäre – sondern, weil er von einem Mann kommt, der selbst Teil jener Welle geworden ist, die er hier beschreibt. Kennedy prangert die Mechanismen der Manipulation an, während er sie längst bedient: Angst, Misstrauen, Emotionalisierung. Er kleidet Wahrheit in die Rhetorik der Offenbarung, doch was bleibt, ist Zynismus. Denn wer so spricht, entlarvt weniger das System als sich selbst. In den USA ist Kennedy Jr. zu einem paradoxen Symbol geworden – der Antielite, die aus der Elite stammt; der Wahrheitssucher, der selbst zur Quelle von Desinformation wurde. Seine Worte über Nationalismus und Feigheit klingen wie aus dem Lehrbuch für politische Psychologie – präzise, fast analytisch –, und doch sind sie das Produkt eines Mannes, der von denselben Kräften getragen wird, die er zu beschreiben glaubt.
Die Gefahr liegt nicht in der Dummheit, die er benennt, sondern in der Intelligenz, die sie legitimiert. Denn das, was Kennedy Jr. beschreibt, ist kein abstraktes Prinzip, sondern ein konkretes Szenario: die Verschmelzung von Ideologie und Opportunismus, von Wut und Gleichgültigkeit. Es ist die Formel, die autoritäre Bewegungen überall auf der Welt nährt – in den USA, in Ungarn, in Deutschland. Eine kleine, fanatische Minderheit trifft auf eine große, erschöpfte Mehrheit. Die einen wollen zerstören, die anderen wollen nur ihre Ruhe. Gemeinsam ergeben sie ein System, das keine Wahrheit mehr kennt, nur Narrative. Kennedy liefert die Theorie – Trump die Praxis. Die „streitsüchtigen Idioten“, von denen Kennedy spricht, finden ihre Bühne in Online-Foren und Wahlkampfbühnen. Die „Feiglinge“ sitzen in Büros, Familienküchen, Redaktionen. Sie nicken, sie zweifeln, sie reden sich heraus. Sie hassen nicht – sie ducken sich. Und das genügt.
Denn die Demokratie fällt nicht durch einen Schlag. Sie kippt leise, mit jedem Schritt, den jemand nicht mehr geht. Vielleicht ist das die bittere Pointe: Kennedy Jr. glaubt, die Krankheit erkannt zu haben, aber er ist längst Teil ihres Immunsystems geworden. Ein Mann, der vor der Welle warnt, während er auf ihr reitet. Der neue Faschismus ist kein Aufmarsch, sondern ein Algorithmus. Kein Ruf auf den Straßen, sondern ein Rauschen im Netz. Und wer heute noch glaubt, man könne ihn mit Aufklärungswellen, Social Media oder Häme bremsen, hat nicht verstanden, dass der Feind längst im Vokabular sitzt.
Kennedys Worte bleiben als Mahnung – aber nicht so, wie er sie gemeint hat. Denn sie erinnern daran, dass der Niedergang einer Demokratie nie mit der Zahl der Fanatiker beginnt, sondern mit der Zahl derer, die zu müde, zu ängstlich oder zu eitel sind, sich ihnen entgegenzustellen, als Mensch, nicht versteckt hinter Laptop, PC, Pad oder Smartphone.
Die Dummheit ist laut, aber die Feigheit ist tödlich.
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Stärken bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Vielen Dank!